Mehrere Erwachsene und Jugendliche sitzen in einer Diskussionsrunde.
Bei einer Gesprächsrunde im Theater der Jungen Welt in Leipzig konnten Schülerinnen und Schüler Wissenschaftler und Journalistinnen fragen und erzählen, was ihnen wichtig ist. Bildrechte: Christiane Gundlach

Diskussion vor Wahlen Leipziger Schüler über Politik: "Kann nicht sagen, dass ich bereit wäre zu wählen"

11. Februar 2024, 07:00 Uhr

Es sind nur noch wenige Monate bis zur Landtagswahl in Sachsen. Ein großer Teil befragter Sachsen würde laut aktuellen Umfragen AfD wählen. Auf der anderen Seite gehen Zehntausende gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Was treibt junge Menschen um, die bald wählen dürfen?

Jugendliche sitzen auf Stühlen auf einer Theaterbühne. Manche der Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse der Carl-Friedrich-Goerdeler-Oberschule Leipzig haben es sich auf breiten Sesseln gemütlich gemacht. Im Theater der Jungen Welt in Leipzig-Lindenau sitzt es sich lässiger als auf der Schulbank. Nicht nur Journalisten und Wissenschaftler sprechen hier gleich miteinander. Die Diskussionsrunde zum Wahljahr in Sachsen soll vor allem für die Fragen der Jugendlichen offen sein.

Warum wählen so viele Leute rechts?

Eine Frage, die an diesem Donnerstagabend viel Raum einnehmen wird, stellt die Schülerin Charlotte: "Warum wählen so viele rechts?" Wissenschaftler Gert Pickel - der an der Universität Leipzig zu Demokratiefragen forscht und seit kurzem Antisemitismus-Beauftragter der Hochschule ist - erklärt, dass manche Leute die Partei aus Protest wählen. Viele ließen sich nicht von rassistischen und antisemitischen Äußerungen abschrecken. "Überzeugte Personen auf der rechten Seite wählen sie genau deswegen", sagt Pickel.

Eine Frau spricht in eine Mikrophon.
Die Investigativ-Journalistin Gabriela Keller sieht ein großes Problem darin, dass sich Parteien nicht mehr für soziale Gerechtigkeit engagierten. Bildrechte: Christiane Gundlach

Wir beobachten ein Zersplittern der Gesellschaft in unterschiedliche Bubbles.

Gabriela Keller Investigativ-Journalistin

"Wir beobachten ein Zersplittern der Gesellschaft in unterschiedliche Bubbles", fügt Correctiv-Reporterin Gabriela Keller hinzu. Sie gehört zum Rechercheteam, das das geheime Treffen in Potsdam von AfD- und CDU-Politikern mit rechten Akteuren aufdeckte. Fatal sei, so Keller, dass viele immer weiter in ihre "Bubbles" im Internet abtauchten und so empfänglich für dort verbreitete Lügen seien. "Viele davon erreicht man nicht mehr", sagt die Investigativ-Journalistin.

Fragen junger Leute ernst nehmen

Mit Blick auf das Wahljahr sprechen die Diskussionsteilnehmer auch über eine möglicherweise stark abschneidende AfD und deswegen von "bewölkten" und "regnerischen" Wetteraussichten. Hoffnung machten einigen jedoch die Proteste gegen Rechtsextremismus. So auch Hannah Lehmann aus dem Jugendparlament Leipzig. Sie ist Mitglied bei den jungen Sozialdemokraten und beobachtet viele junge Menschen in Leipzig, die sich politisch engagieren. Doch Politik müsste die Anliegen junger Leute ernster nehmen. Es reiche nicht, wenn Politiker sagten: "'Das Thema nehme ich mal mit' - und dann passiert nichts", so Lehmann.

Ein Mann spricht in ein Mikrophon.
"Die Älteren in den Parteien sollten von den Jüngeren lernen", sagt der Demokratie-Forscher an der Uni Leipzig, Gert Pickel. Bildrechte: Christiane Gundlach

Politikverdrossenheit auf dem Land

Dieses Problem sieht auch Rico Reifert vom Kinder- und Jugendring im Landkreis Leipzig. Er organisiert Demokratie-Projekte in der knapp 13.000 Einwohner zählenden Stadt Frohburg im Süden Leipzigs. Positiv sehe er, dass sich die Proteste gegen Rechtsextremisten auch in den ländlichen Raum ausdehnten. Aber: "Politik wird hier häufig als etwas 'Abstraktes' wahrgenommen. Wir haben hier eine große Politikverdrossenheit", erklärt Reifert. Diese übertrage sich häufig von den Eltern auf ihre Kinder.

Ein Mann und eine Frau sitzen in einer Diskussionsrunde.
Rico Reifert vom Kinder- und Jugendring Landkreis Leipzig und Hannah Lehmann vom Jugendparlament Leipzig finden, dass Politiker Fragen und Anliegen junger Menschen ernster nehmen müssten. Bildrechte: Christiane Gundlach

Politik wird hier häufig als etwas 'Abstraktes' wahrgenommen. Wir haben hier eine große Politikverdrossenheit.

Rico Reifert Mitglied im Kinder- und Jugendring Landkreis Leipzig

Die Jugendlichen müssten Ergebnisse ihrer Fragen und Anliegen an die Politik sehen, betont Reifert: "Demokratie muss erfahrbar sein." Er plädiert dafür, dass Politiker in den Politikunterricht gehen und das Wahlalter sinkt. Er greift dabei eine Frage der Schülerin Patricia auf: "Sollte es ein Wahlrecht schon ab 14 Jahren geben?" Demokratiebildung sollte nicht zu spät anfangen, sagt Demokratie-Forscher Gert Pickel dazu: "Je früher man sich engagiert, desto besser."

Vorschlag von Schülern: Wahlprogramme besser erklären

Aber Jugendliche müssten auch ausreichend über Themen wie Wählen und politische Prozesse informiert sein, betont Rico Reifert. Und gut informiert, fühlen sich viele Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse nicht, berichten viele der Jugendlichen. Emil meldet sich und sagt, dass er einem Social-Media-Account von Bundeskanzler Olaf Scholz folge, dieser darauf aber wie ein "alter Mann" wirke. Viele im Publikum lachen. Doch was würde Emil abholen? "Die Politiker müssten ihre Wahlprogramme im Internet besser visualisieren", sagt der Schüler. Charlotte nickt: "Man würde mehr junge Leute erreichen, würde man Wahlprogramme erklärbar machen."

Ein Jugendlicher spricht in ein Mikrophon.
Schüler Emil vermisst auf den Social-Media-Kanälen von Politikern eine Sprache, die auch ihn als jungen Menschen anspricht. Bildrechte: Christiane Gundlach

Das Thema Rechtsextremismus und AfD nimmt bei diesem Diskussionsabend viel Raum ein. Schließlich meldet sich ein älterer Zuhörer aus dem Publikum: "Wir müssen über Demokratie reden und nicht 98 Prozent über die AfD." Viel Applaus aus dem Publikum.

Erstwählerin fühlt sich übers Wählen schlecht informiert

Am Ende der Gesprächsrunde erzählt Angelina, dass sie freiwillig daran teilnehmen wollte, weil das Thema AfD derzeit so präsent sei. "Ich nehme mir viel von heute Abend mit, zum Beispiel die verschiedenen Meinungen zu den umfangreichen Themen", sagt die 16-Jährige. Die Schülerin darf dieses Jahr bei den Europawahlen das erste Mal wählen. Sie fühlt sich jedoch wenig darauf vorbereitet: "Ich kann nicht sagen, dass ich mich so gut informiert fühle, dass ich bereit wäre zu wählen." Die Sprache von Politikern sei oft wenig zugänglich für junge Menschen, wichtige Themen wie der Klimawandel würden zu wenig besprochen.

Zwei Mädchen lächeln in die Kamera.
Die Oberschülerinnen Angelina (links) und Frida hatte vor allem interessiert, wie andere über aktuelle Themen wie Rechtsextremismus und Demonstrationen dagegen denken. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Ich kann nicht sagen, dass ich mich so gut informiert fühle, dass ich bereit wäre zu wählen.

Angelina Oberschülerin und Erstwählerin

Für Frida waren die Demos gegen Rechtsextreme ein Grund, warum sie sich jetzt mehr für Politik interessiert. "Ich wollte deswegen wissen, wie die Erwachsenen zum Beispiel über die Wahlen denken", sagt die 16 Jahre alte Oberschülerin. "Mir wurde heute Abend deutlich, dass wir auch eine Stimme haben und nicht alleine sind." Sie würde gerne etwas bewirken, wenn sie schon mit 16 bei den Landtagswahlen in Sachsen wählen könnte. "Dann könnten wir diesen Rechtsextremismus stoppen."

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Leipzig | 08. Februar 2024 | 16:30 Uhr

9 Kommentare

goffman vor 11 Wochen

Prinzipiell wäre es zu begrüßen, wenn wir uns aufgrund von politischen Ansichten und Einstellungen gruppieren, anstatt von Ländern, Himmelsrichtungen, Ethnien, Schichten oder Religionen.

Es ist besser, wenn Inhalte und Werte im Mittelpunkt stehen.

Dass es eine Tribalisierung gibt, in der sich die Gruppen unversöhnlich gegenüberstehen, würde ich aber nicht auf die ganze Gesellschaft verallgemeinern. Ja, es gibt Mitbürger, die sich auf keinen Diskurs und Austausch mehr einlassen. Da fallen dann Begriffe wie „Lügenpresse“, „die da oben“, „Einheitsbrei“ etc.pp. und selbst wissenschaftlichen Veröffentlichungen wird misstraut.
Auch wenn diese Mitbürger und ihre Vertreter sehr laut sind, auch und vor allem in den „sozialen“ Medien, so habe ich nicht den Eindruck, dass dies der Großteil der Bevölkerung ist.

Der Großteil redet immer noch miteinander, sucht und findet Kompromisse - was auch auf politischer Ebene sichtbar wird, wenn man die Politik im Bund oder den Ländern anschaut.

goffman vor 11 Wochen

„Ich kann nicht sagen, dass ich mich so gut informiert fühle, dass ich bereit wäre zu wählen.“
Und damit hat sich diese Erstwählerin vermutlich schon mehr Gedanken über die Inhalte gemacht als so mancher erwachsene Protestwähler.

Ich jedenfalls habe den Eindruck, dass unsere jüngeren Mitbürger deutlich besser über die Inhalte der Programme Bescheid wissen und sich mit der Umsetzbarkeit, der Finanzierbarkeit, den Folgen und Konsequenzen beschäftigen als die älteren Generationen (in Abhängigkeit vom Bildungsstand - aber das ist bei den Älteren nicht anders).

Bernd1951 vor 11 Wochen

Hallo mdr-Team,
was mir in dem Artikel vollkommen fehlt, ist der Unterschied zwischen "rechts" und "rechtsextrem".
Ein älterer Zuhörer aus dem Publikum bringt es meines Erachtens auf den entscheidenden Punkt:: "Wir müssen über Demokratie reden und nicht 98 Prozent über die AfD." Und das bedeutet, dass eine wirkliche Demokratie von der Meinungsvielfalt lebt und nicht alles was als "alternativlos" bezeichnet wird auch alternativlos ist. So eine Vorgehensweise löst m. E. keine Probleme, sondern verschärft die Lage noch.

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