Große Verluste befürchtet Sachsen-Anhalt setzt Förderung von Start-ups aus

14. Januar 2023, 17:40 Uhr

Die Start-ups an den Hochschulen des Landes werden vorerst nicht mehr von Sachsen-Anhalt gefördert, obwohl Mittel von der EU bereitstehen. Das Land verschwende riesiges Potenzial, kritisieren Gründerzentren. Netzwerke brächen zusammen, Unternehmen würden in der Entwicklungsphase gestoppt, andere wanderten ab. Die Gründerzentren wollen trotzdem Start-ups weiter unterstützen.

"Modern denken" ist das Landesmotto, das sich Sachsen-Anhalt auf die Fahne geschrieben hat. Das Land wirbt mit Erfindergeist, modernen Ideen und weltverändernden Impulsen.

Ein Ort, an dem viele dieser Impulse entstehen, sind die Hochschulen des Landes. Hier wird gelehrt, geforscht, entwickelt, erfunden – und immer wieder werden auch Unternehmen gegründet. Bisher jedenfalls. Denn Sachsen-Anhalt verhandelt gerade über neue Förderungen und hat wichtige Teile der Gründungsförderung an Hochschulen vorerst auslaufen lassen.

Gründerzentren im Notbetrieb

Konkret geht es laut Angaben des Transfer- und Gründerzentrums (TUGZ) Magdeburg um eine Ko-Finanzierung des Landes von etwa 32 Millionen Euro. Das Geld wird an den Gründerzentren der Hochschulen vor allem in sogenannten "Inkubatoren" und speziellen Laboren gebraucht. Dort bekommen Studierende Ausrüstung, Know-How und Netzwerke an die Seite gestellt, um aus vielversprechenden Ideen eigene Unternehmen zu gründen.

Derzeit laufen die Gründerzentren nur noch auf Notbetrieb. Viele Angestellte zur Gründungsberatung wurden entlassen, viele Anfragen müssen abgelehnt werden.

Gründerzentren befürchten Verlust von Potenzial

Gerald Böhm vom TUGZ Magdeburg erklärt, ohne die Unterstützung zur Gründung verschwänden viele zukunftsfähige Ideen und Patente ungenutzt in Schubladen. Junge Talente wanderten zu anderen Standorten ab oder suchten sich Arbeitsplätze in der Forschung oder in Bestandsunternehmen, statt Unternehmen in Sachsen-Anhalt zu gründen. Außerdem brächen mühsam aufgebaute Netzwerke zusammen und junge Unternehmer verlören kurz vor der Ziellinie die nötige Hilfe.

Damit, so Böhm, blieben wichtige Erkenntnisse und Potenziale der Hochschulen ungenutzt. Neben gesellschaftlich wichtigen Innovationen kämen auch potenzielle Arbeitsplätze und Steuereinnahmen durch junge Unternehmer für Sachsen-Anhalt nicht zu Stande.

Jonas Crackau, ebenfalls vom TUGZ, sagt: "In der aktuellen Transformation haben wir die Möglichkeit, das Land eigentlich völlig neu zu positionieren im bundesweiten, europäischen und auch im weltweiten Wettbewerb. Und das ist eine Chance, die wir gerade verschlafen."

"Müssen nochmal bei null anfangen"

Das Fatale an der Situation sei, dass man alle Netzwerke und Bemühungen der vergangenen Jahre wieder neu aufbauen müsse, wenn irgendwann neue Fördergelder bewilligt würden, so Crackau. Die entlassenen Mitarbeitenden an den Inkubatoren, die Netzwerke an jungen Unternehmen, die Kontakte in die Industrie: All das ginge in den Förderpausen zu großen Teilen verloren.

Tony Winkler, Ansprechpartner am FabLab, steht vor einer Wand.
Tony Winkler hat junge Unternehmer im Fablab unterstützt. Wegen der fehlenden Ko-Förderung musste er jetzt entlassen werden. Bildrechte: MDR/LEonard Schubert

Die Ansicht teilt Tony Winkler, der bisher junge Unternehmer am Fablab betreut hat und jetzt entlassen werden musste. "Eigentlich würde ich gerne weitermachen", sagt er, "aber ewig kann ich nicht abwarten, ob ich wieder eingestellt werde".

Dabei sei das Fablab enorm wichtig, sagt Winkler. Hier könnten Menschen mit nichts weiter als einer Idee ankommen und alles weitere gemeinsam entwickeln. Das Know-How, die Geräte, die Kontakte: All das stünde zur Verfügung und sorge dafür, dass wirklich frei gedacht und mutig ausprobiert werden könne.

Start-ups fordern Kontinuität in Gründungsförderung

Thomas Hoffmann, CEO von Raydiax, steht vor einer Wand.
Thomas Hoffmann, CEO und Co-Founder von Raydiax, ist überzeugt, dass eine kontinuierliche Gründungsförderung ein Schlüssel für den Erfolg der Startups ist. Bildrechte: MDR/LEonard Schubert

Unternehmensgründer aus Sachsen-Anhalts Hochschulen untermauern die Befürchtungen des TUGZ. Thomas Hoffmann, CEO des Unternehmens Raydiax, erklärt, ohne die Unterstützung der Gründerzentren und Vorbilder vor Ort hätten er und seine Mitstreiter das Unternehmen höchstwahrscheinlich nicht gegründet. Als "Vollblutakademiker" hätte ihnen vor allem die Expertise zum Unternehmensaufbau gefehlt.

Hoffmann wünscht sich in Zukunft ein kontinuierliches, fokussiertes Gründungsökosystem, damit die Start-ups bessere Chancen haben, zum Erfolg zu kommen. Dann, sagt er, hätten Ideen aus Sachsen-Anhalt gute Chancen, weltweit Geschichte zu schreiben. Und letztlich auch den Standort aufzubauen, Einnahmen zu generieren, Netzwerke zu schaffen und die Attraktivität zu erhöhen, um gegen Startup-Metropolen wie Berlin bestehen zu können.

Benjamin Horn vom Unternehmen "Smela" und Sinja Lagotzki vom Unterehmen "Inline-Med" pflichten ihm bei. Sachsen-Anhalt sei für einige Bereiche ein sehr attraktiver Standort, der unbedingt weiter ausgebaut werden solle. Dazu brauche es unbedingt Kontinuität in der Gründungsförderung und im Aufbau junger Unternehmen.

Wirtschaftsminister verhandelt über Ko-Finanzierung

Vom Wirtschaftsministerium hieß es auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT, insgesamt seien durch die von den Gründerzentren unterstützten Ausgründungen aus den Hochschulen seit 2015 mehr als 680 Arbeitsplätze neu geschaffen worden. Das Land werde alles ihm Mögliche tun, um die Gründerförderung durch gezielte Maßnahmen weiter zu unterstützen.

Derzeit befinde man sich zwischen zwei Förderperioden. Das Wirtschaftsministerium habe für den nächsten Schritt die nötigen Richtlinien vorbereitet. Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) befinde sich derzeit in Gesprächen mit den Landtagsabgeordneten, um die Ko-Finanzierung schnellstmöglich voranzutreiben. Welche Summe im Rahmen der Ko-Finanzierung bereitgestellt werden kann, könne derzeit nicht gesagt werden.

Bis die Ko-Förderung steht, versuchen die Gründerzentren mit den Mitteln, die ihnen noch bleiben, Unternehmensgründungen trotzdem so gut es geht zu unterstützen. Sie glauben fest daran, dass sie die Chance haben, Sachsen-Anhalt maßgeblich voranzubringen. Getreu dem Motto: "Modern denken".

MDR (Leonard Schubert)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 16. Januar 2023 | 10:00 Uhr

10 Kommentare

weils so nicht unwidersprochen bleiben darf am 15.01.2023

"Sachsen-Anhalt überdenkt die Form der Gründungsförderung"
wäre wohl die bessere Überschrift gewesen.
Denn darum geht es.
"Kontinuität in der Gründungsförderung" ( - wie sie verständlicherweise diejenigen fordern, die momentan Förderung beziehen -) zum PRINZIP zu machen, ist der Anfang vom Ende einer wirklich innovativ wirksamen Verwendung von Fürderungsmitteln.
Statt dessen ist ständig zu evaluieren - und eben auch manches Bestehende zu verwerfen. Um Mittel für NEUES frei zu machen. - Sonst entsteht in kürzester Zeit eine GRÜNDUNGSFÖRDERUNGSBUROKRATIIE. In der an sich innovative junge Menschen so lange "gefördert" werden, bis sie den Absprung in die Wirklichkeit entgültig verpasst haben.

Da passt auch die Schreibweise "Ko-Finanzierung" (statt Kofinanzierung); immerhin schon der halbe Weg zu "K.o.-Finanzierung"!

weils so nicht unwidersprochen bleiben darf am 15.01.2023

Stimmt. - Aber andererseits: bei einem Blick auf alle anderen Bundesländer ...
-
Ich denke, man kann das überhaupt ziemlich weltweit verallgemeinern:
Die Menschen können einem leid tun. Vor allem, wenn sie Regierungen haben ...

AlexLeipzig am 15.01.2023

Shantuma, gute Rechnungen sind von Kommentatoren auch nicht regulär zu erwarten: entscheidend bei der Förderung ist die Bilanz, wieviel Euro pro geflossenem Förder-Euro anschließend erwirtschaftet werden. Haben Sie dazu Zahlen, daß Ihre Beurteilung so negativ ausfällt? Zumal 32 Mio in einem Landeshaushalt eine ziemlich lächerliche Größenordnung darstellen...

Mehr aus Magdeburg, Börde, Salzland und Harz

Hintereingang zum Universitätsklinikum Magdeburg.
Hohe Kosten durch dezentrale Lage und schlechten Brandschutz: Das Universitätsklinikum in Magdeburg muss dringend saniert werden. Bildrechte: imago/Christian Schroedter

Mehr aus Sachsen-Anhalt