Mehrere weiß gekleidete Schauspielerinnen und Schauspieler sind um einen weißen Fernseher versammelt und fiebern den Ereignissen darin entgegen. 33 min
Szene aus "Das beispielhafte Leben des Samuel W." Bildrechte: Pawel Sosnowski
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Zur Uraufführung des Theaterstücks "Das beispielhafte Leben des Samuel W." sind Autor Lukas Rietzschel und Regisseur Ingo Putz im Gespräch mit MDR KULTUR-Theaterredakteur Stefan Petraschewsky.

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"Das beispielhafte Leben des Samuel W." Theaterstück von Lukas Rietzschel über fiktiven AfD-Politiker in Zittau

17. Januar 2024, 12:36 Uhr

Lukas Rietzschel hat ein Stück über einen fiktiven AfD-Politiker geschrieben. "Das beispielhafte Leben des Samuel W." ist auch ein Porträt Sachsens in der heutigen Zeit. Rietzschel gilt seit seinem Debüt-Roman "Mit der Faust in die Welt schlagen" als Erfolgsautor und Befindlichkeitserklärer für Ostdeutschland. Am 20. Januar wird "Das beispielhafte Leben des Samuel W." in Zittau uraufgeführt.

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Das neue Stück "Das beispielhafte Leben des Samuel W." über einen fiktiven AfD-Politiker hat Lukas Rietzschel als Auftragswerk für das Gerhart-Hauptmann-Theater in Görlitz-Zittau geschrieben. Am 20. Januar ist die Uraufführung.

Kein erhobener Zeigefinger

2021 bekam er den Auftrag, hatte dann rund 100 Interviews geführt, manchmal zwei Stunden lang, und sich so mit den Mitteln eines Dokumentaristen an den Theatertext herangearbeitet. Der ist am Ende kein Abbild der Realität, sondern verdichtet die Interviews zu einer Collage, in der Interviewsentenzen sortiert und gegenübergestellt werden, sich auch reiben und widersprechen.

Gerhard-Hauptmann-Theater Zittau, ein langgezogener Theaterbau mit breitem Säulenportal und darüber großen Fenstern. Davor ein leerer Platz.
Am Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau feiert das Stück "Das beispielhafte Leben des Samuel W." seine Premiere. Bildrechte: IMAGO / Hanke

So entsteht ein Chor unterschiedlicher Positionen. Allerdings ohne belehrenden Zeigefinger und ohne Moral. Das ist Rietzschel wichtig. Das Publikum soll sich selbst seine Meinung bilden.

Fiktiver AfD-Politiker taucht gar nicht auf

Dabei hat das Stück einen ganz besonderen Clou: Samuel W. selbst taucht als Figur gar nicht auf. Stattdessen erzählen Freunde und Weggefährten, wie Samuel W. geworden ist, was er ist, und wie er zu seinen politischen Standpunkten kam.

Für Rietzschel ist diese Abwesenheit des Protagonisten zunächst eine Methode. Wie bei einer Geburtstagsfeier, zu der man eingeladen sei, aber das Geburtstagskind gar nicht kenne. Dann versuche man die anderen Gäste über den Gastgeber auszufragen.

Zwei weiß gekleidete Bauarbeiter stehen um einen weiß gekleideten Mann im Anzug und schauen in Baupläne. Im Hintergrund ist eine weiß gekleidete Familie mit Kinderwagen sichtbar.
Das Bühnenbild beeindruckt ganz in Weiß. Bildrechte: Pawel Sosnowski

Erklärungsversuch der politischen Verhältnisse

Das Tolle sei, "dass man dadurch etwas über diesen Samuel W. erfährt, aber auch viel über die Menschen, die da gesprochen haben und über deren Zeitverständnis, über deren Deutschland in den letzten Jahren."

Als vielschichtiges Porträt ist es im Jahr der sächsischen Landtagswahl mit einer AfD im Aufwind auch ein Erklärungsversuch der politischen Verhältnisse hierzulande. Im Text heißt es an einer Stelle: "Wer ist Samuel W.? Ein Gedanke? Eine Idee? Steht Samuel W. für einen Ort? Oder für eine Zeit? Ist er wir?"

Inspiration aus Rietzschels Heimat

Die Rahmenhandlung für das neue Stück ist eine Wahlkampfveranstaltung, eine Podiumsdiskussion im Theater, bei der zwei Bürgermeisterkandidaten vor Publikum Rede und Antwort stehen.

Auf die Frage, ob es ein reales Vorbild für Samuel W. gebe, antwortet Rietzschel: "Nein, gibt es nicht." Fügt dann aber hinzu, dass es von der Bürgermeisterwahl in Görlitz 2019 inspiriert sei, wo am Ende zwischen zwei Kandidaten der AfD und der CDU entschieden worden war: "Da saßen Sebastian Wippel und Octavian Ursu auf der Bühne und es war ein allererster Gedanke, im Theater noch mal diesen Theaterabend Revue passieren zu lassen. Ich bin aber dann davon weggekommen."

Zwischen DDR-Erinnerungen und Fachkräftemangel

Das Stück ist auch eine lange Reise in die Vergangenheit, in die DDR, mit ihren Wegmarken: Auferstanden aus Ruinen. Nie wieder Krieg! Völkerfreundschaft. 40 Jahre später spielen Wende und die Nachwendezeit, spielen blühende Landschaften und enttäuschte Hoffnungen auch eine Rolle.

Aber das Stück schlägt den Bogen noch weiter. Inzwischen stünde hierzulande eine neue Generation am Start, die sich Gedanken um die Zukunft mache, meint Rietzschel. Bleiben oder Gehen? Gehen wie die Eltern in den 90ern, in den Westen? Oder Bleiben im Osten der Großeltern, wo es nun ein sogenanntes "Demographieproblem" gibt? Auch Fachkräftemangel.

Und immer spiele Lebensqualität, auch die politische Lebensqualität mit hinein. Dass eine Partei wie die AfD hier so stark sei, spiele in den Gesprächen und Interviews bei Jüngeren eine Rolle, erklärt Rietzschel, der selbst in der SPD aktiv ist. Er nimmt "berechtigte Sorgen" wahr: "Also diese Fragestellung: Ist es hier die Umgebung, in der wir leben wollen und in der unsere Kinder aufwachsen wollen?"

Autor lebt bis heute in der Lausitz

Lukas Rietzschel wurde 1994 in der Lausitz, in einem Dorf bei Kamenz geboren. Er ist – anders als viele Menschen seiner Generation – aber nicht weggezogen, sondern hat sich nach dem Studium für ein Leben in Görlitz entschieden. Aus diesem Landstrich bezieht er auch seine literarischen Themen.

Seit seinem Romandebüt "Mit der Faust in die Welt schlagen" gilt er als Befindlichkeitserklärer Ost. Was Schriftstellerkollege Clemens Meyer als Porträt einer ersten Nachwendegeneration im Klassiker "Als wir träumten" für die 90er-Jahre beschreibt, führt Rietzschel als Porträt einer Generation im neuen Jahrtausend fort.

Ein vielschichtiges Bild

Ingo Putz ist Schauspieldirektor am Gerhart-Hauptmann-Theater und hier auch der Regisseur. Zum Stücktext will er den Alltag aus einem normalen bürgerlichen Leben in Szene setzen: Menschen bei der Arbeit, beim Hausbau, beim Fußballgucken. Zu sehen sind also Akteure, die nicht das tun, worüber sie erzählen. Wieder entsteht Reibung, weil das Wort nicht zum Bild passt, das das Leben in einer konservativ geprägten, idealisierten Kleinstadt uns vorstellen will.

Lukas Rietzschel 19 min
Bildrechte: imago/Sven Simon
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Vor der Uraufführung seines Werkes "Das beispielhafte Leben des Samuel W." konnte Andreas Berger mit Lukas Rietzschel sprechen. Wie kam es zu diesem Werk und welche Bedeutung hat es?

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Mo 15.01.2024 17:00Uhr 19:13 min

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Trotzdem passt diese Regieidee hier zum Stück. Sie stellt uns eine Lebenswelt vor, wie es auch der Text tut; nur eben auf einer anderen Ebene. So entsteht am Ende vielleicht ein vielschichtiges, aber eben auch präzise gezeichnetes Bild. 

Quelle: MDR KULTUR (Stefan Petraschewsky), Theater Görlitz-Zittau, Redaktionelle Bearbeitung: op

Die Aufführung "Das beispielhafte Leben des Samuel W."
Theaterstück aus Interviewsequenzen von Lukas Rietzschel
Auftragswerk des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau

Regie: Ingo Putz

Es spielen: Martha Pohla, Sabine Krug, Paul-Antoine Nörpel, David Thomas Pawlak, Marc Schützenhofer, Elise de Heer

Aufführungen:
20. Januar | 19:30 Uhr | Haus Zittau – Hinterm Eisernen Vorhang
26. Januar | 19:30 Uhr | Haus Zittau – Hinterm Eisernen Vorhang
27. Januar | 19:30 Uhr | Haus Zittau – Hinterm Eisernen Vorhang
01. Februar | 10:00 Uhr | Haus Zittau – Hinterm Eisernen Vorhang
04. Februar | 15:00 Uhr | Haus Zittau – Hinterm Eisernen Vorhang
09. März | 19:30 Uhr | Haus Zittau Hinterm Eisernen Vorhang
11. Mai | 19:30 Uhr | Haus Görlitz – Großer Saal
12. Mai | 19:30 Uhr | Haus Görlitz – Großer Saal

Transparenz-Hinweis Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hatten wir nicht erwähnt, dass Lukas Rietzschel aktives SPD-Mitglied ist. Das haben wir nachträglich ergänzt.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 16. Januar 2024 | 18:05 Uhr

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