Zeichnung mit weichen Farben: mehrere moderne Gebäude zwischen denen Gras wächst, darüber blauer Himmel.
So soll sich der Matthäikirchhof im Leipziger Zentrum entwickeln. Bildrechte: Riehle Koeth

"Wer macht Leipzig den Hof?" Umgestaltung in Leipzig: So soll sich der Matthäikirchhof verändern

01. Februar 2024, 18:58 Uhr

Leipzig ist mit seinen Plänen zur Wiederbelebung eines seiner großen Altstadt-Quartiere einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Zum Abschluss eines städtebaulichen Wettbewerbs hat eine Jury entschieden, wie das Areal um den Mätthäikirchhof in den nächsten Jahren gestaltet werden soll. Diesen Plan hat die Stadtverwaltung am Donnerstagvormittag präsentiert. Ingesamt waren 66 Entwürfe bei der Jury eingegangen. Neun kamen ins Finale.

"Wer macht Leipzig den Hof?" – diese Frage steht über der Pressekonferenz im Bürgerbüro gleich neben dem Neuen Rathaus von Leipzig. Das klingt spielerisch leicht, so als wollte sich Leipzig einfach dem Bauchgefühl nach für einen jener Entwürfe entscheiden, die sich mit ihren Plänen für die Bebauung einer der größten innerstädtischen Brachen Deutschlands empfehlen: dem Matthäikirchhof, ein fast zwei Hektar großes Areal am Rande des Leipziger Innenstadtrings. 

Leipzig suchte das Gespräch

Doch leicht macht es sich die Stadt Leipzig mit ihrer Idee von der Wiederbelebung dieses alten innerstädtischen Quartiers bestimmt nicht. Im Gegenteil: Über Monate hinweg wurden Bürgergespräche organisiert, zu Werkstatt-Gesprächen eingeladen, Stadtplaner, Historiker, Architekten und die derzeitigen Nutzer von Gebäuden auf dem Areal befragt.

Dann wurde ein "Code" mit den wesentlichen Elementen für das zu planende Ensemble erarbeitet, der wiederum die Grundlage bildete für den nun beendeten städtebaulichen Wettbewerb. Diesen Prozess des Austauschens und Streitens hat die Stadt sorgfältig dokumentiert und online für alle einsehbar transparent gemacht – ein in Umfang und Gründlichkeit beispielhaftes Verfahren. 

Blick von oben auf zwei Gebäude, eins mit rotem und eins mit grauen Dach, die jeweils in U-Form einen Platz umschließen.
Heute wirkt der Matthäikirchhof zwischen schlichten Gebäuden eher kalt und abweisend. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

Leerstelle statt Geschichte in Leipzig

Mit einem kleinen Exkurs zu Beginn der Pressekonferenz erinnert Baubürgermeister Thomas Dienberg noch einmal daran, welche Faktoren es gebieten, sich mehr noch als sonst sorgfältig Gedanken zu machen darüber, wie das Areal des Matthäikirchhofs zu gestalten sei. Zunächst die Geschichte: Dort liegen die Wurzeln der Urbs Libzi von vor ungefähr 1.000 Jahren. An diesem Ort hat eine Stadtgesellschaft Spuren hinterlassen einer höchst wechselhaften Geschichte. Nur dass diese Spuren in den Bombennächten 1943 weitgehend ausgelöscht wurden. 

Auf dem Terrain eines einst lebendigen städtischen Quartiers um eine Kirche herum dominieren heute kalte, abweisende Plattenbauten. Errichtet wurden sie in den 80er-Jahren für Stasi-Zentrale und Polizei-Direktion. Nur noch Teile des Bestands werden heute genutzt, etwa vom Stasi-Museum an der "Runden Ecke", dem Stasi-Unterlagen-Archiv und einem Schulmuseum.

Historische Aufnahme: Eine Kirche ragt aus einem klassizistischen Rundbau hervor.
Wo früher eine Kirche stand, befindet sich heute in Leipzig ein leerer Platz. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Viele Menschen in Leipzig wünschten sich, die betongewordenen Zeugnisse einstiger Repression würden am besten abgerissen. Andere plädieren für Wahrung des Bestands. Ihre Argumente sind: Ressourcen-Knappheit, Klimaschutz, "graue Energie". Und ihre Empfehlung: Neu- und Umgestalten, Spuren der Geschichte mahnend bewahren. Das Gebot der Sorgfalt und Sensibilität, es ergibt sich zudem aus einem Umstand, den Dienberg einen Glücksfall nennt: Kaum irgendwo sonst sei ein so großes innerstädtisches Terrain als Baufläche Eigentum der öffentlichen Hand und biete somit die Chance zur Gestaltung im Einvernehmen mit der Bürgerschaft. 

Viele Wünsche für Umbau des Matthäikirchhofs

Und so hatten es die Teilnehmer des städtebaulichen Wettbewerbs mit einer überaus opulenten Fülle von Aufgaben und Erwartungen zu tun: Das Quartier möge "aktiv Geschichte vermitteln", dem Gemeinwohl dienen, "kooperative Stadtentwicklung" im demokratischen Austausch fördern. Es soll Raum bieten für ein "Forum für Freiheit und Bürgerrechte", Räume schaffen "für soziokulturelle und künstlerische Nutzungen" sowie "Orte für Bildungsangebote" – "autofrei", "nachhaltig", "klimaaktiv".

Auf jeden Fall aber sollten die Entwürfe der Idee eines prominenten Neubaus für das Stasiunterlagenarchiv die Ehre erweisen, ebenso der Idee für innerstädtisches Wohnen (30 Prozent mietpreisgebunden), für Handwerk, Handel und Gewerbe. 

Blick in einen Innenhof zwischen Plattenbau bei blauem Himmel.
Die Brachfläche soll in Zukunft zum Durchstreifen und Verweilen einladen. Bildrechte: Lars Tunçay/MDR

Jury beurteilt Ideen

Derartig komplexe Forderungen: überhaupt erfüllbar? Vier Entwürfe seien schließlich im Finale einer zehn Stunden währenden Beratung noch einmal gründlich abgeklopft (und für preiswürdig) befunden worden, so Dienberg. Jury-Vorsitzender Markus Neppl (Köln) und seine Stellvertreterin Jórunn Ragnarsdóttir (Stuttgart) kommentierten die Pros und Kontras.

Platz Vier: Hinrichsmeyer + Partner (Stuttgart). Deren Idee: ein Kubus-Archiv mit großem Vorplatz prominent im Zentrum – "lebendig und offen", ein "Statement", das allerdings den Bestand kaum berücksichtige. Platz Drei: Sero Architekten Minkus Schrцter / Kollektiv B, Leipzig, die empfehlen, das Baufeld in Blöcke zu gliedern, verbunden durch Passagen und Plätze. Ein Entwurf, der Altes neu nutzen will, aber Zweifel lasse, "ob er vielschichtige Nutzung ermöglicht". Platz Zwei: FAM Architekten (München), die mit ihrem Entwurf "soviel erhalten wollen wie möglich", "sehr kluge Eingriffe" empfehlen, wie die Jury hervorhebt. Um dann aber vor allem den Entwurf der Sieger zu loben.

Siegerbüro darf Masterplan erarbeiten

Auf Platz Eins: Riehle und Koeth, Architekten aus Stuttgart. Ihr Entwurf, so Ragnarsdóttir, stehe für ein "sehr gesundes" und "attraktives" Verhältnis von Gebäuden und dazwischen-liegenden Räumen. Beherrschende Idee des Entwurfs: Durchgänge zur Innenstadt öffnen, einladen zum Wohnen, Leben, zum Austausch zwischen Bürgern.

Eine Konzept-Zeichnung von mehreren Gebäuden, zwischen denen Bäume wachsen.
Der Sieger-Entwurf verbindet bestehende Gebäude mit einigen Neubauten. Bildrechte: Riehle Koeth

Wesentliche Teile des Bestands würden ressourcenschonend bewahrt und sinnvoll durch Neubau ergänzt, so die Jury weiter. Die einstige Stasi-Zentrale werde weder geschleift, noch völlig überdeckt, sie solle vielmehr mahnend auf Vergangenheit verweisen. Prominentester Neubau wird auch dem Siegerentwurf zufolge (auftragsgemäß) ein Groß-Archiv für die Stasi-Unterlagen sein, ein Forum zugleich für öffentliche Debatten, Kunst und Kultur. Der Entwurf, so Baubürgermeister Dienberg, "repariert viel" auf dem Areal, "zeigt aber auch Zeitgeschichte".

Wie geht es weiter? Die Sieger dürften nun den Auftrag erhalten für die Erarbeitung eines detaillierten Masterplans. Brigitta Ziegenbein, Leiterin des Stadtplanungsamts, sagt, nun gehe es los. Allerdings in immer noch vielen (kleinen) Schritten. Der Baubürgermeister ergänzt, viele Jobs, sprich: Teil-Projekte, würden parallel abgearbeitet. Einige würden bis Ende des Jahrzehnts abgeschlossen. Aber längst nicht alle. 

Redaktionelle Bearbeitung: tsa

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 02. Februar 2024 | 08:10 Uhr

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