Auf einer Landstraße in der Sächsischen Schweiz weist ein Verkehrsschild auf Radfahrer hin.
Vor der Tempoanzeige steht an der S154 ein neues Tempo-70-Schild. Kurz danach zeigt ein Smiley, ob man zu schnell oder richtig fuhr. Bildrechte: Kathrin König

Strecke getestet Schikane oder Hilfe? Neuer Verkehrsversuch für Radverkehr bei Bad Schandau

16. Oktober 2024, 05:00 Uhr

Zwischen Sebnitz und Bad Schandau in der Sächsischen Schweiz gibt es keinen separaten Radweg für Radfahrer. Weil ein Radwegbau an der S154 derzeit nicht absehbar ist, wollen Verkehrsplaner testen, ob es auch anders geht. Sie wollen Straßen für den Radverkehr sicherer machen: mit Tempolimits, Fahrradsymbolen und Hinweistafeln. Der neue Verkehrsversuch soll zwei Jahre laufen und wird von Wissenschaftlern begleitet. Anwohner sind zwiegespalten.

Seit einer Woche sieht die Staatsstraße 154 zwischen Bad Schandau und Altendorf anders aus. Dort läuft auf 2,7 Kilometern Länge ein Pilotversuch namens ALRad-Projekt, was für Alternative Lösungen für straßenbegleitende Radwege steht. Die Verkehrsplaner haben mehrere Fahrradsymbole auf die Straße malen lassen, das Tempo von 100 stellenweise auf 50 Stundenkilometer begrenzt und Dialogdisplays, also Tempoanzeigen mit lachenden oder meckernden Gesichtern, aufgestellt. Die 40.000 Euro dafür bezahlt der Freistaat aus Steuergeld.

Nun wollen die Planer mit wissenschaftlicher Begleitung herausfinden: Fahren bald mehr Fahrradfahrer die S154 entlang, weil sie sich dort sicherer fühlen? Welche Rückschlüsse lassen sich für andere Stellen in Sachsen ziehen, wo auch kein gesonderter Radweg verläuft? Fahren die Autofahrer langsamer und akzeptieren die neuen Regeln?

Mit dem Rad auf der neu ausgeschilderten S154

Das will ich mir ansehen und steige in Bad Schandau aufs Fahrrad. Der Elberadweg ist gut ausgeschildert, aber ich will links hoch Richtung Sebnitz und Altendorf. Gleich hinter der Kurve Lindenallee/Sebnitzer Straße in der Stadt sehe ich ein Schild: Achtung, Radfahrer.

Am Rand einer engen Straße steht ein Verkehrsschild mit dem Hinweis: Achtung, Radfahrer!
Achtung, Radfahrer: In der Sebnitzer Straße in Bad Schandau geht es eng zu. Anwohnerinnen berichten von vielen Schrecksekunden, wenn Radfahrer, Lkw und Busse durchs Nadelöhr an der Ecke wollen. Bildrechte: Kathrin König

Ich spreche zwei Anwohnerinnen an, die in einer Einfahrt daneben stehen und plauschen. Wie schlimm ist das hier für Fahrradfahrer? Beide winken ab. "Schlimm! Wir gucken immer weg und hoffen, dass nichts passiert. Es ist einfach zu eng. Busse, Lkw, Transporter, alle fahren hier lang, teilweise über die Bürgersteige", sagt die Ältere, die, wie ihre Nachbarin von gegenüber, nicht ihren Namen nennen will.

Wir gucken immer weg und hoffen, dass nichts passiert. Es ist einfach zu eng.

Anwohnerin in der Sebnitzer Straße in Bad Schandau

Anwohnerinnen in Bad Schandau skeptisch

Viele würden aus Tschechien kommend über den Schluckenauer Zipfel und Sebnitz Strecken abkürzen, vor allem donnerstags und freitags sei der Verkehr dicht. Die Fahrradfahrer seien auch alle viel zu schnell. Und erst die E-Bike-Fahrer, die "im Affentempo entlang kommen und unten in der Kurve einfach anhalten und auf ihre Handys gucken, wie es weitergeht". Für die Seniorin steht jetzt schon fest: "Das Projekt bringt gar nichts."

Die andere Anwohnerin hat sich am Wochenende die Schilder und neuen Symbole für den Verkehrsversuch angesehen. Und? "Es ist für Radfahrer kreuzgefährlich hier." Am besten wäre, wenn sie ein Tal weiter übers Kirnitzschtal Richtung Sebnitz fahren würden. Aber da seien auch die Schienen auf der Straße eine Unfallgefahr. Sie hofft, dass sich die Autofahrer an die neuen Geschwindigkeitsbegrenzungen halten und die Polizei auch kontrollieren kommt. "Am allerbesten wäre, wenn alle mehr Rücksicht aufeinander nehmen würden."

An einem Ortsausgang steht ein Verkehrsschild und verweist auf Tempo 50.
Ich halte mich für eine unerschrockene Radfahrerin auf Sachsens Landstraßen. Auf der Verkehrsversuchsstraße hinter Bad Schandau fahre ich trotzdem ganz rechts oder gleich auf dem schmalen Seitenstreifen. Von vielen Autofahrern werde ich nicht mit zwei Metern Mindestabstand überholt. Bildrechte: Kathrin König

Neue Tempolimits? Autofahrer sind noch Tempo 100 gewöhnt

Am Ortsausgang Bad Schandau sehe ich die Piktogramme: Auf beiden Fahrseiten sind in Abständen immer wieder weiße Fahrräder aufgemalt worden. Die Mittellinie ist durchgezogen. Es gilt auch außerhalb der Stadt Tempo 50. Soweit die Theorie. Kaum ein Auto hält sich daran, vor allem nicht die, die bergab fahren.

Mich überholen Pkw und SUV viel knapper als mit dem vorgeschriebenen zwei Metern Mindestabstand, die außerorts gelten. Nur Lkw und Lieferwagen lassen mir mehr Platz, wenn sie überholen. Mir klingeln die Worte der Anwohnerin in den Ohren: "Am allerbesten wäre, wenn alle mehr Rücksicht aufeinander nehmen würden."

Kurz hinter dem Parkplatz Kiefricht geht eine Seniorin mit Rollator langsam am Rand entlang und ruft mir zu: "Fahr'n Se nicht zu schnell, sonst werdn' Se geblitzt. Alles Schikane!" Nun ja, ich mühe mich auf meinem herkömmlichen Rad sechs Prozent Steigung bergauf. Es besteht keinerlei Tempo-Sünder-Gefahr. Ich bin kurz vor dem Absteigen.

Das Dialogdisplay am rechten Straßenrand motiviert mich auch nicht, nicht mal mit einem grün blinkenden Smiley, dass ich weit unter der Tempobegrenzung geblieben bin. Bei vielen Autos blinkt es dagegen rot und unzufrieden auf.

Stimmt vielleicht die Tempoanzeige nicht?

In Altendorf spreche ich Jens Kirpal an. Er ist Ortschaftsrats-Vize und Stadtrat (Bündnis Mitsprache in Stadt und Land) in Sebnitz. Ganz privat findet er, dass "für die paar Radfahrer ganz schön viel Aufwand betrieben wird". Als Autofahrer sei er die vier Kilometer Strecke immer Tempo 100 gefahren. "Und nun nur noch 50? Hm."

Seiner Meinung nach stimmt etwas mit dem Anzeigedisplay nicht, an dem ich auch vorübergefahren bin. Der Smiley würde alle Geschwindigkeiten über 50 Stundenkilometern anmeckern. "Aber es steht ja kurz davor ein 70-Schild", wundert sich Kirpal.

ein Mann mittleren Alters steht auf dem hof eines Grundstücks in der Sächsischen Schweiz und schaut lächelnd in die Kamera.
Stadtrat Jens Kirpal ist zwiegespalten: Einerseits findet er die Radverkehrsanbindung wichtig, anderseits darf er als Autofahrer streckenweise nur noch 70 oder 50 Stundenkilometer fahren, wo früher 100 galten. Bildrechte: Kathrin König

Verbindung soll Radtourismus stärken

Andererseits weiß er als Kommunalpolitiker, dass die Anbindung des Fahrradweges von Lichtenhain über Altendorf bis Bad Schandau wichtig ist. Das sieht der Sebnitzer Oberbürgermeister Ronald Kretzschmar auch so. Es sei zumindest besser, als gar nichts zu unternehmen. Das Pilotprojekt sieht er als Zwischenlösung. "Die Straße wird ja schon durch Radfahrern genutzt. Wir denken, wenn es Sicherheitsvorkehrungen für Radfahrer gibt, wird auch der Radtourismus an der Stelle ein bisschen attraktiver."

Für Sebnitz und Bad Schandau ist der Tourismus der Kernpunkt. Wir wollen den weiter stärken. Dafür wollen wir beste Infrastruktur haben.

Ronald Kretzschmar Oberbürgermeister der Stadt Sebnitz

"Das Problem ist die schmale Straße. Wenn die ausgebaut wird, soll es auch daneben einen Radweg geben. Wann das sein wird, weiß aber keiner", weiß auch Stadtrat Kirpal. Sachsens Verkehrsministerium sagt wegen der hohen Kosten und engen Straße zur Zukunft eines separaten Radweges: "Eine mögliche Umsetzung ist vorerst nicht absehbar."

Meine Kinder fahren die Strecke öfter mit dem Rad und sagen, dass sich die Autofahrer nicht an die Regeln halten.

Jens Kirpal Altendorfer und Stadtrat

Auch Kirpal vermutet, dass die Tempolimits kontrolliert werden müssten. "Meine Kinder fahren die Strecke öfter mit dem Rad. Sie sagen, dass sich die Autofahrer nicht an die Regeln halten." Als wir uns verabschieden, sehe ich zwei Radfahrer. Die ersten, die ich innerhalb von zwei Stunden überhaupt sehe. Sie sind auf ihren Rennrädern so schnell bergab aus Altendorf hinaus - die hole ich Hobby-Radlerin nicht ein.

Auf einer Landstraße in der Sächsischen Schweiz weist ein Verkehrsschild auf zwei verschiedene Radverkehrsführungen hin.
Am Ortsausgang Altendorf weist das Schild auf zwei Routen für Radler hin. Rechts in roter Schrift die kurze Strecke über die Staatsstraße. Links weist die grüne Schrift auf die touristische Route mit weniger Verkehr hin. Ob bergab fahrende Radfahrer die kleine Schrift im Vorbeifahren schnell erfassen? Bildrechte: Kathrin König

Senior: Nicht nur meckern, mal was ausprobieren

Auf dem Rückweg nach Bad Schandau treffe ich an einer Reihe Garagen aus DDR-Zeiten Herrn Fiedler. Er schaut mit mir auf die S154. Diese Strecke sei nichts mehr für ihn. Er radele lieber auf dem Elberadweg, erzählt der Rentner. Ihn freut es für die Gartenbesitzer oberhalb der Sebnitzer Straße und für Touristen. Ob das Projekt wirklich eine Erleichterung für sie wird? "Abstand halten die Autofahrer nicht", meint er.

Andererseits werde immer viel gemeckert, man müsse sich das jetzt ansehen. "Ich finde ganz gut, dass mehr für Fahrradfahrer gemacht wird." Das sei ja heute modern, mehr für Radverkehr zu machen. Zwei Jahre lang soll der Verkehrsversuch zwischen Sebnitz und Bad Schandau laufen. Nach der Auswertung soll entschieden werden, ob das Projekt bleibt oder beendet wird.

Auf einer Wiese in der Sächsischen Schweiz grasen Ziegen und Schafe und stören sich nicht an der Diskussion um Verkehrsführungen und Straßenvrkehrsregeln.
Diese Zeitgenossen in Altendorf hatten nichts über den Verkehrsversuch zu meckern. Bildrechte: Kathrin König

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENPSIEGEL | 19. Oktober 2024 | 19:00 Uhr

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