Zwei Personen stehen auf einer Bühne. Eine hält ein Mikrofon, die andere hat ihr Gesicht durch ein Pappmaché-Haus mit erleuchtetem Fenster gesteckt und trägt eine Pflanze. 7 min
Die neue künstlerische Leitung am Theaterhaus startet in die Spielzeit mit der ersten Premiere. Kritiker Wolfgang Schilling ist durchaus angetan von der surrealistische Tragikomödie "Rhapsody", wie er im Gespräch erzählt. Bildrechte: Joachim Dette
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Die neue künstlerische Leitung am Theaterhaus startet in die Spielzeit mit der ersten Premiere. Kritiker Wolfgang Schilling ist durchaus angetan von der surrealistische Tragikomödie "Rhapsody".

MDR KULTUR - Das Radio Fr 25.10.2024 14:54Uhr 06:55 min

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Spielzeitauftakt Theaterhaus Jena: Neues Team überzeugt mit erster Premiere

25. Oktober 2024, 16:59 Uhr

Das erste Theaterstück der neuen künstlerischen Leitung am Theaterhaus Jena kommt wie ein surrealistischer Fiebertraum daher. Mit einer Ästhetik zwischen Popkultur und Horror wird die Tragikomödie "Rhapsody" zur rasanten Reise in die Gefühlswelt der Generation Z - eine Kritik.

  • Das Theaterhaus Jena ist mit neuer künstlerischer Leitung in die neue Spielzeit gestartet.
  • Die erste Premiere, "Rhapsody", ist angelegt wie ein Fiebertraum zwischen Popkultur, Horror und Surrealismus.
  • Das Stück erzählt Dystopisches vom Zustand der Welt, schafft es am Ende aber dennoch, Hoffnung zu verbreiten.

Am Theaterhaus Jena hat ein neues Team seinen Dienst angetreten. Streng genommen schon vor ein paar Wochen, aber jetzt hatte auch die erste neue Produktion dieses etwas anderen Stadttheaters seine Premiere.

Doch bevor es um die geht, ein Wort zur neuen Mannschaft: Die ist sehr jung und geht in Dienstangelegenheiten, wie zu hören, gerne basisdemokratische Wege – was neben flachen Hierarchien im Haus auch eine sehr enge Mitnahme des Publikums bedeutet. So gibt es öffentliche Hauptproben und vielerlei Gesprächsangebote für alle, die das wollen. Aber eben auch eine neue künstlerische Leitung.

Neues Team – frischer Wind im Theaterhaus Jena

Zu der gehört auch Azeret Koua, die Regisseurin des Eröffnungsstücks "Rhapsody", einer Uraufführung aus ihrer Feder. Auf der Bühne mit dabei sind fünf der insgesamt sieben neuen Spielerinnen und Spieler. Eine junge, aber nicht unerfahrene Truppe ist das, deren Mitglieder auch schon an guten Adressen des deutschen Stadt- und Staatsheaters in Dresden, Stuttgart und Berlin auf der Bühne standen.

Eine Person liegt auf dem Boden einer Bühne und hat ihr Gesicht durch ein Pappmaché-Haus mit erleuchtetem Fenster gesteckt.
"Rhapsody" von Azeret Koua ist wie ein Fiebertraum über die Beschaffenheit unserer Welt. Bildrechte: Joachim Dette

Das Stück, das sie spielen, ist kein Theaterstück im herkömmlichen Sinn. Eher ein Fiebertraum über die Beschaffenheit unserer Welt und was diese der jungen Generation zu bieten hat, die hier auf der Bühne steht. Als Zuschauer wird man auf eine 90-minütige rasante Reise in die Gefühlswelt der Genration Z mitgenommen, den zwischen 1995 und 2010 Geborenen also.

Wobei die Regisseurin und Stückerfinderin Azeret Koua mit ihrem Geburtsjahr 1993 strenggenommen ja sogar Millenial ist. Sie ist eine in Detroit geborene Afroamerikanerin, die in China gelebt hat und als Theaterfrau in Deutschland sozialisiert wurde. Nach ihrem Studium in München hat sie am dortigen Residenztheater und in Dortmund schnell ziemlich gute Theaterluft schnuppern dürfen und legt nun auf ihre ganz eigene Art in Jena los.

Ein kleines bisschen Horrorshow

Die Ästhetik hat aktuell viel mit Popkultur, jeder Menge Spaß an Horror und Surrealismus zu tun – aber auch mit ausgeprägtem Handwerk und Lust an gutem Schauspiel, was die fünf auf der Bühne, Saba Hosseini, Ioana Nitulescu, Jonathan Perleth, Iman Tekle und Florian Thonsap Welsch, auch bedienen können.

Vier Personen stehen auf einer Bühne auf einem runden Podest, eine Person steht unterhalb des Podests. Eine Person hält einen Sonnenschirm, zahlreiche Vöfel fliegen durch die Luft.
Die Ästhetik von "Rhapsody" hat viel mit Popkultur, Horror und Surrealismus zu tun. Bildrechte: Joachim Dette

Sie spielen zwar einen irren Fiebertraum, aber sie bleiben dabei immer Herrinnen und Herren des Geschehens. Weil sie, von der Regie gut geführt, immer genau wissen, was sie da tun und überzeugt sind von dem, was sie da spielen, singen und teilweise auch tanzen. Dabei sind sie immer – im Übrigen nicht elektronisch verstärkt – gut zu verstehen. Was nicht unbedingt mehr die Regel ist und mir als älterem Theaterromantiker gut gefallen hat.

Vorhang auf und viele Fragen offen

Zum Anfang ist der Vorhang geschlossen. Davor liegt eine schlafende Gestalt. Romantische Klaviermusik ist zu hören und aus dem Off eine Stimme, die Dystopisches vom Zustand der Welt erzählt. Dann beginnen langfingrige Hände die Liegende unter dem Vorhang weg nach hinten zu ziehen. Hinein in ein cooles Gruselkabinett. Die Bühnenbildnerin Nicole Marianna Wytyczak und die Kostüm- und Maskenbildnerin Elizaweta Veprinskaja haben einen phantasievollen Spielraum für eine geheimnisvolle Dame in Schwarz und drei an Inquisitoren erinnernde Gestalten geschaffen.

Zwei Personen in roten Roben mit Schwarzen Hutmasken sitzen an einem Tisch auf einer Bühne. Eine weitere Person kniet auf dem Tisch zwischen ihnen und zieht einen Fellmantel an. Eine vierte Person schaut vom Hintergrund auf das Geschehen.
Das Stück ist wie ein theatrales Nachdenken über eine Welt, in der sich die Generation Z nicht wohlfühlt. Bildrechte: Joachim Dette

Zusammen nimmt man an einem Tisch Platz, um zu beten und die Messer zu wetzen. Wenig später fällt man über die Gastgeberin, die plötzlich die Rolle der Demokratie übernommen hat, kannibalisch her. Es wird ein Gespräch geführt, dass in seinem Wortlaut aus Politikerfloskeln des eher rechten Randes zusammengepuzzelt ist. Ein junges Männerpaar macht sich Gedanken darüber, dem zu entfliehen. "Haben wir es verpasst zu gehen? Weg. Aber wohin?", heißt es da. "Was bedeutet zuhause? Gehen oder bleiben?" Und so entwickelt sich Szene für Szene, Bild für Bild ein theatrales Nachdenken über eine Welt, in der sich diese Generation nicht wohlfühlt.

Wo soll das alles enden?

Das Theater tut hier das, was eine der wichtigen Daseinsberechtigungen von Kunst ist: den Finger in die Wunden legen, Fragen stellen. Und dabei geht das Team in Jena weite Wege, lässt nichts aus. "Mama, Mama, wenn alles zu Ende ist, was ist dann?", fragt ein Kind seine Mutter, ohne von der eine Antwort zu kriegen. "Glauben sie an Gott", heißt es an anderer Stelle. "Ist nicht die richtige Frage", lautet die Antwort.

Aber wenn man ganz doll um etwas bittet, und wenn es nur das ist, eine Folge der Space-Babys im Fernsehen zu sehen, dann falten sie die bittenden Hände wie von selbst zum Gebet. Nein, es gibt keine Antworten. Dafür aber auch keine Zeigefinger. Mit flinken Händen werden stattdessen immer neue Schubladen voller Fragen aufgezogen, damit wir erst mal wissen, worum es überhaupt geht. Wenn etwas gelöst wird, dann sowieso nur im echten Leben.

"Du kannst alledem nicht entkommen" – heißt der letzte Satz im Stück. Und auch wenn für diese Erkenntnis auf der Bühne ziemlich viel Horror veranstaltet wurde, hat mir das keine Angst gemacht. Eher sogar Hoffnung. Weil man hier keine schnellen Feindbilder aufbaut, sondern sich Gedanken ums große Ganze macht. Und dabei ganz nebenbei spannendes Theater. So kann es gerne weitergehen am Theaterhaus in Jena. 

Redaktionelle Bearbeitung: hro

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 25. Oktober 2024 | 12:10 Uhr

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