Energiewende in Lüderitz Wie Kommunen in Afrika und in der Altmark von der Energiewende profitieren wollen
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21. Juli 2023, 16:32 Uhr
In Lüderitz in Namibia soll eine der weltweit größten Anlagen zur Wasserstoffproduktion entstehen. Ein kleines Dorf in der Altmark heißt ebenfalls Lüderitz und ist Partnergemeinde der afrikanischen Hafenstadt. Die Kommunen haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen und unterstützen sich gegenseitig.
Im namibischen Lüderitz ist seit Jahrzehnten die Hoffnung zu Hause. Erst soll der große Hafen den Aufschwung bringen, dann ein Flughafen und Tourismus. Nun macht der Bau einer der weltweit größten Produktionsstätten für grünen Wasserstoff Schlagzeilen. Ein Konsortium namens Hyphen mit deutscher Beteiligung will in etwa fünf Jahren in der westafrikanischen Wüste jährlich rund 350.000 Tonnen Wasserstoff herstellen. Es wäre ein gigantisches Projekt – sollte es verwirklicht werden. Doch was die Menschen in Lüderitz am meisten umtreibt, ist die Frage, was sie selbst davon hätten.
Eine ähnliche Diskussion gibt es rund 12.000 Kilometer weiter nördlich. Auch hier stehen die Fragen im Raum, was die Einwohner von der Energieerzeugung in ihrer Region haben und wie sie sich daran beteiligen können. Lüderitz ist ein Ortsteil der Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte in Sachsen-Anhalt. Die Kommune in der Altmark ist neben der afrikanischen Hafenstadt der einzige Ort weltweit, der so heißt. Und seit einigen Jahren verbindet Lüderitz (Deutschland) und Lüderitz (Namibia) eine kommunale Partnerschaft. Eine Delegation aus Deutschland reiste erst im November nach Afrika und besuchte die Menschen in der namensgleichen Stadt.
Wenige Menschen und viel Energie
"Sie haben so viel Potenzial", sagt Sarah Giese über die Partner in Afrika. Giese ist Leitende Lehrkraft an der Grundschule im altmärkischen Lüderitz und war bei der Reise mit dabei. Die Natur, die Flora und Fauna seien wunderschön. Auf einer Insel in der Lüderitzbucht leben Pinguine und Flamingos zusammen – einmalig. Und die Stadt sei faszinierend. Vor allem die historischen Häuser, die Kirche, die deutschen Straßennamen. Die Überbleibsel der deutschen Kolonialisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert sind bis heute an jeder Ecke sichtbar – aber auch die Armut. Es gibt keine genau erhobenen Zahlen, man geht jedoch von rund 50 Prozent Arbeitslosigkeit aus. "Dennoch leben so viele motivierte Menschen in Lüderitz, die aus wenig viel machen", schildert Giese ihre Eindrücke.
Dieser Gedanke ist leicht in die Altmark zu übertragen. Die strukturschwache Region im Norden von Sachsen-Anhalt ist dünn besiedelt und hat wenig Industrie. Dafür wächst seit Jahren die Menge der aus erneuerbaren Quellen erzeugten Energie. Im Landkreis Stendal, in dem sich das Dorf Lüderitz befindet, ist schon im Jahr 2020 rund fünfmal so viel Energie aus Windkraft, Photovoltaik und Biomasse produziert worden, wie die dort lebenden Menschen selbst benötigen. Den größten Anteil daran macht die Windenergie aus, etwa 80 Prozent. Ein weiterer Ausbau soll folgen.
Windkraft im Landkreis Stendal
In Sachsen-Anhalt gibt es derzeit 2.807 Windenergieanlagen. Im Landkreis Stendal drehen sich aktuell 376 Windkrafträder allein im 5-Kilometer-Umkreis um Lüderitz 45.
Quelle: Ministerium für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt
Zieht die Energie Industrie an?
Mit jedem neuen Projekt fragen sich allerdings viele Altmärker, was sie selbst davon haben. Denn mehr als weitere "Windmühlen" vor der Nase und mit Solarmodulen zugepflasterte Äcker bringe ihnen die Energiewende nicht, so die Kritiker.
"Wir stehen beim Thema Beteiligung bei null, genau wie unsere Partner im afrikanischen Lüderitz", sagt Andreas Brohm (parteilos). Er ist der Bürgermeister der Einheitsgemeinde Stadt Tangerhütte, zu der Lüderitz gehört. In Dänemark gebe es das Konzept, dass jedes zehnte Windrad den Einwohnern zugutekomme – die Gewinne also in die lokale Entwicklung, in Kitas, Schulen, Gehwege fließen könnten. In Deutschland sei es kompliziert, sagt Brohm. Das mache es derzeit so schwierig, neue Projekte für Photovoltaik oder Windenergie starten zu können.
Wir stehen beim Thema Beteiligung bei null, genau wie unsere Partner im afrikanischen Lüderitz.
Das Problem ist auch im zuständigen Ministerium in Magdeburg längst erkannt worden. "Wir erleben den Unmut in der Bevölkerung, dass man nichts davon hat", sagte Energieminister Armin Willingmann (SPD) bereits im März dem MDR und kündigte einen Gesetzentwurf an. Das neue Gesetz soll eine Beteiligung der Einwohner an neuen regenerativen Energieanlagen regeln. Der Minister denkt dabei an Modelle, die finanzielle Anreize sowohl für Kommunen als auch für Bürgergenossenschaften schaffen.
Außerdem stellt sich Willingmann vor, dass Einwohner vergünstigten Strom beziehen können, wenn er in der Gemeinde produziert worden ist. Allerdings wird dies nicht mehr für bestehende Windkraftanlagen wie etwa in Lüderitz gelten. Zum aktuellen Stand des Gesetzes wollte sich das zuständige Ministerium auf MDR-Anfrage derzeit nicht äußern und verwies auf einen späteren Zeitpunkt.
Bürgermeister Brohm steht unterdessen in engem Kontakt mit den Verantwortlichen im afrikanischen Lüderitz. Er kennt ähnliche Bedenken wie aus seiner Kommune auch von dort – und noch weitere, die das geplante Großprojekt betreffen. Wie wird sich die 15.000-Einwohner-Stadt in Namibia entwickeln, wenn während der Bauphase des Energie-Megaprojektes bis zu 15.000 Bauarbeiter in Lüderitz hinzukommen? Was passiert mit den tausenden Tonnen Salz, die nach der Entsalzung des Meerwassers übrigbleiben? Kommt Wirtschaftskraft und Arbeit in die beschauliche Hafenstadt? Und bleibt ein Teil des produzierten grünen Wasserstoffes in der Region? Schon jetzt haben sich Unternehmen aus Asien und Europa laut Medienberichten Abnahmemengen gesichert.
Indes könnte das Projekt auch die Probleme der Gemeinde mit der Wasserversorgung entschärfen. Die Planer wollen von dem entsalzten Wasser, das für die Wasserstoff-Produktion notwendig ist, einen kleinen Teil für die Trinkwasserversorgung der Stadt abzweigen.
Namibier in die Altmark eingeladen
Deutschland wird in Zukunft den eigenen Bedarf an Wasserstoff nicht allein decken können. Für Sachsen-Anhalt spiele der grüne Wasserstoff, den andere Länder nach Deutschland exportieren werden, eine entscheidende Rolle, sagt eine Sprecherin der Landesenergieagentur Lena dem MDR. Das Bundesland könne aufgrund seiner zentralen Lage zukünftig ein bedeutender Drehpunkt der nationalen Wasserstoffversorgung werden. Zudem sei am Projekt in Namibia mit der Firma Enertrag auch ein Unternehmen involviert, dass sich in Sachsen-Anhalt ebenfalls stark in die Transformation der Energiegewinnung einbringe. Dadurch würden sich Synergieeffekte beim Ausbau der Erzeugungskapazitäten der grünen Wasserstoffwirtschaft ergeben, so die Sprecherin weiter.
Andreas Brohm fragt sich, warum die gewonnene Energie in den meisten Fällen eigentlich zu den Industriestandorten transportiert werden muss. "Warum können wir nicht dort Industrie ansiedeln, wo die Energie entsteht?" Das gelte für Lüderitz in Namibia wie in Deutschland. In der aktuellen Phase der Ansiedlung in Afrika unterstützt die deutsche Kommune ihre Partner in Namibia. Es wurden Kontakte zum deutschen Ableger des Investoren-Konsortiums hergestellt und Brohm hat die Vertreter aus Lüderitz in die Altmark eingeladen. Im September oder Oktober soll es soweit sein und eine namibische Abordnung wird in der Altmark empfangen. Dann steht auch ein Austausch über die Fragen der Energiewende auf dem Programm.
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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | SACHSEN-ANHALT HEUTE | 26. März 2023 | 19:18 Uhr
DER Beobachter am 22.07.2023
Wenn Hilfloser und Renfield sich mehr mit der Materie beschäftigen oder wenigstens die von Ihnen kommentierten Texte mal verstehend lesen wollten, müssten sie nicht immer ihren Quark hier reinwerfen... oben steht u.a. das Interesse mehrerer asiatischer und europäischer Staaten an dem Projekt. Konkreter sind wieder mal zuerst Japan, aber auch Norwegen und Australien so unterwegs und arbeiten weiter dran. Da denken offenbar die Ökonomen weiter als Kleinmäxchen sich vorzustellen vermag....
randdresdner am 21.07.2023
Es ist doch viel besser unabhängiger von Öl zu sein. Mit sinkenden Ölvorräten (die wohl noch ca. 40 Jahre reichen) wird auch der Preis pro Liter Öl stak ansteigen.
Gut ist es doch, jetzt schon mit Alternativen anzufangen, um dann nicht erst zu beginnen, wenn der Schuh drückt.
Von mir einen Daumen hoch für dieses Projekt.
randdresdner am 22.07.2023
@hilflos - Wie kommen Sie denn darauf?