Theater Wenn der Krieg die Bühne erobert: "Ajax" am Staatsschauspiel Dresden

30. Oktober 2023, 09:27 Uhr

Es herrscht Krieg im neuen Stück von Thomas Freyer. "Ajax" verbindet den antiken Mythos von Troja mit den aktuellen Kriegen unserer Tage. Das Stück wurde mit diesem Fokus als Werk für das Staatsschauspiel Dresden beauftragt. Die Inszenierung verbindet diese beiden Welten nicht nur inhaltlich, sondern auch visuell auf der Bühne.

Der Krieg hält mit dem neuen Stück "Ajax" von Thomas Freyer – einem Auftragswerk für das Staatsschauspiel Dresden – Einzug im Theater. Im echten Leben tobt er seit Jahr und Tag in der Ukraine. Ein neuer beginnt gerade im Nahen Osten. Auch der verspricht keiner von nur sechs Tagen zu werden.

Logisch, dass man am Theater da an den Krieg von Troja denkt, der zehn Jahre lang tobte und das Leben nicht nur einer Generation veränderte. Dem ersten Reflex, zu einem der alten griechischen Stücke zu greifen und es in neuer Regieherrlichkeit zu aktualisieren, hat man in Dresden widerstanden. Stattdessen wurde der Auftrag erteilt, etwas Neues zu schreiben, um die Thematik näher an unsere Zeit zu holen, hin zu den Kriegen der Gegenwart.

Drei Personen sitzen auf einer Theaterbühne, eine vierte ist aufgestanden und wirft einen großen Schatten.
Die Konfliktlinien verlaufen bei dem Stück auch zwischen den einzelnen Menschen. Bildrechte: Sebastian Hoppe

Thomas Freyer, 1981 in Gera geboren, der schon mehrfach erfolgreiche Stücke für das Dresdner Theater geschrieben hat, geht dabei einen doppelten Weg, indem er den antiken Mythos geschickt mit unserem heutigen Leben verbindet.

Zwei Welten – ein Weltenwanderer

Erzählt wird zum einen die Geschichte von Ajax, dem griechischen Helden, der in diesem Krieg nicht am Feind, sondern an sich selbst zugrunde geht und damit auch eine traumatisierte Familie hinterlässt. Es gibt aber noch eine zweite Ebene des Erzählens. Auch hier geht es um eine Familie: Vater, Mutter, Kind, die in einer Eigenheimsiedlung am Rande einer deutschen Gegenwartsstadt leben. Zwei Welten also und ein Weltenwanderer.

Ajax und der Vater aus der Vorstadt werden von ein und demselben Schauspieler gespielt: Oliver Simon ist das Scharnier. Im Hier und Heute ist er zunächst ein fürsorglicher Familienvater, der sich zum falschen Zeitpunkt als Photovoltaikverkäufer selbstständig macht und scheitert. Allein zu Haus weiß er nichts mit sich anzufangen und verfällt als digitaler Kriegsbeobachter allmählich seinem kleinen Wahn im Wohnzimmer. Er wird zum Verschwörungstheoretiker, zum Prepper, der das Eigenheim zur Festung aus- und im Garten einen Bunker einbaut. Der Schutzwall wächst, das Familienglück geht in die Brüche.

Ein Mann und eine Frau stehen auf einer Theaterbühne, hinter einem Gazevorhang steht eine weitere Person rückwärts zum Publikum und hat beide Hände emporgestreckt.
Uniformähnliche Kostüme prägen optisch die Inszenierung. Bildrechte: Sebastian Hoppe

Als Ajax ist er direkt ins Kampfgeschehen eingebunden. Die Wirkung auf die Familie ist ähnlich verheerend – mit dem Unterschied, dass sein antikes Kind selbst zum Schlächter werden will. Das Kind aus dem Hier und Heute wird zum Mann und verfällt in alkoholisierte Lethargie und totale Verweigerung dem Leben gegenüber. Allein die Mütter versuchen den Kopf oben zu halten, sich von diesen toxischen Ehemännern und schlussendlich auch vergifteten Kindern frei zu machen.

Einmal Troja und zurück

Wie muss man sich das szenisch vorstellen, diesen Weltenwechsel zwischen der antiken Welt Trojas und der Eigenheimsiedlung von heute? Die Bühnenbildnerin Sabrina Rox hatte eine einfache wie geniale Idee: Sie teilt mit einem bühnenbreiten Gazevorhang den Vor- und Hintergrund. Vorne und im lebensbunten Hellen spielt das Hier und Heute. Dahinter, im schwarzen Schattenspiel verzerrter Silhouetten, erahnt man die antike Welt.

Eine Frau steht vor einem Gazevorhang, vier Personen dahinter.
Die Bühne ist durch einen Gazevorhang zweigeteilt, der die beiden Welten – die antike und die moderne – trennen soll. Bildrechte: Sebastian Hoppe

Dieser Vorhang bietet Schlupflöcher. Zunächst für den Ajax-Vater in seiner Doppelrolle. Später wechseln auch die anderen Protagonisten immer wieder hin und her, beziehungsweise zueinander. Eine einfache Bühnenbildlösung für die spielerische Weltenverquickung, die Spielraum schafft, um die scheinbar immer gleiche Logik des Krieges und seine vielfältigen Folgen für die Menschen zu ergründen.

Das Ensemble und ein Primus inter Pares

Auf der Bühne steht gewissermaßen ein Konzentrat der schauspielerischen Klasse, die das Dresdner Ensemble ausmacht. Christine Hoppe und Holger Hübner sind seit Anfang der 1990er-Jahre dabei. Wer das schafft, muss einfach gut sein. Dazu Oliver Simon und Fanny Staffa, die erst seit ein paar Jahren mit an Bord sind. Die ganz Jungen, Kriemhild Hamann und Jakob Fließ, sind entweder von der Schauspielschule wegengagiert oder stecken als Studiomitglied noch mitten in der Ausbildung. Alle sechs werden klug von der Regie Jan Gehlers geführt.

Obwohl es hier um Krieg und Verheerung geht, gibt es kein planloses Gehetze und Gebrüll. Man folgt dem Text, findet gute Bilder, erlebt eine überzeugende Ensembleleistung. Und trotzdem sei einem die Krone verliehen: Oliver Simon – nicht nur weil er als Ajax und Vater doppelt so viel zu tun und Text zu lernen hatte, sondern weil er die ihm abverlangte toxische Männlichkeit auch in ihrer untergründigen Liebenswürdigkeit zu zeigen weiß. Ein harter, aber guter Abend. Einer der zum Nachdenken einlädt, nicht zum Parteinehmen.

Quelle: MDR KULTUR, Staatsschauspiel Dresden; Redaktionelle Bearbeitung: op

Die Aufführung "Ajax"
von Thomas Freyer
Auftragswerk für das Staatsschauspiel Dresden

Regie: Jan Gehler
Bühne: Sabrina Rox

Ajax / Vater: Oliver Simon
Mutter: Christine Hoppe
Sohn: Jakob Fließ

Kleines Haus
Glacisstraße 28, 01099 Dresden

Weitere Aufführungen:
07. November, 19:30 Uhr
18. November, 19:30 Uhr
01. Dezember, 19:30 Uhr
11. Dezember, 19:30 Uhr
23. Dezember, 19:30 Uhr

Dauer der Aufführung: 1h 45 min. (inkl. Pause)

Warnhinweis:
Während der Vorstellung werden Stroboskopeffekte eingesetzt, die bei Epileptikern oder epilepsiegefährdeten Personen unter Umständen Anfälle auslösen können.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 29. Oktober 2023 | 09:40 Uhr

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