Sandra Hüller in einer Szene aus „The Zone of Interest“. 8 min
Die Leipziger Schauspielerin Sandra Hüller ist in "The Zone of Interest" als Hedwig Höß zu sehen. Bildrechte: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited
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Am Donnerstag kommt "The Zone of Interest" in die deutschen Kinos. Filmhistoriker Andreas Kötzing verrät bei MDR KULTUR, warum man die Familie des Auschwitz-Kommandanten so nahbar zeigen darf.

MDR KULTUR - Das Radio Mo 26.02.2024 06:00Uhr 08:22 min

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Kinostart "The Zone of Interest" zeigt Familienidylle neben Vernichtungslager

28. Februar 2024, 04:00 Uhr

Mit "The Zone of Interest" von Jonathan Glazer kommt am Donnerstag ein Film in die deutschen Kinos, der bereits im Vorhinein viele Debatten ausgelöst hat. Denn das Porträt der Familie des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß zeigt filmhistorisch unübliche Perspektiven. In den Hauptrollen: Der Dresdner Schauspieler Christian Friedel und die Leipziger Schauspielerin Sandra Hüller. Filmhistoriker Andreas Kötzing spricht bei MDR KULTUR darüber, warum man diese Familie so nahbar zeigen kann.

"The Zone of Interest" von Jonathan Glazer kommt am Donnerstag in die deutschen Kinos. Bereits bei seiner Weltpremiere in Cannes sorgte der Film für Furore – und ist mittlerweile in fünf Kategorien für einen Oscar nominiert: bester Ton, bester internationaler Film, beste Regie und bestes adaptiertes Drehbuch. Sandra Hüller, die die Rolle der Hedwig Höß spielt, ist bereits als "beste Hauptdarstellerin" für den Film "Anatomie eines Falls" nominiert.

In Vorbereitung einer Preview inklusive Podiumsdebatte am Montagabend in Dresden mit Forschenden vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung hat Filmhistoriker Andreas Kötzing mit MDR KULTUR gesprochen.

MDR KULTUR: Die versammelte Kritikerschaft ist begeistert von "The Zone of Interest". Sind Sie auch so fasziniert von diesem Film?

Andreas Kötzing: Das bin ich nachhaltend. Ich habe den Film schon letztes Jahr in einer der öffentlichen Vorführungen gesehen. Und er war tatsächlich einer der Filme, der mich so lange und nachhaltig beschäftigt hat wie kaum ein anderer Film in den letzten Monaten. Das ist natürlich einerseits diese Täterperspektive, andererseits aber auch die Art, wie Jonathan Glazer das Grauen nicht zeigt, sondern auf einer anderen Ebene im Film erfahrbar macht. Wir bleiben immer bei der Familienidylle dieser Familie Höß, aber auf der Tonebene korreliert der Film mit dem, was hinter der Mauer passiert. Man hört die Schüsse, man hört die Menschen schreien, man sieht die Öfen qualmen. Mit dieser Kombination aus Idylle und der gleichzeitigen Erfahrung dessen, was dort hinter der Mauer passiert, spielt "The Zone of Interest". Und es ist so nachdrücklich, so verstörend, dass man tatsächlich im Kinosessel sitzt, sich immer wieder schüttelt und sich bewusst machen muss, was dort eigentlich passiert.

Ein Mann in hellemn Anzug mit seitlich abrasierten Haaren und eine Frau in einem blauben Kleid mit hochgesteckten Haaren stehen nebeneinander an einem Fluss. 1 min
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Man könnte darüber diskutieren, ob man diese Familie mit Rudolf Höß an der Spitze, dem Kommandanten von Auschwitz, so menschlich und nahbar darstellen kann. Ist das aus ethischen, historischen und ästhetischen Gründen vertretbar?

Der Film vermenschlicht sie nicht in dem Sinne, dass man am Ende Mitleid mit ihnen hat oder das Gefühl hat, man müsste sich irgendwie mit ihnen solidarisieren. Das wäre natürlich der völlig falsche Weg. Man kommt den Leuten schon sehr nah. Man merkt aber gleichzeitig immer wieder, was dort für Verbrechen passiert sind. Und das ist auch eine sehr unmenschliche Art. Die Leute werden eben nicht dämonisiert. Sie werden nicht einfach als Monster dargestellt, wie viele andere Filme das vorher getan haben.

Ein Mann in weißem Hemd und Krawatte steht hinter einem edlen Tor und raucht in der Dämmerung. Im Hintergrund leuchtet ein Einfamilienhaus.
Rudolf Höß wird vom Dresdner Schauspieler Christian Friedel gespielt. Bildrechte: Leonine Studios

Es erinnert an Hannah Arendt und wie sie beschrieben hat, wie Eichmann der Prozess gemacht wurde. Am Ende hat sie gesagt, das ist ein böser Mensch. Aber dieses Böse ist auf eine gewisse Art und Weise sehr banal. Der Film ist im Prinzip ein Versuch, das in eine filmische Erzählung zu übersetzen, ohne einen realistischen Film daraus zu machen. Das ist kein Kino, das erzählt, wie es wirklich war. Und deswegen finde ich ihn auch so gut. Weil er eben nicht so tut, als könnte man Geschichte eins zu eins nacherzählen.

Wie würden Sie als Filmhistoriker "The Zone of Interest" einordnen?

Er ist auf eine gewisse Art und Weise ein Solitär. Ihm gelingt etwas, was ich so in anderen Filmen vorher noch nicht gesehen habe. Es gab natürlich schon Versuche, sich mit Täterperspektiven auseinanderzusetzen. Aus filmhistorischer Perspektive ist das aber eher die Ausnahme. Wir haben zahlreiche Filme über den NS-Widerstand, zuletzt der neue Film von Andreas Dresen. Aber dieser Versuch, das aus der Täterperspektive zu zeigen und gleichzeitig auch die Normalität von Menschen ins Bild zu rücken, das ist schon deutlich seltener der Fall gewesen.

Ein Mann in hellem Anzug mit seitlich abrasierten Haaren und eine Frau in einem blauben Kleid mit hochgesteckten Haaren stehen nebeneinander an einem Fluss. 4 min
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Der Film "The Zone of Interest" erzählt vom Leben des Kommandanten von Auschwitz Rudolf Höß und seiner Frau Hedwig in direkter Nachbarschaft des Vernichtungslagers. Eindrücke von MDR KULTUR-Filmkritikerin Simone Reber.

MDR KULTUR - Das Radio Mi 28.02.2024 17:40Uhr 03:57 min

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Interessanterweise gibt es ein anderes deutsches Beispiel, nämlich "Aus einem deutschen Leben" von Theodor Kotulla aus den 70er-Jahren. In dem Film ging es um das gesamte Leben von Rudolf Höß. Und hier haben wir den Fokus auf die Familie. Insbesondere auch auf Hedwig Höß, die von Sandra Hüller mit einer brutalen Härte, aber auch Menschlichkeit gespielt wird, dass einem immer wieder das Blut in den Adern gefriert.

Eine Frau (Sandra Hüller) steht in einem Schlafzimmer und probiert vor dem Spiegel einen Pelzmantel an.
Momentan ist Sandra Hüller in Leipzig in "Der Würgeengel" zu sehen. Bildrechte: Leonine Studios

Glauben Sie, dass man mit dem Film und seiner besonderen Herangehensweise auch ein jüngeres Publikum erreichen kann? Gerade, weil mittlerweile viele Zeitzeugen verstorben sind und ältere Dokumentarfilme eine jüngere Generation nicht mehr erreichen.

Bei den Schulen bin ich skeptisch. Bei einem Publikum zwischen 20 und 30 Jahren, das ein gewisses historisches Hintergrundwissen mitbringt, schon eher. Der Film erklärt ja nicht, es gibt keine Einblendungen, es gibt keine Kontextualisierung. Das muss man als Zuschauer mit in den Film einbringen. Vielleicht könnte das zu einer neuen Sensibilisierung beitragen. Auf der anderen Seite mache ich mir da auch keine so großen Illusionen, wenn wir uns anschauen, mit welchen Bildern dieses Publikum auch aufgewachsen ist und mit welcher Schnelligkeit Geschichten erzählt werden.

Ein Mann und eine Frau liegen in zwei einzelnen Betten in einem Schlafzimmer. Zwischen ihnen leuchtet eine Nachttischlampe, sie sind einander zugewandt.
Rudolf und Hedwig Höß leben mit ihren fünf Kindern im Sperrgebiet um das Konzentrationslager Auschwitz. Bildrechte: Leonine Studios

"The Zone of Interest" ist schon ein sehr künstlerisch angelegter Film, er wird nicht so eine Breitenwirkung finden wie andere Filme. Aber er hat fünf Oscar-Nominierungen. Wenn er den einen oder anderen Preis bei der Oscar-Verleihung gewinnt, dann gibt es vielleicht nochmal einen Zug für den Film.

Mehr Informationen zum Film "The Zone of Interest"
ab 29. Februar im Kino

Regie und Drehbuch: Jonathan Glazer
nach einem Roman von Martin Amis
In den Hauptrollen: Christian Friedel und Sandra Hüller

Quellen: MDR KULTUR (Andreas Kötzing, Vladimir Balzer), redaktionelle Bearbeitung: as

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 26. Februar 2024 | 07:10 Uhr

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