Blumen wurden um neu verlegte Stolpersteine gelegt.
Europaweit erinnern 105.000 Stolpersteine an Opfer des Nationalsozialismus. In Dresden sind es seit Freitag 371 Steine. Bildrechte: MDR/Bettina Wobst

Gedenken an Sinti und Roma Dutzende neue Stolpersteine für NS-Opfer in Dresden verlegt

08. März 2024, 18:26 Uhr

"Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist", zitiert Gunter Demnig oft aus dem Talmud. Gegen das Vergessen der Opfer des Nationalsozialismus hat der Künstler in ganz Europa sogenannte Stolpersteine verlegt. Am Freitag hat er zum ersten Mal in Dresden Steine für eine Sinti- und Roma-Familie verlegt.

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In Dresden wurden am Freitag insgesamt 37 Stolpersteine an verschiedenen Orten im Stadtgebiet verlegt. Wie die Stadtverwaltung mitteilte, soll damit an die Opfer der NS-Diktatur erinnert werden. Allein am Volkshaus in Laubegast wurden zwölf Gedenksteine in den Boden eingelassen. Sie erinnern fortan an die Sinti-Familie Blum: die Eltern und ihre 10 Kinder. Der Künstler Gunter Demnig, der die Stolpersteine erfand und den ersten 1992 in Köln verlegte, brachte die zwölf Steine selbst in den Boden ein.

Buch erzählt die Geschichte von Willy Blum

Das Buch "Das Kind auf der Liste. Die Geschichte von Willy Blum und seiner Familie" der Historikerin Anette erinnert an das Leben der Blums: Sie waren Marionettenspieler, die in ganz Sachsen auftraten. In Laubegast war ihr Winterquartier. Die zwei ältesten Söhne zogen für Deutschland in den Krieg. Doch ab 1941 begann die Verfolgung. Zuerst erhielten sie Berufsverbot, dann wurden sie deportiert. Die jüngsten zwei Kinder kamen in Auschwitz ums Leben. Alle anderen erlebten die Befreiung. Dass nun in Dresden das erste Mal einer Sinti- und Roma-Familie gedacht wird, war nach eigener Aussage auch für den Verein "Stolpersteine für Dresden e.V." wichtig.

Menschen versammeln sich vor einem Haus.
Ungefähr 50 Menschen waren bei der Zeremonie zum Gedenken an die Familie Blum am Volkshaus Laubegast dabei. Bildrechte: MDR/Bettina Wobst

Er wollte seinen Bruder nicht allein lassen

Etwa 50 Menschen kamen zu der Zeremonie in Laubegast. Claus Dethleff, Chef des Vereins Stolpersteine für Dresden, verlas die Geschichte der Familie. Ihr in Dresden geborener, 16-jähriger Sohn Willy hatte seinen elfjährigen Bruder Rudolf 1944 im Konzentrationslager Buchenwald nicht allein lassen wollen und meldete sich freiwillig für die Liste derjenigen, die nach Auschwitz sollten. "Dadurch wurde Stefan Jerzey Zweig – ein dreijähriger Junge, der eigentlich auf der Liste stand – das Leben gerettet. Die Geschichte dieses Jungen wurde durch den Roman 'Nackt unter Wölfen' von Bruno Apitz berühmt", hieß es.

Nahaufnahme von Stolpersteinen, die gerade verlegt wurden
Die Stolpersteine erinnern nicht nur an getötete Opfer des Nationalsozialismus, sondern auch an jene, die überlebt haben. Bildrechte: MDR/Bettina Wobst

371 Stolpersteine in Dresden und eine Stolperschwelle

In ganz Europa hat Demnig mittlerweile mehr als 105.000 Stolpersteine verlegt. Sie sollen an das Schicksal von Juden, Antifaschisten, Zeugen Jehovas, Homosexuellen, Euthanasie-Opfern sowie an Sinti und Roma erinnern. In Dresden sind es seit Freitag nun 371. Am Alten Leipziger Bahnhof von Dresden gibt es fortan eine Stolperschwelle. Sie erinnert daran, dass von hier aus mehrere Hundert Jüdinnen und Juden in das Getto Riga und das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. 


Stolpersteine erinnern in 1.265 deutschen Kommunen an NS-Opfer Der Künstler Gunter Demnig erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort kleine Gedenktafeln aus Messing in den Gehweg einlässt. Inzwischen liegen Stolpersteine in 1.265 Kommunen Deutschlands und in 21 Ländern Europas.

Mit den Steinen vor den Häusern wird die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst dort wohnten.

MDR (kav)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 08. März 2024 | 19:00 Uhr

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