Zahnarzt-Mangel Zahnmediziner fordern mehr Studienplätze für Thüringen

05. April 2023, 21:39 Uhr

Auf dem Papier prangt die Uhr, die auf 5 nach 12 steht. Darunter ein Aufbegehren der Landeszahnärztekammer Thüringen. Sie fordert: Mehr Studienplätze für Zahnmedizin in Jena. Und die Vergabe dieser Studienplätze mehr am eigenen Thüringer Bedarf ausrichten! Wer diesen Hilferuf liest, der ahnt es: Den Thüringern droht ein weiteres medizinisches Versorgungsproblem.

"Wir haben schon Wartelisten", erzählt Jens Kießlich-Köcher. Ihn macht es wütend, wenn Zahnärzte sagen müssen: "Lieber Patient, ich kann dir gerade nicht den Termin einräumen, der nötig wäre. Wir können nur erst einmal eine Notbehandlung machen. Alles andere muss warten." Genau das aber drohe immer öfter, meint Kießlich-Köcher, der selbst eine Zahnarztpraxis führt.

Fürs Dorf entschieden und nie bereut

Jens Kießlich-Köcher ist der Chef für neun medizinische und Verwaltungs-Fachkräfte. Auch eine weitere Zahnärztin arbeitet in der Praxis in Tautenhain. Das Dorf im Saale-Holzland-Kreis war vor 32 Jahren der berufliche Startpunkt für den Diplom-Stomatologen.

Er stand noch am Anfang seiner Karriere, als er einen Kredit über 400.000 D-Mark aufnahm, um seine Dorf-Praxis modern auszustatten. Heute würde das locker die Summe in Euro kosten, sagt er. Und fügt hinzu: Gerade deshalb macht es doch Sinn, wenn sich Studienabsolventen darum bewerben, eine bestehende Praxis zu übernehmen und weiterzuführen. Da ist der Start kostengünstiger, man habe dann auch schon einen Patientenstamm. Das gelte gerade für Praxen da, wo viele junge Leute eher nicht hinwollen: Auf dem Land. Und schon schwärmt der Zahnarzt über sein Dorf.

Ein Mann zeigt etwas auf einem Computerbildschirm
Die Zahnarztpraxis in Tautenhain. Bildrechte: MDR/Marian Riedel

Tautenhain hat Handwerkerbetriebe, einen Friseur, Kindergarten, Jugendclub, Bibliothek, Fußpflege, Yogastudio, sogar ein Hotel und Restaurant. Und eben auch Physiotherapie, Arztpraxis und die Zahnärzte. Solche Dörfer sind attraktiv - auch für ihn, der eigentlich ein Stadtkind ist, sagt Kießlich-Köcher. Bereut hat er es nie, hier zu praktizieren. Aber was wird, wenn er irgendwann einmal aufhören muss?

Von der Erfolgsstory zum Debakel    

Der Mann ist kein Misslauniger. Aber auch kein Ignorant. Er will es nicht weglächeln, wenn eine Erfolgsstory zum Debakel umkippt. In den 1990er-Jahren, als er startete, mauserte sich Thüringen zu einem Spitzenreiter bei der zahnärztlichen Versorgung. Jetzt gehe es rapide bergab. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung des Landes hat es in einer Statistikkurve dargestellt: Im Jahre 2000 gab es mehr als 1.900 Zahnärzte in Thüringen. Schon 2035 wird es nur noch die Hälfte davon geben.

Jede Zahnarztpraxis in Thüringen hat im Durchschnitt um die 1.200 Patienten. Für die sieht es schlecht aus, wenn plötzlich an der Tür "Geschlossen" steht. Aber warum melden Praxisinhaber immer öfter ihre Zulassung ab? Auch da geben Statistiken Antwortansätze: 2016 war das Jahr, als die Europäische Datenschutzverordnung eingeführt wurde - und 78 Zahnärzte das Handtuch warfen. Immer mehr Bürokratie schmälert offenbar die Lust aufs selbstständige Dasein als Mediziner.

2020: 103 Abmeldungen von Zahnärzten - da hat wohl die Pandemie Zukunftspläne verkürzt. Auch das Jahr 2022 mit der Inflation wird von auffallend vielen Praxisschließungen begleitet: 98.

Das sind nur drei markante Punkte in "regelrechten Wellen vorgezogener Praxisschließungen und Renteneintritte". So beschreibt es die Landeszahnärztekammer.

Auf den Zahn gefühlt, was helfen kann

Jammern hilft nicht, da ist sich das Praxisteam in Tautenhain einig. Es fällt den meisten Besuchern und Patienten rasch auf: Alle hier halten es mit dem Motto, das auf einem Schild am Tresen steht: "Von hier an nur mit einem Lächeln weiter". Also Optimismus, nicht das Warten auf irgendein Wunder. Deshalb lieber auch aus dem eigenen Kreis etwas tun für den Nachwuchs.

Jens Kießlich-Köcher hat da eine junge Mitarbeiterin, die sich schon dreimal um ein Studium der Zahnheilkunde beworben hat. Sie habe eigentlich alles, was man braucht, um Zahnmedizin zu studieren. Nur einen Studienplatz in Jena - den habe sie noch immer nicht. Es gibt dort pro Jahr 57 Immatrikulationen, meist sind die Glücklichen Bewerber aus den alten Bundesländern oder dem Ausland, sagt Kießlich-Köcher. Von 57 Absolventen im vergangenen Jahr seien dann aber nur 17 in Thüringen geblieben…"Ein Tropfen auf den heißen Stein", nennt das der Tautenhainer Praxis-Chef. Und offenbar sieht das die Landeszahnärztekammer auch so. Sie hat "Politische Forderungen der Thüringer Zahnärzteschaft" zu Papier gebracht.

Ganz oben steht, dass mehr Studienplätze in Jena geschaffen werden. Und dann folgt die Erwartung, dass die Vergabe dieser Studienplätze stärker am eigenen Thüringer Bedarf ausgerichtet wird. Bisher zählt da wohl eher der Nummerus Clausus, also die Orientierung auf die allerbesten Abiturnoten. Die Landeszahnärztekammer will stattdessen, dass ein fester Anteil von Zahnmedizin-Studienplätzen an Bewerber vergeben wird, die sich zu einer längeren Tätigkeit im ländlichen Raum Thüringens verpflichten.

Jens Kießlich-Köcher findet all das richtig. Aber spürbar helfen kann das erst viele Studienjahre später, macht er aufmerksam. Deshalb ist Punkt Nummer drei im Forderungspapier so wichtig: Alles zu tun, um "rentennahe" Praxisinhaber länger im Berufsleben zu halten. Sie also nicht zu belasten mit mehr Bürokratie, mit Erwartungen an weitere teure Investitionen oder sie zu vergraulen, weil sich Verkehrsangebote oder der Breitband-Ausbau im ländlichen Raum einfach zu langsam verbessern.

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MDR (cfr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 05. April 2023 | 19:00 Uhr

1 Kommentar

praxis-hg am 07.04.2023

Den Aussagen von Jens Kießlich - Köcher kann ich voll und ganz zustimmen.
Jahrelang wurde von den verantwortlichen Gesundheitspolitikern in Bund und Land ignoriert, was sich anbahnt mit den Praxen. Und das trotz Hinweisen und Warnungen der Körperschaften.
Obwohl ich mir auch immer mehr Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung der Patienten seitens der Zahnärztekammer gewünscht hätte, Presse, TV, Hörfunk.
Leider Fehlanzeige.Über die Realitäten in den zahnärztlichen Praxen und dem Alltag dort wissen die Patienten wenig und haben oft falsche und überholte Vorstellungen.


Die jungen Absolventen könnten gut laufende Praxen übernehmen, schrittweise nach eigenen Vorstellungen umstrukturieren.
Aber:Wer ist bereit unter den derzeitigen Bedingungen von übertriebener Bürokratie (veraltete GOZ,unausgegorener Telematikinfrastruktur, Hygienerichtlinien, Datenschutz)sich so etwas anzutun?
Dann doch lieber im Angestelltenverhältnis ohne Kredit, Verantwortung, geregelte Arbeitszeiten,fremdgesteuert.

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