Weimar Staus in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald: Wie die Stiftung ihre Bildungsstrategie neu aufstellen will

03. April 2023, 12:19 Uhr

Besuche in KZ-Gedenkstätten gehören zum Geschichtsunterricht dazu. Die meisten Thüringer Schulen entscheiden sich für eine Führung im nahe gelegenen ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Auf einen Termin müssen Schulen dort aber nicht selten eineinhalb Jahre warten. Ein Umstand, den Stiftungsdirektor Jens-Christian Wagner ändern will.

"Wir sind Opfer unseres eigenen Erfolgs", sagt Holger Obbarius, Leiter der Bildungsabteilung in der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Die Anfragen von Schulen aus dem gesamten Bundesgebiet reißen nicht ab.

Wer eine Projektwoche, ein paar Projekttage oder auch nur einen Tag in Buchenwald verbringen will, um dort intensiv zu lernen, muss geduldig sein. Eine Schule aus Frankfurt am Main, berichtet der Bildungschef, hat bereits Termine bis 2028 vorgebucht. Geduldig, vorausbuchend, oder aber flexibel sein führt zum Erfolg.

Lernen erst recht am Wochenende möglich

"Für unsere 10. Klassen haben wir eine drei-Tages Tour buchen wollen", berichtet Susanne Eisenberg, Geschichtslehrerin der Freien Ganztagsschule in Milda (Saale-Holzland-Kreis). "Dafür hätten wir unter normalen Umständen aber über ein Jahr warten müssen."

Das war der Lehrerin zu viel. Sie hat nach Alternativen gesucht und diese an einem Wochenende gefunden. "Wir haben uns mit Eltern und Schülern darauf geeinigt, von Freitag bis Sonntag zu fahren. Und obwohl es sich um 16-jährige Jugendliche handelt, die an Wochenenden eigentlich etwas anderes vor haben, waren sie sich einig. Wir sind gefahren. Dann hat es recht schnell mit dem Termin geklappt."

Das aber, sagt Stiftungsdirektor Jens-Christian Wagner, ist leider die Ausnahme. "Die meisten Schulen beharren auf einen Termin am liebsten Dienstag bis Donnerstag 10 Uhr und wenn möglich nur in den Sommermonaten. Nachvollziehbar im schulischen Alltag, doch für uns in der Masse nicht zu bewältigen." Wunschtermine sind sehr beschränkt.

Die meisten Schulen beharren auf einen Termin am liebsten Dienstag bis Donnerstag 10 Uhr und wenn möglich nur in den Sommermonaten.

Jens-Christian Wagner

Gedenkstätte drohte zu "Disneyland" zu werden

Maximal zehn Gruppen sollten zeitgleich auf dem Gelände sein. Die räumlichen Kapazitäten geben mehr nicht her. "Es kommt zu Engpässen und Stausituationen vor dem Lagertor oder Krematorium", berichtet Bildungschef Holger Obbarius. "Das ist keine Lernsituation, die dem Ort angemessen ist." Individualbesucher fühlen sich gestört. "Wir hatten schon Beschwerden von Besuchern, die das KZ als Disneyland bezeichneten", sagt der Bildungschef.

Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora Weimar
Stiftungsdirektor Jens-Christian Wagner: Frontalvorträge bringen nicht viel, mehr hingegen diskursive Formate. Bildrechte: imago images/ari

Längere Formate angedacht

Diesen Umstand wollen weder Wagner noch Obbarius akzeptieren. Sie arbeiten an einer neuen Bildungsstrategie. "Schülergruppen sollen mindestens einen Tag lang zu uns kommen. Eine Führung von zwei Stunden bringt nicht viel. Was alle Evaluationen sagen ist, dass das, was bislang in vielen Gedenkstätten Standard gewesen ist, im Sinne des historischen Lernens unsinnig ist. Eine 1,5-Stunden-Berieselung geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus", so Jens-Christian Wagner.

Führungen im Frontalvortrag soll es für Schüler gar nicht mehr geben. Bereits jetzt setzt die Stiftung auf ein diskursives Format, das ausgebaut werden soll. Schüler sollen Zeit und Raum haben für Fragen. Sie sollen reflektieren können und ihre Antworten finden, zum Beispiel, was es heißt, dieses "Nie wieder!"

Geschichtslehrerin Steffi Färber aus Milda schätzt gerade die Zeit, die den Schulklassen gegeben wird. "Hier haben sie den Raum, um Fragen zu stellen, die immer kompetent beantwortet werden. Sie sind an dem Ort und können alles sacken lassen, aber auch ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Das ist nachdrücklicher, als es jemals in einem Klassenraum passieren kann."

Die Führungen sollen also noch intensiver, noch länger werden. Der Wunsch der Gedenkstätte engt den Terminkalender aber auch noch weiter ein. Schüler, die länger bleiben, besetzen auch länger Räume und Personal. Wieder appelliert der Gedenkstättenchef an Schulen und Lehrer doch zeitlich flexibel zu sein , aber auch räumlich.

Außenlager in den Fokus nehmen

"Warum müssen alle nach Buchenwald kommen? Das Konzentrationslager hat fast 140 Außenlager." Dort soll das Bildungsangebot verstärkt werden. Auch die Onlinepräsenz soll erweitert werden. Bereits jetzt gibt es eine App, mit der Schüler lernen und erfahren können. Die Außenstandorte sollen mehr in den Fokus rücken.

"Es macht mehr Sinn, wenn sich eine Schulklasse aus Leipzig in der dortigen Gedenkstätte für Zwangsarbeit länger aufhält und sich dort intensiv mit der Geschichte der Buchenwalder Außenlager in und um Leipzig beschäftigt, als zwei Stunden durch Buchenwald zu gehen." Zudem wünschen sich die Stiftungsmitarbeiter mehr Vorarbeit der Schulen. "Manche Schüler kommen ohne Vorkenntnisse und unvorbereitet hierher", berichtet Holger Obbarius.

"Auch die Reflexion danach, im Geschichtsunterricht ist wichtig." Unterrichtsmaterial stellt die Stiftung bereit. Auch Individualbesuchern rät Obbarius, etwas länger als nur zwei Stunden zu Verweilen. Die Einzelbesucher kommen zwar mit einem gewissen geschichtlichen Know How, doch auch das braucht Zeit und die Erlebnisse sollten reflektiert werden."

Stiftung baut Beratung aus

Um all diese Wünsche erfüllt zu bekommen, muss die Stiftung selbst ein stückweit in Vorleistung gehen. "Auch deshalb werden wir die Beratung insbesondere für Schulen intensivieren. Das sollen nicht mehr die Mitarbeiter am Informationstresen machen. Dafür braucht es Menschen im Büro mit Zeit."

In diesem Jahr wird es wohl weiter eng zugehen, auf dem Gelände des ehemaligen KZ Buchenwald. Doch 2024, so hofft Stiftungsdirektor Jens-Christian Wagner, werden die Gruppen schon schlauer gesteuert sein und es weniger Staus und Engpässe geben. Übrigens: Individualbesucher können jederzeit in die Gedenkstätte kommen. Führungen für sie sind auch spontan möglich.

MDR (cma/dr)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 03. April 2023 | 18:00 Uhr

107 Kommentare

randdresdner am 05.04.2023

@Ilse Doch - es ist ein ein Vernichtungslager, wenn man Menschen unter solchen Umständen ein sperrt und bewusst bis zum Tode arbeiten lässt. Auch wenn ich die Nazis und ihre Anhänger geistig ganz weit hinten sehe, wusste sie genau, was das zusammenpferchen von Menschen für Auswirkungen hat. Wir reden hier über 50.000 Menschen die hier ermordet wurden, dabei unterscheide ich nicht die Art der Ermordung, weil es den Nazis gar nicht darum ging, die Menschen frei zu lassen. Einzig für Propagandazwecke wurden mal welche entlassen.
Ich verstehe einfach nicht warum sie das hier so klein reden.

Ilse am 05.04.2023

Der Beobachter
"...Ilse, was bezwecken Sie"

Aus meiner Sicht darzulegen, dass es in Buchenwald, das kein Vernichtungslager war, wenn man die dortigen Gegebenheiten betrachtet, nicht um systematische Vernichtung der Häftlinge durch Arbeit ging, es aber durch das wirkliche praktische Verhalten u. die unhaltbaren Umstände in der damaligen Realität, später kriegsverschärfend, zu Tausenden Toten kommen musste, selbst wenn alle "nur" in den Baracken verschont gesessen hätten, in den 8 Jahren von 1937-1945, allein wenn man die Massen an Häftlingen betrachtet.

Germinator aus dem schoenen Erzgebirge am 05.04.2023

"und spätpubertäre Verquerdenker"

Sie vergleichen das hier also mit Leuten, die sich nicht gern impfen lassen wollen, oder mit Spaziergängern, ....
Also ihr üblicher inflationärer Unsinn wie sie das so oft schon gesehen anbringen.

Daran sieht man, wie wichtig und ernst ihnen dieses Thema ist.
Bitte verschonen sie mich zukünftig mit ihren Possen.

🍀☝️

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