Stadtansicht Jena mit Rathaus
Jena plant, mindestens 50 Prozent der bebaubaren Flächen in städtische Hand zu bringen. Bildrechte: IMAGO

Explodierende Preise Stadt gegen Spekulanten: Wie Wohnen und Bauen in Jena günstiger werden soll

11. Mai 2024, 14:39 Uhr

Jena will raus aus der Wohnungsmisere. Deshalb kauft die Stadt künftig geeigneten Grund und Boden auf, um dort mehr Einfluss auf den Wohnungsbau zu nehmen. Durch das sogenannte Baulandmodell sollen bis 2035 fast 5.000 neue Wohnungen entstehen. Vorbild dafür ist Ulm. Dort wird das Modell seit mehr als 100 Jahren praktiziert.

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Das Ulmer Modell: Bebaubare Flächen in städtischer Hand

So gut wie jede bebaubare Fläche in Ulm ist mittlerweile in kommunalem Eigentum. Das entspricht etwa einem Drittel des Stadtgebiets. Auf diese Weise geht die baden-württembergische Großstadt gegen Grundstücksspekulationen und exorbitant steigende Preise vor. Wer hier bauen will, muss den Boden von der Stadt kaufen. Wer dann nicht baut, muss ihn zurückgeben. Und zwar zum vorherigen Kaufpreis.

Eine Jenaer Arbeitsgruppe aus Stadträten fast aller Fraktionen hat sich das Ulmer Modell angesehen und für die Saalestadt angepasst. Denn seit Jahren explodieren hier Grundstückspreise. Auch dadurch ist Wohnungsbau extrem teuer und fast zum Erliegen gekommen.

Das Jenaer Modell: Baugenehmigung nur nach Grundstücksverkauf

Das neue Jenaer Modell sieht wie folgt aus: Die Stadt kauft in den kommenden Jahren zum Bauen geeignete Flächen auf. Die sind entweder noch nicht im Fokus eines potenziellen Bauherrn und damit günstig zu haben. Wahrscheinlicher ist, dass das Grundstück bereits einem Investor gehört, der dort gerne bauen möchte. Vielleicht wartet er auch ab, um den Grundstückspreis künstlich in die Höhe zu treiben.

Wie auch immer - die Stadt kann den Investor zum Verkauf an sie zwingen. Wie? Indem sie das Bauprojekt nur genehmigt (also Bau- und Planungsrecht schafft), wenn zuerst einmal die Fläche zurück an die Kommune geht. Den Preis dafür legt die Stadt nach eigenem Ermessen fest.

Was soll es bringen?

Die Stadt will ihre Verwaltungsmacht zugunsten des Gemeinwohls nutzen. Böse Zungen könnten das auch Erpressung nennen, nach dem Motto: Wenn du nicht verkaufst, wirst du hier nie bauen können. Doch die beabsichtigte Wirkung ist, überhitzten Bodenpreisen entgegenzuwirken.

Zudem habe Jena deutlich mehr Einfluss auf mögliche Wohnungsbauprojekte. So erklärt es zumindest Stadtentwicklungsdezernent Christian Gerlitz (SPD): Die Zeiten, in denen Grundstücke an die Höchstbietenden verkauft wurden, damit kurzfristig Geld in die Stadtkasse komme, seien vorbei.

Christian Gerlitz, Umweltdezernent der Stadt Jena
Umweltdezernent Christian Gerlitz setzt große Hoffnungen in das Jenaer Modell. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Durch das Jenaer Baulandmodell sollen bis 2035 fast 5.000 neue Wohnungen entstehen. Und zwar, indem die Rolle der Stadt bei der Entwicklung von Wohngebäuden oder ganzen Wohngebieten gestärkt wird. Wenn alles getan ist und die Stadt ihren Einfluss ausreichend geltend gemacht hat, könne der Bauherr das Gründstück übrigens wieder von der Stadt zurückkaufen, so Gerlitz weiter.

Gibt es Ausnahmen?

Jena hat das Ulmer Modell nicht eins zu eins übernommen. Wenn die Rahmenbedingungen bei schon fortgeschrittenen Baukonzepten stimmen, können Baugenehmigungen auch ohne den zwangsweisen Verkauf an die Stadt erfolgen. Voraussetzung ist aber, dass die Stadt in dem Vorhaben genügend Mitspracherecht bekommt.

Wird Wohnen dadurch billiger?

Das ist die Hoffnung der Stadt. Sozialwohnungsbau ist teuer, da die geringen Einnahmen aus Vermietung niemals die Baukosten wieder reinholen. Daher ist sozialer Wohnungsbau derzeit nur mit großen staatlichen Förderungen (von Land und Bund) möglich. Eine Verpflichtung des Bauherrn zum sozialen Wohnungsbau gibt es im Jenaer Modell nicht.

Stadtansicht von Jena von oben. Im Hintergrund sind Berge zu sehen.
Wohnen in Jena ist teuer: Konventioneller Neubau landet bei mindestens 18 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Aber die Stadt will nach eigenen Angaben sehr genau kontrollieren, ob staatliche Förderungen für ein Projekt beantragt worden sind. Das Motto lautet: Sind Förderungen für sozialen Wohnungsbau möglich, dann müssen auch mindestens 30 Prozent sozialer Wohnungsbau erfolgen. Heißt in Jena: 5,90 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete.

Konventioneller Neubau landet heutzutage bei mindestens 18 Euro für den Quadrameter kalt. Da hat der Bauherr aber gerade seine Kosten wieder eingespielt. Und auch das ist nur eine Wette auf die Zukunft.

Wie geht Jena konkret vor?

Derzeit besitzt die Stadt laut Stadtentwicklungsdezernat etwa 13 Prozent der bebaubaren Flächen. Zielgröße seien 50 bis 66 Prozent. Der Boden, um den es geht, ist in der Wohnbauflächenkonzeption genau verzeichnet. Die Pläne sind also schon gemacht und müssen jetzt nur Schritt für Schritt abgearbeitet werden.

Stadtansicht von Jena mit JenTower und Friedrich-Schiller-Universität
Der Wohnungsmarkt in Jena gilt als schwierig für Mieter, die Mieten sind vergleichsweise hoch. Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Jenas kommunaler Immobiliendienstleister KIJ hat für den Grundstückskauf rund 2,5 Millionen Euro zur Verfügung. Einziger Flaschenhals für die schnelle Abwicklung ist das Personal. Nur zwei bis drei Mitarbeiter kümmern sich darum. Vier neue Stellen sollen geschaffen werden.

Fazit: Jena als "ostdeutsche Avantgarde"

Das Jenaer Baulandmodell ist ein Paradigmenwechsel. Geschickt eingesetzt könnte es Bodenspekulationen verhindern, dadurch Baukosten verringern und für mehr Wohnbau sorgen. Außerdem bekommt die Stadt wieder mehr Kontrolle über die städtebauliche Qualität der Wohngebäude.

Dezernent Christian Gerlitz bezeichnet das Jenaer Modell als "Avantgarde für ostdeutsche Verhältnisse" und hoffe, dass es Nachahmer finde. Allerdings: Schnelle Erfolge lassen sich mit dem Baulandmodell nicht einheimsen. Es braucht einen langen Atem, bis es wirken könnte. Das Ulmer Modell läuft seit mehr als 125 Jahren.

MDR (lea)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 10. Mai 2024 | 18:20 Uhr

35 Kommentare

Maria A. vor 21 Wochen

Wo, um Himmels Willen, war meinerseits Neid vorhanden? Haben Sie meinen Kommentar richtig gelesen? Für mich gilt der Grundsatz, "Man muss gönne könne" und wenn ich irgendwo linke Umverteilungsphantasien vorgesetzt erhalte, werde ich grantig. Privateigentum ist für mich unantastbar. Für mich hat die Aussage des Bekannten schlüssig geklungen. Wessi-Bashing war damit gar nicht angedacht, es gab einfach sehr viel mehr private Großvermietung in den Städten im Westen, während im Osten die Plattenbauten meist Wohnungsbaugesellschaften verwalteten. Die Mieten stiegen dann ja auch. Wenn Sie das für Zufall halten oder anders sehen, gern.
Ich lasse mir ansonsten wenig vormachen. Und kann mir selbst noch weniger was vormachen.

ElBuffo vor 21 Wochen

Manchmal frag ich mich, ob man sowas selber glaubt bzw. den Widerspruch nicht bemerkt. Und öfter lautet dann wohl leider die Antwort Ja. Die Mehrheit der Vermieter lebt logischerweise nicht ausschließlich von Zinseinnahmen auf dem Sparbuch der örtlichen Sparkasse, sondern wird vielmehr Mieteinnahmen haben, die während der Niedrigzinsphase auch nicht gesunken waren.

Quercus vor 21 Wochen

@Wessi: Das habe ich so nicht geschrieben. Es muss Fairness herrschen, das heißt gleiche Startbedingungen und Bildungschancen für alle, unabhängig des Geldbeutels. Für die anderen mindestens der Mindestlohn oder höher. Aber wer Millionär oder Richtung Millionär werden oder kommen will muss es ohne Gewinn oder Erbe letztlich selbst tun. Das ist soziale Marktwirtschaft. Ich würde gerade im Fall Jena nicht zuerst nach Staat oder sowas ähnliches wie gemeinnützigenUnternehmen schreien. Die Stadt selbst erschloss ein sehr großes Baugebiet (städtisches Eigentum), das ist seit 2021 fertig. Gebaut wird dort heute nichts. Die Ernst-Abbe-Stiftung verfügt in bester Lage über einen fast ganz halbseitigen Strassenzug mit seit rund 20 Jahren leerstehenden Gebäuden. Die Staatsanstalt Bundesimmobilienanstalt verfügt über pot Bauland und über seit langem leerstehende unvermietete Wohnungen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Linke oder etwas linke Politiker schimpfen schnell auf "schuldhafte" Investoren.

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