Bürgerversammlung in Torgau, Stadtteil Nordwest
Anlass für Ärgernis: Die blauweißen Wohnblocks am Rande der Siedlung Nordwest werden vornehmlich von Arbeitsmigranten bewohnt. Hier sei es laut und dreckig, so die Anwohner. Bildrechte: MDR/Lars Tunçay

Bürgerdialog Keine Lösung im Konflikt um Plattenbausiedlung in Torgau

10. September 2023, 17:30 Uhr

In der Torgauer Plattenbausiedlung Nordwest erhitzt ein Streit die Gemüter. Anwohner fühlen sich von Bewohnern zweier Häuserblocks gestört. Müll und Unrat lägen überall verteilt, es sei laut und gefährlich. Mit einer "Brandrede" hatte ein Anwohner Anfang des Jahres die Probleme vor den Stadtrat gebracht. Mit einem Spaziergang durchs Viertel und einem Bürgerdialog versucht der nun die Probleme zu lösen. Doch statt eines Dialogs gab es vor allem Monologe der empörten Anwohner. Am Montag will der Stadtrat bei einer Klausurtagung über mögliche Lösungen beraten.

  • Im Torgauer Viertel Nordwest gibt es Ärger um zwei Häuserblocks. Lärm und Müll erhitzen die Gemüter.
  • Der Stadtrat reagiert mit einer Besichtigung und einem Bürgerdialog.
  • Oberbürgermeister Simon stellt Lösung in Aussicht.

Die Stimmung ist aufgeheizt. Die Stadt Torgau hatte am vergangenen Dienstag zum Bürgerdialog in die Turnhalle Nordwest geladen und mehr als einhundert Menschen waren der Einladung gefolgt. Viele von ihnen traten nacheinander ans Mikrofon, um ihren Unmut auszudrücken. "Sollen wir alle wegziehen?", fragt eine Frau. "Wohin denn? Wollen sie mir eine Wohnung geben, die ich bezahlen kann?"

Zwei Häuserblocks am Stadtrand stehen im Mittelpunkt der Aufregung

Der Grund für den Ärger liegt ganz am Rand der Plattenbausiedlung: zwei blau-weiße Häuserblocks an der Zinnaer Straße, genannt die "Blauen Blöcke", in denen vornehmlich Migranten wohnen. Woher sie stammen ist unklar. Anwohner sprechen von Sinti und Roma. Hier türme sich Müll und Unrat, so die Anwohner, es sei regelmäßig "ohrenbetäubend laut".

Ein Einwohner berichtet von Ratten rund um die Wohnblocks, eine Anwohnerin sagt, sie sei bereits vier Mal bestohlen worden. Am helllichten Nachmittag würden Leute auf Balkone klettern und Möbel klauen. Polizei und Ordnungsamt würden nicht auf die Beschwerden der Anwohner reagieren, so der Vorwurf.

Wir fühlen uns alleine gelassen von der Politik.

Anwohner

Stadtrat spazierte durchs Viertel

Eine Woche zuvor hatte sich der Stadtrat bei einem Spaziergang durchs Viertel einen Eindruck von den Zuständen verschafft. Vom Müll war allerdings wenig zu sehen und auch am Dienstagabend ist es friedlich um die Häuserblocks.

Eine Gruppe Jugendlicher hört Musik auf dem Skaterplatz, eine Mutter sitzt mit ihren Kindern im Innenhof, ein paar Männer rauchen. Vor den Eingängen stehen vereinzelt kaputte Kühlschränke und Waschmaschinen. Laute Musik ist sonst nur vom benachbarten Wohnblock zu hören, wo einige Torgauer mit Bierflaschen vor dem Haus stehen und Deutschrock hören.

Beschwerden über Lärm und Autorennen

Beim Bürgerdialog gibt es derweil Beschwerden über nächtliche Autorennen und Bedrohungen von Migranten. Offener Fremdenhass bricht sich Bahn an diesem Abend. Oberbürgermeister Henrik Simon (parteilos), die Stadträte und die Vertreter des Ordnungsamts und der Polizei hören sich die Ausführungen der Anwohner kommentarlos an. Auf Ideen und Vorschläge hatte Oberbürgermeister Simon gehofft. Die Antwort vieler Anwohner an diesem Abend ist wesentlich simpler: Die Bewohner müssen weg.

Das kann nicht sein, dass diese Leute, die in den "Blauen Blöcken" wohnen, einen ganzen Stadtteil ruinieren. Da muss man sich schämen, also so geht es nicht.

Anwohner

Kritik an Stadtführung und Ordnungskräften

Einige konstruktive, sachliche Beiträge gibt es an diesem Abend. Eine Anwohnerin wünscht sich "mehr Zusammenarbeit zwischen Stadtrat, Bürgermeister und Mietern, mehr Polizeipräsenz. Und dass wir Mieter mehr einbezogen werden in das, was hier oben passiert und dass wir akzeptiert werden." Ein Mann reagiert hilflos: "Ich verstehe, dass das Ordnungsamt nicht rund um die Uhr besetzt ist, aber irgendeine Lösung muss doch her. Ich habe lediglich einen Streifenwagen vorbeifahren sehen, die Scheiben oben. Da fühlt man sich dann richtig alleine gelassen von der Politik."

"Wir müssen priorisieren", reagiert Sascha Prause vom Polizeirevier Torgau auf die Anschuldigungen. "Straftaten, die Suche nach vermissten Personen oder Unfälle mit Personenschäden sind wichtiger als Lärm." Im Hinblick auf die Kriminalität sei Nordwest kein Schwerpunkt.

Bürgerversammlung in Torgau, Stadtteil Nordwest
Oberbürgermeister Henrik Simon versprach, das Thema in der Stadtratssitzung zu verfolgen. Bildrechte: MDR SACHSENSPIEGEL

Diskussion im Stadtrat wird fortgesetzt

Oberbürgermeister Henrik Simon verspricht im Anschluss an den Bürgerdialog, dass man das Thema im Stadtrat weiter diskutieren werde: "Einige Maßnahmen haben wir tatsächlich in der Verwaltung bereits besprochen. Wichtig ist, dass wir auch den Stadtrat dahinter haben." In der nicht öffentlichen Klausur am Montag wolle man die Maßnahmen gemeinsam besprechen, so Simon. "Dann werden wir sehen, was tatsächlich zeitnah umsetzbar ist."

Die Stadträte wollen ihrerseits die Stadtverwaltung in die Verantwortung nehmen und eine Lösung finden. Dabei müsse allerdings auch das Landratsamt hinzugezogen werden. Eine Maßnahme ist bereits umgesetzt worden: Pflanzenkübel sollen auch dabei helfen, nächtliche Straßenrennen im Wohngebiet zu verhindern.

Kein Dialog mit Bewohnern und Vermietern

Eingeladen waren am Dienstagabend auch der Vermieter und die Bewohner der "Blauen Blöcke", sowie der Betreiber des Schlachterei- und Fleischverarbeitungsbetriebs in Mockrehna, nahe Torgau, bei dem viele der Bewohner beschäftigt sind. Man habe aber sowohl vom Vermieter als auch vom Arbeitgeber eine Absage erhalten, sagt Simon.

MDR (ltt)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 13. September 2023 | 19:00 Uhr

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