Textima
Wolfgang Lötzsch besitzt ein Rennrad, das bei Textima für die Rennfahrer der DDR-Elite gebaut wurde. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Radsport Der Rennrad-Schatz in Wolfgang Lötzschs Schuppen in Chemnitz

04. Juni 2023, 05:00 Uhr

Das Sächsische Fahrzeugmuseum Chemnitz hatte Rennräder aus der Textima-Schmiede gesucht. Die Räder, die nur die Spitzenfahrer der DDR fahren durften, wurden in einer extra eingerichteten Forschungsabteilung ab den 1970er-Jahren hergestellt. Einer, der noch so ein Rad hat, ist Wolfgang Lötzsch. Der Sachse hat selbst DDR-Radsportgeschichte geschrieben. Und auch sein Rad wird ab 11. Juni in der Sonderausstellung zu sehen sein.

Es ist etwas schummerig in der Werkstatt, in der ich Wolfgang Lötsch treffe. An den Wänden hängen unzählige Siegerkränze aus seiner aktiven Zeit als DDR-Radsportler. Davor sind Laufräder und Zahnkränze aufgereiht. Der mittlerweile 70 Jahre alte Wolfgang Lötzsch hat sein Textima-Rad gerade noch vom Staub der Jahrzehnte befreit und für die Ausstellung "Geheime Entwicklungen - DDR-Rennräder von Textima" im Chemnitzer Fahrzeugmuseum aufpoliert.

In einer Werkstatt hängen Siegerkränze und Fahrradfelgen.
Lötzsch ist pragmatisch: Laufräder und Siegerkränze hängen in seiner Werkstatt nebeneinander. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Räder für Sieger - doch wer Sieger wird, bestimmt die DDR-Führung

Lötzsch fuhr diese Sonderanfertigung. Die war einst in einer geheimen Abteilung des Textima-Kombinates in der Karl-Marx-Städter Nordstraße von einer Gruppe Spezialisten von Hand gefertigt worden. Er selbst sei von seinem Betrieb zur "sozialistischen Hilfe" an die Nordstraße abkommandiert worden. "Ich habe ab 1983 als Testfahrer für sie gearbeitet, weil ich Erfahrung aus hunderten Radrennen mitgebracht habe." 552 Mal hat er auf dem Siegertreppchen gestanden und dabei oft die DDR-Radsportelite deklassiert. Dazugehören durfte Wolfgang Lötzsch aus politischen Gründen nicht.

Wolfgang Lötzsch (GER) ehemaliger DDR Radrennfahrer verbüßte 1976 in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Karl-Marx-Stadt seine Haftstrafe von 10 Monaten wegen Staatsverleumdung. 26 min
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Dokumentation & Feature Sa 06.05.2023 09:00Uhr 26:22 min

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Stattdessen musste er für zehn Monate in Haft. Er hatte sich über die ungerechten Sanktionen gegen sich als Fahrer beschwert und für Wolf Biermann sympathisiert. Wegen "Staatsverleumdung" muss er ins Kaßberg-Gefängnis. Mit tausenden Kniebeugen täglich habe er gegen die Leere angekämpft und sich gleichzeitig fit gehalten für die Zeit nach dem Gefängnis, erzählt Lötzsch. Auch wenn der offizielle Sport ihn vom Ruhm der Sieger fernzuhalten versuchte - auf die Textima-Entwicklungen lässt er nichts kommen. "Was die gemacht haben, hatte Hand und Fuß."

"Neuererwesen" mit Technik vom "Klassenfeind"

In der Manufaktur seien die Räder mit einer modernen Rahmengeometrie entstanden. "Da ist auch viel experimentiert worden. Messerspeichen, Felgen mit Tropfenprofil, eigene Felgenbremsen - da war schon viel möglich." Wenn man die Abteilung nicht nach 1989 abgewickelt hätte, wären die Entwicklungen heute noch Weltspitze, ist sich Lötzsch sicher. Obwohl an seinem Textima-Rad die Schaltung, Bremsen und der Antrieb vom "Klassenfeind" beschafft wurden, gab es auch jede Menge Innovation aus dem eigenen Haus. Damals hätte man es "Neuererwesen" genannt. "Wir mussten ja etwas entwickeln, damit es weitergeht", sagt Lötzsch mit einem Lachen.

Was die gemacht haben, hatte Hand und Fuß.

Wolfgang Lötsch über die Entwickler der Textima-Räder

Detail eines Rennrades: Doppelschalthebel, verzierte Muffen und eine verchromte Gabel.
Die Schaltung war "Made in Italy", aber die Rahmen für die DDR-Eliteradsportler entstanden in einer Manufaktur in Karl-Marx-Stadt. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Vom Radsportler zum Mechaniker zum Trainer

Die Textima-Schmiede hat auch in gewisser Weise den Grundstein für Lötzschs späteren Berufsweg als Mechaniker bei mehreren Profi-Radsportteams gelegt. "Damals wusste ich ja nicht, was noch auf uns zukommt", sagt Lötzsch. "Ich habe das Einspeichen von Laufrädern hier gelernt, weil laut Jahresplan 1.000 Rennräder zusätzlich gebaut werden sollten." Da habe jeder zur Planerfüllung beitragen müssen.

Auch als Trainer war Wolfgang Lötzsch noch beim ESV Lokomotive Zwickau erfolgreich. "Das macht einen schon ein bisschen stolz, wenn Du als Dank von Deinen Jungs die Trikots bekommst, mit denen sie Juniorenweltmeister und Junioreneuropameister geworden sind."

Nach einem schweren, unverschuldeten Radunfall im Juni 2022 kämpft sich Wolfgang Lötzsch wieder einmal zurück ins Leben. "Wenn ich mich aufgegeben hätte, wäre schon lange Ruhe", sagt er bestimmt. Ein Motto, mit dem er bisher durch alle Höhen und Tiefen des Radsportlerlebens gekommen ist.

Der Ex-Radsportler Wolfgang Lötzsch mit seinem Buch "Lötzsch".
Über den Fall Lötzsch ist viel geschrieben worden in Zeitungen und Büchern. Sogar einen Film über sein Schicksal gibt es. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Textima-Ausstellung in Chemnitz ab Juni

Wolfgang Lötzsch wird auch beim Fahrradfest bei der Eröffnung der Sonderausstellung "Geheime Entwicklungen: DDR-Rennräder von Textima" am 11. Juni im Fahrzeugmuseum Chemnitz dabei sein. Sein Textima-Rennrad wird eines der 25 gezeigten Räder sein. Auch eine Werkstatt, die der legendären Schmiede in der Nordstraße nachempfunden ist, wird gezeigt. Dann werden Geschichten zur Geschichte des DDR-Radsports zwischen Pedalrittern und Besuchern ausgetauscht. Und Wolfgang Lötzsch kann viele erzählen.

Der Ex-Radsportler Wolfgang Lötzsch sitzt auf seinem Textima-Rennrad.
Zur Eröffnung der Sonderausstellung über die Textima-Fahrräder wird auch Wolfgang Lötzsch erwartet. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Feature | 06. Mai 2023 | 09:00 Uhr

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