Mann wird von zwei Justizbeamten in einen Gerichtssaal geführt.
Das Urteil im Kezhia-Prozess ist am Montag gefallen. Bildrechte: MDR/Bernd-Volker Brahms

Viele Wendungen Was bisher im Prozess um die getötete 19-jährige Kezhia geschah

Von Bernd-Volker Brahms

30. Januar 2024, 09:20 Uhr

Ende Januar wurde das Urteil im Prozess um die getötete Kezhia H. aus Klötze gesprochen. Es gab mehrere spektakuläre Wendungen in dem Prozess, der seit September am Stendaler Landgericht lief. Nun wurde der 43-Jährige, der auch der Liebhaber der jungen Frau war, zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Mordes verurteilt.

Ein Mann steht vor einem Bücherregal
Bildrechte: MDR/Hannah Singer

Es ist mucksmäuschenstill im Saal 218 des Landgerichtes Stendal, als an diesem Freitag im Oktober die Rechtsanwältin Julia Melz das Wort ergreift. Die Leipziger Juristin ist eine von zwei Verteidigerinnen des 43-jährigen Angeklagten Tino B.. Sie liest fünfeinhalb DIN-A4-Seiten vor, in denen ihr Mandant beschreibt, wie er seine Freundin mit unendlich vielen Messerstichen getötet hat. Die entscheidenden Worte des Geständnisses lauteten: "Ich habe dann irgendwie zugestochen. Warum und wie oft, weiß ich nicht. Es ging alles furchtbar schnell. Ich fühlte mich wie in einem Tunnel. Alles zog an mir vorbei. … ich habe Kezhia getötet." Eine erste Wende im Prozess.

Ich habe dann irgendwie zugestochen. Warum und wie oft, weiß ich nicht. Es ging alles furchtbar schnell. Ich fühlte mich wie in einem Tunnel. Alles zog an mir vorbei … ich habe Kezhia getötet.

Angeklagter Tino B.

Bis zu diesem 20. Oktober hatte der Angeklagte eisern geschwiegen. Alles lief auf einen zähen Indizienprozess hinaus. Doch dem dreifachen Familienvater, der seit Jahren ein uneheliches Verhältnis mit der Getöteten geführt hatte, war wohl bewusst geworden, dass die Indizienlast zu groß war, als dass er das Verbrechen ernsthaft leugnen könnte. 

Anklage: Mord

Die Staatsanwältin Ramona Schlüter hatte sich schon bei der Anklage weit vorgewagt und Mord durch 32 Messerstiche angeklagt. Wobei die Tat "im Verlauf oder unmittelbar nach einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr" geschehen sein soll. Dabei sei die Frau "nicht in der Lage gewesen, Gegenwehr zu leisten." Mithin sollte der Tatbestand der Heimtücke erfüllt und damit im juristischen Sinne ein Mord passiert sein. Mindestens 15 Jahre Haft sind dafür laut Gesetz veranschlagt. Mit seinem Geständnis am dritten Verhandlungstag schilderte der angeklagte Elektriker, dass er seine Freundin zwar getötet hat, dies allerdings im Affekt geschehen sei. Nicht mehr Mord sondern Totschlag sollte es gewesen sein - was einen Unterschied von mehreren Jahren Gefängnis ausmacht. 

Angeklagter meldet Kehzia H. als vermisst

Das Blatt für den Angeklagten schien sich zu wenden. Der Mann hatte bis dahin eisern geschwiegen. Am 16. April war er in Untersuchungshaft genommen worden. Es war der Tag, an dem die Leiche von Kezhia H. am Rande einer Kiesgrube in der Gemeinde Bahrdorf (Landkreis Helmstedt) gefunden wurde. Tino B., der einstmals Fußballtrainer beim VfB Klötze war und dort auch das spätere Opfer Kezhia kennenlernte, sagte sechs Monate lang kein Sterbenswörtchen.

Am 6. März – zwei Tage nach dem Tod von Kezhia H. – war der spätere Angeklagte derjenige, der die junge Frau bei der Polizei als vermisst gemeldet hatte. Er sei mit ihr in seinem Firmenwagen von Klötze aus nach Braunschweig gefahren und habe sie dort abgesetzt, soll er nach Angaben eines Polizisten ausgesagt haben. Kezhia sei dann später nicht am verabredeten Ort gewesen. 

Ein Briefkasten mit der Aufschrift "Landgericht Stendal".
Der Angeklagte wurde vom Landgericht Stendal zu lebenslanger Haft verurteilt. Bildrechte: MDR/Bernd-Volker Brahms

Geoinformatiker bringt Wende

Schon bei der Zeugenvernahme habe er sich in Widersprüche verstrickt, sagten mehrere Polizisten später im Prozess aus. Das Haus und auch das Fahrzeug von Tino B. wurden von der Polizei untersucht. Der Mann galt früh als hochgradig verdächtig. Da aber die Leiche wochenlang nicht gefunden wurde und es keine handfesten Indizien gab, blieb er auf freiem Fuß.

Die Wende brachte ein Geoinformatiker von der Jade Hochschule in Oldenburg. Professor Thomas Brinkhoff wertete mit einem Team die Fahrzeugdaten für die Polizei aus. Als Daten hatten sie die Zeitangabe sowie die Geschwindigkeit in Kilometern pro Stunde zur Verfügung. Damit rekonstruierten sie den Fahrweg und ermittelten am Ende den Tatort, den Zwischenablageort sowie die Stelle, wo letztlich Kezhia H. vergraben wurde. Bemerkenswert dabei: Der Polizei standen die Fahrzeugdaten exakt ab dem Tattag zur Verfügung. Alle vorherigen Daten waren turnusgemäß gelöscht worden. Wäre das Fahrzeug nur einen Tag später untersucht worden, wäre der Leichenfundort nie entdeckt und der Prozess möglicherweise nie eröffnet worden. Der Professor schilderte mehrere Stunden lang vor Gericht sein Vorgehen.

Thomas Brinkhoff (r.), Sachverständiger im Kezhia-Prozess
Geoinformatiker Thomas Brinkhoff (r.) hat Fahrzeugdaten für die Polizei ausgewertet. Bildrechte: MDR/Jade HS/Andreas Rothaus

Sechs Stiche ins Herz

Ebenfalls mehrere Stunden kam am 1. Dezember der Gerichtsmediziner Dr. Thomas Rothämel von der medizinischen Hochschule Hannover zu Wort. Er beschrieb detailliert die 32 Stichwunden am Körper der getöteten Frau – sechs Stiche gingen dabei ins Herz. "Sie ist von Innen und Außen verblutet", sagte der erfahrene 62-jährige Sachverständige vor Gericht. Auf hartnäckige Nachfrage von Richter Ulrich Galler bestätigte der Mediziner, dass das Verletzungsbild in keinem Widerspruch zu den geständigen Angaben des Angeklagten stehen würde.

Sie ist von Innen und Außen verblutet.

Gerichtsmediziner Dr. Thomas Rothämel

Auch das vom Angeklagten zum Auftakt des Prozesses gezeichnete Obstmesser könne ein Abbild der Tatwaffe sein, bestätigte er. Damit hatte es eine erneute Wende im Prozess gegeben. Der Experte stützte fast schon überraschend die Angaben von Tino B., während viele Zeugen ihn zuvor als einen notorischen Lügner dargestellt hatten. War es möglicherweise doch eine Affekttat?

Tathergang mit Dummys nachgestellt

Ein Ass zog dann Staatsanwältin Ramona Schlüter kurze Zeit später aus dem Ärmel. Sie beauftragte eine Spezialeinheit des Landeskriminalamtes Sachsen in Dresden damit, die Angaben des Angeklagten zu visualisieren. Das Firmenfahrzeug wurde 3-D-vermessen, außerdem wurden zwei Dummys nach den Körpermaßen des Angeklagten und des Opfers nachgebaut. Anschließend wurde anhand der Angaben des Angeklagten das Tatgeschehen rekonstruiert. Am Ende konstatieren die Experten, dass ihnen für eine exakte Nachstellung vielfach Angaben fehlen würden. Trotzdem reicht es zu einer bemerkenswerten Gesamtaussage der Experten, wie sie Richter Galler im Gerichtssaal zum Besten gab: Die Tat kann nicht in der Weise geschehen sein, wie der Angeklagte es im Geständnis geschildert hatte. Damit gab es eine neuerliche Wende im Prozess.

Verteidigerinnen wirken beinahe hilflos

Mit den Angaben bekam auch Anwalt Holger Stahlknecht Oberwasser. "Es bestätigt meine Annahme, die ich von Anfang an hatte. Es war Mord", sagte er. Stahlknecht vertritt die Mutter von Kezhia in einer Nebenklage. "Er hat ein Netz von Lügen aufgebaut gegenüber seiner Familie, gegenüber der Getöteten. In diesem Netz hat er sich immer mehr verstrickt und verfangen. Und am Ende wusste er keinen anderen Ausweg, als das arme Mädchen zu töten", sagte Stahlknecht MDR SACHSEN-ANHALT.

     

Zum Ende des Prozesses wirkte es nahezu hilflos von den beiden Verteidigerinnen, noch eine Arbeitshose des Angeklagten als Beweismittel in den Prozess einzuführen. Löcher in der Hose sollten ein Gerangel mit dem Opfer belegen. Staatsanwältin Ramona Schlüter: "Es ist nicht mal klar, ob er die Hose überhaupt am fraglichen Tage getragen hat." Richter Galler verwirft den Antrag. Eine neuerliche Wendung wird es nicht mehr geben.

Am 29. Januar 2024 fiel dann das Urteil – lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes.     

Mehr zum Prozess um die getötete Kezhia

MDR (Bernd-Volker Brahms, Sebastian Gall) | Erstmals veröffentlicht am 27.01.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 29. Januar 2023 | 19:00 Uhr

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