Ein Angeklagter (M) im Prozess um den rechtsextremistischen Verlag «Der Schelm» wird vor Beginn der Verhandlung von einem Justizbeamten in einen Saal des Oberlandesgerichts geführt.
Nach den ersten beiden Prozesstagen haben die Angeklagten ihre Beteiligung am rechtsextremen Verlag "Der Schelm" gestanden. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa Pool | Sebastian Kahnert

Bundesanwaltschaft Prozess um Neonazi-Verlag "Der Schelm": Alle drei Angeklagten zeigen sich geständig

15. März 2024, 17:35 Uhr

Der rechtsextreme Verlag "Der Schelm" hat jahrelang Tausende Bücher mit Judenhass, Holocaustleugnung und anderen rechtsextremen Inhalten verbreitet, darunter auch Hitlers unkommentierte Ausgabe von "Mein Kampf". Dafür müssen sich nun zwei Männer und eine Frau vor dem Oberlandesgericht Dresden verantworten. Nach zwei Prozesstagen haben alle Angeklagten die Vorwürfe gestanden. Auch zu ihren politischen Überzeugungen äußerten sie sich.

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Vor dem Oberlandesgericht Dresden haben sich nach dem zweiten Prozesstag alle Beschuldigten umfangreich zu den Vorwürfen geäußert und ihre Mitarbeit beim rechtsextremen Verlags "Der Schelm" zugegeben. Zwei Männer und eine Frau werden von der Bundesanwaltschaft unter anderem wegen der Gründung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Sie sollen im großen Stil volksverhetzende Schriften verbreitet haben.

Angeklagte Annemarie K. las einige Bücher des Verlags

Nachdem am ersten Prozesstag zunächst die beiden Angeklagten Matthias B. und der ehemalige Leipziger NPD-Stadtrat Enrico Böhm ihre Beteiligung am Neonazi-Verlag "Der Schelm" gestanden hatten, äußerte sich nun die dritte Angeklagte Annemarie K. zu den Vorwürfen.

Auch sie gestand, den Verlag durch das Lagern und Versenden von rechtsextremen Büchern maßgeblich unterstützt zu haben. So liefen DHL-Konten über ihren Namen und sie half dabei, eine Lagerhalle für den "Schelm" zu finden. Einige der Bücher habe sie teilweise oder vollständig gelesen.

Manche Werke wie das antisemitische Kinderbuch "Der Giftpilz" bezeichnete sie als "pure Propaganda", an anderen Bücher habe sie dafür mehr Gefallen gefunden. Über ein Buch zur "Rassenpolitik" des Nationalsozialismus sagte sie: "An einigem davon ist ja auch was dran." Als "Der Schelm" immer mehr Bücher veröffentlicht und verschickt habe, habe sie sich jedoch nicht mehr groß mit den Inhalten beschäftigt, behauptet K. vor Gericht. Sie habe einfach die ihr aufgetragenen Aufgaben erfüllt.     

Der nächste Prozesstag ist für den 20. März angesetzt. Als Beweise sollen dann Gutachten präsentiert werden, die aufzeigen sollen, inwieweit die verlegten Bücher volksverhetzende Aussagen enthalten.      

Angeklagter aus Gröditz gesteht Beteiligung an Verlag

Zum Auftakt des Prozesses wurde von der Bundesanwaltschaft zunächst die Anklage verlesen. Im Anschluss äußerte sich der 38-jährige Matthias B. umfassend zu den Vorwürfen. Er gestand seine Verbindungen und die Mitarbeit in dem Verlag "Der Schelm". Er habe sich als Jugendlicher der Neonazi-Szene in Gröditz angeschlossen und später wegen Geldproblemen in dem Verlag mitgeholfen. Da bereue er viel, sagte Matthias B..

In dem Verlag habe er als Grafiker Bücher gesetzt und zum Teil die Kommunikation mit Verlagen übernommen. Gedruckt worden sei in Osteuropa. Gelagert wurden die Bücher seinen Angaben zufolge unter anderem im sächsischen Bad Lausick. Die Hauptschuld gab er dem gesondert gesuchten mutmaßlichen Gründer des Verlags, Adrian Preißinger. Der Verlagschef habe jeweils den Auftrag für die Publikationen ausgelöst, sagte der Angeklagte Matthias B.. Nach seiner Verhaftung hat er nach eigener Aussage bei den Ermittlern in Karlsruhe umfangreich ausgesagt, Namen von Mittätern genannt und Daten des Verlagschefs zur Verfügung gestellt.

Paletten mit Kartons in einer Lagerhalle des LKA Sachsen
Das Bild zeigt die im Dezember 2020 beschlagnahmten Paletten mit Bücherkartons in einer Lagerhalle des LKA SACHSEN. Insgesamt wurden mehr als 50.000 Bücher sichergestellt. (Archivbild) Bildrechte: LKA Sachsen

B. beteiligt sich nach eigenen Angaben inzwischen an dem Aussteigerprogramm Exit und befindet sich in psychologischer Behandlung. Ein Buch des "Schelm"-Verlages habe er selbst nie gelesen. Nach eigenen Angaben hat er auch im NPD-Verlag Deutsche Stimme in Riesa gearbeitet.

Rechtsextremist Böhm inszeniert sich als "kleines Licht"

Am Nachmittag äußerte sich der Angeklagte Enrico Böhm aus Leipzig zu den Vorwürfen. Auch er gestand eine Mitarbeit in dem Verlag. Böhm versuchte aber, seine Beteiligung zu relativieren. "Mit der ganzen Maschinerie dahinter habe ich nichts zu tun gehabt", sagte Böhm. Gelesen habe er die Bücher nicht. Zweifel an seiner Tätigkeit für den Verlag seien ihm keine gekommen. Jeder hätte diese Bücher über Internet-Plattformen kaufen können. "Wenn das möglich ist, war nicht der Hintergedanke da, das könnte strafrechtlich relevant sein", sagte er.

Judenhass und Nazi-Propaganda als Geschäftsmodell

Der Verlag vertrieb zwischen 2018 und 2020 im Ausland gedruckte antisemitische Kinderbücher wie der "Giftpilz", eine unkommentierte Ausgabe von Adolf Hitlers "Mein Kampf" und Schriften, in denen NS-Verbrechen geleugnet werden. "Der Giftpilz" erschien erstmals 1938 im Verlag des NS-Propagandablatts "Der Stürmer" des fanatischen Judenhassers Julius Streicher.

Laut Anklage der Bundesanwaltschaft soll der rechtsextremistische Verlag in dem Zeitraum einen Umsatz von mehr als 800.000 Euro erwirtschaftet haben. Im Dezember 2020 wurden bei einer Durchsuchung in Röderaue und Brandenburg volksverhetzende Bücher mit einem Verkaufswert von mehr als 900.000 Euro beschlagnahmt. Die Angeklagten sollen demnach für den Vertrieb und die Lagerhaltung zuständig gewesen sein.

Angeklagte Rechtsextremisten sind auf freiem Fuß

Der ehemalige NPD-Stadtrat in Leipzig, Enrico Böhm, soll nach NDR-Recherchen für Lagerung und Versand der Bücher zuständig gewesen sein, zusammen mit seiner Freundin Annemarie K.. Für die Vereinigung mietete er laut Bundesanwaltschaft Lagerräume in Leipzig an und hatte dort mehrere Tausend im Ausland gedruckte Bücher mit strafrechtlich relevanten Inhalten auf Vorrat. Ein Team des NDR hatte Böhm schon Anfang 2020 gefilmt, wie er offensichtlich Bücher für den "Schelm" über einen Leipziger Paketshop verschickte.

Dem langjährigen NPD-Aktivisten Matthias B. soll laut Bundesanwaltschaft eine "herausgehobene Funktion" in der Vereinigung zugekommen sein. Er betrieb ein Antiquariat in Gröditz. Böhm und Matthias B. wurden 2022 in Leipzig und Röderaue in Sachsen festgenommen und zunächst in Untersuchungshaft genommen. Sie kamen später aber wieder auf freien Fuß.

Mutmaßlicher Anführer in Russland vermutet

Als mutmaßlicher Kopf des Verlags gilt der Rechtsextremist Adrian Preißinger, der sich ins Ausland abgesetzt hat. Nach dem 1964 im oberfränkischen Kronach geborenen Mann wird mit internationalem Haftbefehl gefahndet. Er wird in Russland vermutet, von wo aus er über das Internet weiter volksverhetzende Bücher verbreitet. Auf seiner Internetseite wird - offensichtlich zur Verschleierung - eine Adresse in Thailand angegeben.

Preißinger ist auch für die Behörden in Sachsen kein Unbekannter: Das Landgericht Dresden hatte ihn 2002 wegen des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und anderer Taten zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt.

Handel des Verlags geht über ausländischen Server weiter

Dass der weitere Handel des "Schelm"-Verlags übers Internet mit der volksverhetzenden Propaganda von Deutschland aus nicht unterbunden werden kann, erklärt LKA-Sprecherin Silvaine Reiche mit den eingeschränkten rechtlichen Möglichkeiten. "Der Server ist bei uns nicht gehostet", sagte Reiche MDR SACHSEN. Deshalb hätten die Behörden keinen Zugriff.

Solche Propagandaschriften verfügen laut Verfassungsschutz "im Original und als Nachdruck nach wie vor über eine besondere Ausstrahlungs- und Symbolkraft in der rechtsextremistischen Szene". Dem "Schelm" attestiert der Verfassungsschutz eine "besonders ausgeprägte antisemitische Agitation".

Für den Prozess hat das Oberlandesgericht zunächst neun Verhandlungstermine bis Mitte April angesetzt. Sie finden im Hochsicherheitssaal des Gerichts in Dresden am Hammerweg statt.

MDR (kbe/mad)/epd

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 14. März 2024 | 19:00 Uhr

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