Drogen Was Erfurts hohe Crystal-Werte im Abwasser aussagen
Hauptinhalt
24. Juli 2021, 05:00 Uhr
Müffelnd, dreckig - nichts, was sonderlich interessant erscheint: Abwasser. Doch in dem aus Erfurt schwimmen überraschend viele Rückstände der synthetischen Droge Crystal Meth. Wir haben mit dem gesprochen, der das untersucht und denen, die das in ihrer täglichen Arbeit merken.
- TU Dresden stellt hohe Crystal-Werte im Erfurter Abwasser fest
- Demnach wurden in der Pandemie mehr Drogen konsumiert
- Die Polizei kontrollierte weniger, weil es keine Veranstaltungen gab
- Suchthilfe und Staatsanwaltschaft bemerken aber den Anstieg bei den Fällen
Einmal im Jahr werden in Erfurt eine Woche lang Abwasserproben genommen. Auch andere Städte machen das, verteilt in ganz Europa. In Thüringen ist Erfurt die einzige. Die Proben gehen dann zu Björn Helm an die Technische Universität (TU) Dresden. Helm leitet die sogenannte "AG Siedlungshydrologie" in der Professur "Siedlungswasserwirtschaft". Er und sein Team untersuchen seit 2015 zum Beispiel, wie viele Drogenrückstände von welchen Substanzen im Abwasser nachweisbar sind.
Monitoring-Programm Score
Europaweites Monitoring-Programm der "EMCDDA" - der europäischen Monitoringstelle Drogenkonsum. Die TU Dresden beteiligt sich an SCORE auf freiwilliger Basis. Die Labore und Wissenschaftler untersuchen das Abwasser auf Drogenrückstände, erhoffen sich dadurch neue Erkenntnisse zu Konsum und Verbreitung und wollen auch der Politik Instrumente in die Hand geben. So erstellen die Mitarbeiter teils auch Auswertungen für Gesundheitsämter oder Sozialministerien von Bundesländern.
Sehr hohe Crystal-Werte in Erfurt
Schaut Helm sich die Daten im Vergleich an, fällt auf: "Die Crystal-Werte sind in Erfurt im Vergleich zu anderen Standorten in Deutschland sehr hoch." Helm erklärt: "Wenn ich unsere Untersuchungsergebnisse hochrechne, befanden sich etwa in der Probenwoche im August 2020 in Erfurt täglich 80 bis 100 Gramm Methamphetamin im Zulauf der Kläranlage Erfurt. Die Ausscheidungsrate liegt bei 24 bis 57 Prozent (abhängig von Person und Konsumform), entsprechend werden etwa 200 bis 300 Gramm pro Tag im Stadtgebiet von Erfurt konsumiert."
Pro Tag werden in Erfurt 200 bis 300 Gramm Crystal genommen.
Crystal Meth-Nachweise in mitteldeutschen Städten
Konsum sehr unterschiedlich
Wie sich diese Werte zusammensetzen, kann Helm nicht genau sagen. Er weiß aber, dass ein "Einsteiger" mit 0,1 Gramm beginnt, ein schwer Abhängiger bis zu 1,5 Gramm pro Dosis konsumiert. Ob nun also viele Konsumenten für diese Werte sorgen oder weniger Konsumenten, die sehr große Dosen einnehmen, das verraten die Zahlen auf den ersten Blick nicht. Dass es insgesamt sehr viel ist, das weiß Helm aber schon - durch den Vergleich mit den anderen Städten.
Was kommt im Klärwerk an?
Je nachdem, ob die Drogen geraucht oder eingenommen werden, wie stark sie dosiert sind und wie hoch ihr Wirkstoffgehalt ist, desto mehr oder weniger wird am Ende ausgeschieden und landet in der Toilette.
Wildpinkler, sagt Helm, werden nicht erfasst. Seine Daten beruhen auf den "Drogenkonsumenten, die das Abwassersystem nutzen". Ob die es zum Beispiel mit dem Gang zur Toilette runterspülen oder ob vielleicht ein bisher unentdecktes Drogenlabor hinter den Zahlen steckt - Helm vermutet erstes.
"Untersuchungen aus anderen Ländern zeigen, dass die Produktion und Entsorgung nicht sehr kontinuierlich passiert, sondern dass es stoßweise an bestimmten Tagen zum Anstieg der Werte kommt und an anderen Tagen die Belastung geringer ist. Die Werte in Erfurt zeigen eine relativ ausgeglichene Menge an verschiedenen Tagen und das ist ein Indiz für Konsum, so Helm.
Potential nicht erkannt
Das Abwasser verrät also eine Menge. Nur wird das aus Sicht von Helm noch nicht ausreichend gewürdigt.
Aus meiner Sicht wird das Potential, was diese Untersuchung bietet, noch nicht ausreichend erkannt.
Ganz konkret kann man zum Beispiel dadurch die Dunkelziffer quantifizieren - wenn man jetzt abgleicht: Wie viele Konsumenten könnte es geben und wie hoch sind die Fallzahlen bei Polizei und Suchthilfe.
Anderer Konsum in der Pandemie
Helm und sein Team werten gerade Daten aus, die auch den Konsum während der Pandemie mit dem Vor-Corona-Niveau vergleichen. Erste Ergebnisse zeigen, dass zum Beispiel der Crystal-Meth-Konsum während der Lockdown-Phasen gestiegen ist. Der Konsum von Kokain hingegen, ist zurückgegangen, so Helm.
(der "Ausreißer" 2019 geht laut Polizei auf einen größeren Drogenfund zurück)
Wer suchet, der findet - "Kontrolldelikt" Drogen
Viel hat sich in dieser Zeit zuhause abgespielt. Das ist auch der Polizei klar. Denn es gab weniger Veranstaltungen, im Lockdown waren kaum Menschen auf der Straße und demnach gingen auch die Kontrollen zurück, so die Erfurter Polizeisprecherin Julia Neumann. Damit sank auch die Zahl der gefundenen Drogen durch die Polizei.
Es waren mehr Drogen im Umlauf, aber wir haben sie nicht festgestellt. Der Konsum spiegelt sich in den Zahlen der Polizei nicht wieder.
Die Polizei unterscheidet zwischen "Hellfeld" - den festgestellten Delikten, die die Polizei auswerten kann und dem "Dunkelfeld" - also all dem, was im Unklaren bleibt, aber trotzdem da sein muss.
So erfasste die Polizei in Erfurt 2019 1.633 Verstöße, etwa wegen Drogenbesitz. 2020 waren es 1.551 Fälle. Also nur 100 weniger trotz Corona-Beschränkungen. 2020 wurden 1.181 Tatverdächtige ermittelt, die z.B. Drogen dabei hatten. Davon waren 83 Prozent Männer, 17 Prozent Frauen. Sie hatten bei 1.551 Verstößen in 901 Fällen Cannabis dabei, in 354 Fällen Crystal, in 120 Fällen Amphetamin wie Speed und in 24 Fällen Kokain.
Für Erfurt selbst gibt es keine Zahlen, wie hoch die sichergestellten Mengen sind. Doch meist erwischt die Polizei nur "die kleinen Fische", wie Julia Neumann es nennt. Für Thüringen gibt sie diesen Überblick.
Suchthilfe bemerkt höheren Konsum
Was in den Tabellen der Erfurter Polizei oder bei der TU Dresden als trockene Zahl auftaucht, bekommt in der Sucht- und Drogenberatungsstelle "Knackpunkt" in der Erfurter Heinrichstraße ein Gesicht und eine Geschichte.
Claudia Adamczyk leitet die Einrichtung. Die Sozialtherapeutin sagt, Crystal ist ein Schwerpunkt in der Beratung. 2019 kamen 485 "Klienten" zum Knackpunkt. 156 davon nahmen hauptsächlich Crystal. Salopp gesagt, es war ihre "Lieblingsdroge" - dabei ist nicht ausgeschlossen, dass noch andere Substanzen eingenommen werden.
2020 war die Zahl ähnlich: 482 Klienten, davon 174 mit Hauptdiagnose Crystal. Claudia Adamczyk erzählt, dass Crystal in Erfurt eine "gern genommene Droge" ist. Auf Platz zwei in der Beratung liegt Cannabis. Sie geht davon aus, dass die Konsumenten in der Corona-Pandemie mehr Drogen genommen haben.
Der Crystal-Konsum ist auf hohem Niveau. Es heißt aber nicht, dass mehr Leute die Droge nehmen - es heißt, dass mehr konsumiert wird. Die Schicksale werden krasser, die Chronifizierung nimmt zu und die Corona-Pandemie hat dafür nichts Gutes getan.
Eingeschränkte Hilfe
Während des Lockdowns gab es etwa bei "Knackpunkt" im März und April 2020 keine persönlichen Beratungen. Am Telefon merkten die Mitarbeiter, wie verunsichert ihre Klienten sind. Als persönliche Gespräche wieder möglich waren, wurden die gut genutzt. So habe es in der Pandemie eine stark "angstmachende Komponente" gegeben, so Adamczyk. Und das hätten viele Drogenkonsumenten versucht, mit höherem Konsum zu kompensieren.
Dazu komme, dass Krankenhäuser kaum Suchtpatienten aufgenommen hätten und auch die Therapiemöglichkeiten stark eingeschränkt gewesen seien.
Wer also beispielsweise seine Emotionen "nicht mehr so stark fühlen" wollte, begab sich mit höherem Konsum ein Stück tiefer in den Teufelskreis. Da nun wieder rauszuhelfen, ist die Aufgabe von Adamczyk und anderen Suchtberatern.
Wer kommt zur Drogenberatung?
Einen Klienten, der aus eigenem Willen aufhören will, bezeichnet Adamczyk als "Einhorn der Suchtberater".
Jeder hat schon mal eins gesehen, aber es ist noch nie fotografiert worden. Das passiert nur, wenn der Leidensdruck nicht mehr wegzudiskutieren ist. Aber das Wesen der Sucht ist Verdrängung.
Häufig wird der Druck aus dem Umfeld größer: Familie, Partner, Eltern, Arbeitgeber, auch das Jobcenter, wenn der Führerschein weg ist wegen Fahren unter Drogen oder weil es das Gericht anordnet.
Auflage Drogenentzug
Wenn jemand wegen Drogenbesitz oder -konsum das erste Mal vor Gericht landet, kann es sein, dass dieses die "Weisung" erteilt, zur Suchtberatung zu gehen. Doch dafür muss der Beschuldigte "aufgeschlossen und willig" sein, so Oberstaatsanwalt Hannes Grünseisen. Der Pressesprecher der Erfurter Staatsanwaltschaft erklärt, dass dies aber eher selten passiert. Das Strafmaß richtet sich nach vielen Faktoren:
- Wurde derjenige zum ersten Mal mit Drogen erwischt?
- Wie viel wurde gefunden?
- Wie hoch war der Wirkstoffgehalt?
Wirkstoffgehalt/Mengen Die Strafen richten sich zum Beispiel danach, ob es sich um eine "nicht geringe Menge" handelt und wie hoch der Wirkstoffgehalt ist. Die Richtwerte unterscheiden sich von Droge zu Droge. Sie werden vom Bundesgerichthof festgelegt. So ist der entscheidende Wirkstoffgehalt bei Marihuana 7,5 Gramm. Bei Crystal Meth schwankt der Wirkstoffgehalt zwischen 10 und 70 Prozent. Die Strafen unterscheiden sich also, ob man "viel schlechten Stoff" dabei hat etc. oder "wenig Wirksameren". Bei Crystal geht man von fünf Gramm Methamphetamin-Base aus, d.h. im Schnitt bei einem Reinheitsgehalt von ca. 70 Prozent "reichen" circa acht Gramm Crystal für eine "nicht geringe Menge" im Sinne von § 29a BtMG. Dafür droht eine Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.
Außerdem lassen die Gerichte einfließen, ob der oder die Beschuldigte noch andere Mittel konsumieren/dabei hatten, ob sie es besessen, gekauft oder zum Weiterverkauf gekauft haben, ob sie es an Minderjährige abgeben wollten oder abgegeben haben und ob sie eine Waffe dabei hatten.
Genaue Zahlen zu Drogen-Prozessen in Erfurt gibt es nicht. Hannes Grünseisen fragt bei den sechs Kollegen nach, die Drogendelikte verhandeln. Sie erkären, dass die Crystal-Fälle stetig steigen und fast gleichgezogen sind mit den Marihuana-Fällen. Andere Substanzen spielten in Erfurt kaum eine Rolle. Häufig etwa gebe es Autounfälle, bei denen Crystal-Konsum festgestellt würde.
Im "Normalfall" hätten die Konsumenten zwischen 0,1 und 1 Gramm dabei. Das sind auch die Zahlen, die die TU Dresden nennt. Kleindealer haben laut Grünseisen zwischen fünf und 50 Gramm dabei, Mittlere Händler einige hundert Gramm, von Großdealern spreche man ab einem Kilogramm.
Er erinnert sich an einen Fall, bei dem ein Angeklagter aus Apolda zugab, zwischen 2017 und 2021 insgesamt 15 Kilogramm Crystal verkauft zu haben - mit einem Wert von 400.000 Euro. Angeklagt war der Mann wegen 300 Gramm. Die ganz großen Fälle landen dann aber bei der Staatsanwaltschaft Gera im Bereich Organisierte Kriminalität.
Rückfallquote hoch
Auf die Frage, wie viele Angeklagte die Gerichte wiedersehen, sagt Grünseisen: "Die Rückfallquote ist sehr hoch". Schließlich seien die meisten selbst abhängig.
Drogenkonsum bekämpft man nicht durch eine Strafe, sondern durch Therapie.
Auch wenn unter den Angeklagten heute alle Bevölkerungsschichten vertreten sind - so gab es Fälle mit Soldaten oder Ärzten - bewegen sich Drogenabhängige häufig in einer Art "Randmilieu". Dort sei der "Kontrolldruck" hoch, die Verbindung zu anderen "Junkies oder Dealern" sei da, an "kriminogenen Orten" - wer öfter kontrolliert werde, falle auch öfter auf. Die wenigsten werden clean, so Grünseisen. Die Rückfallquote sei sehr hoch.
Quelle: MDR THÜRINGEN
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Morgen | 24. Juli 2021 | 05:00 Uhr