
Ilmenau Techno trifft Bürokratie: Die "Musikalische Freiluftkultur" auf der Suche nach Veranstaltungsräumen
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04. Juli 2024, 09:22 Uhr
Jahreshauptversammlung und Mitgliedsbeitrag statt illegaler Underground-Raves und Angst vor den Ordnungshütern. Beim Versuch, Techno-Kultur in einem legalen Rahmen in der Kleinstadt Ilmenau auszuleben, stößt die "Musikalische Freiluftkultur" auf einige Hindernisse. Das ist kein Einzelfall.
Für manche sind es nur ein paar dunkel gekleidete Jugendliche, die sich zu schrillen Tönen und eintönig wummernden Bässen merkwürdig bewegen. Für andere stellt es eine Möglichkeit der individuellen Entfaltung und der Auslebung eines ganz bestimmten, selbst gewählten Lebensstils dar. Eins ist klar: Die Techno-Kultur polarisiert.
In Thüringen ist die Szene insbesondere in Erfurt und Jena sehr aktiv. Doch auch in den Kleinstädten abseits der A4 findet man immer wieder musikbegeisterte Menschen, die gemeinsam ihre Leidenschaft ausleben.
So auch in Ilmenau, wo die Musikalische Freiluftkultur, kurz MFK, verschiedene Veranstaltungen durchführt - immer verbunden mit elektronischer Musik. Mal ist es ein ganzes Tagesfestival, mal ein geselliges Zusammenkommen bei Kaffee und Kuchen. Die Veranstaltungen richten sich dabei sowohl an Studenten aus Ilmenau als auch an Nicht-Studenten.
Techno nach deutscher Vereinskultur
Während man in der Szene eher für sich bleibt, Partys wie beispielsweise sogenannte "Freetekno"-Partys häufig nicht angemeldet und somit illegal sind, geht die MFK einen anderen Weg.
Als Arbeitsgruppe des studentischen Kulturvereins "Kulturelle Koordinierung" (KuKo) läuft hier alles in geregelten Bahnen ab. Es gibt einen jährlichen Mitgliedsbeitrag, einen gewählten Vorstand und verschiedene Abteilungen, die sich um Finanzen, Technik und Dekoration kümmern. Klassische deutsche Vereinskultur, auf dem Papier nichts anderes als beim örtlichen Kaninchenzucht- oder Briefmarkensammlerverein. Nur etwas lauter.
Die Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen wird von uns zwischen Klausuren und Vorlesungen vollständig ehrenamtlich gestemmt.
Einer der gewählten Vorstandmitglieder ist Kilian Birth. Wie fast alle Mitglieder der MFK studiert er an der Technischen Universität in Ilmenau. "Die Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen wird von uns zwischen Klausuren und Vorlesungen vollständig ehrenamtlich gestemmt", so der 24-Jährige.
In Ilmenau zählten die Partys der MFK immer zu den Höhepunkten des Semesters, meint Paul Berger. Er studiert in Ilmenau Angewandte Medien- und Kommunikationswissenschaft und findet: "Bei den MFK-Veranstaltungen herrscht immer eine sehr positive und familiäre Stimmung. Es ist schön, dass es in unserem kleinen 'Studentendorf' so etwas gibt."
Zehn Jahre MFK: Wo soll gefeiert werden?
Einen besonderen Höhepunkt steht in diesem Jahr auf der Agenda der MFK: Die Gruppe feiert ihr zehnjähriges Bestehen. Zum runden Jubiläum sollte nun eine große Party steigen, bei der mit knapp 500 Gästen bis tief in die Nacht gefeiert werden sollte. Das Problem dabei: Einen geeigneten Ort für die Outdoor-Jubiläumsparty in oder um zu Ilmenau finden.
Das Schülerfreizeitzentrum (SFZ) in der Nähe der Universität wurde in der Vergangenheit immer wieder genutzt, sei jedoch für das Jubiläum zu klein. Andere Orte wie der ehemalige Friedenssportplatz wurden wiederum aufgrund ihrer Lage erst gar nicht in Betracht gezogen, da sie zu zentral in der Stadt liegen.
Die MFK plante nämlich, bis in die frühen Morgenstunden zu feiern und dafür bei der Stadt eine sogenannte Sperrzeitverkürzung zu beantragen, welche man immer benötigt, wenn öffentliche Veranstaltungen länger als bis 22 Uhr gehen. Das sei allerdings kaum möglich, da das nächste Wohngebiet nur einen Steinwurf entfernt liegt. Mit der Ilmenauer Stadtbevölkerung will man schließlich keinen Streit.
Die neue Hoffnung Schortetal
Um trotzdem eine Möglichkeit zu finden, bei der für den ersten runden Geburtstag, legal etwas länger gefeiert werden kann, suchte die MFK ab Anfang 2024 den Kontakt zum Ordnungsamt und anderen Behörden.
Während dieser Zeit kam das Schortetal ins Spiel. Eine große Freifläche südlich der Stadt, weit genug, um niemanden zu stören, aber dennoch nicht zu abgelegen. Bei der Gruppe kam wieder Hoffnung auf.
"Die Gespräche mit dem Besitzer der Fläche, Peter Erk, liefen sehr gut. Er wollte von uns eine offizielle Bestätigung vom Ordnungsamt, dass wir die Veranstaltung auch von der Stadt aus dort durchführen können. Dann würden wir sein Einverständnis erhalten", so Birth. Klingt ganz einfach. Zu einfach.
Das ist eine verfahrene Henne-Ei-Situation für uns.
Die verantwortlichen Behörden, mit denen man nun in Kontakt stand, zeigten sich zwar dem Ganzen gegenüber offen, wollten allerdings laut MFK genau diese Zusage, um wiederum selbst eine Zusage zu erteilen. "Das ist eine verfahrene Henne-Ei-Situation für uns", fasst Birth zusammen.
Auflagen, Auflagen und Auflagen
Außerdem gibt es zahlreiche weitere Auflagen: So werde unter anderem für diesen Ort ein Parkplatz- und Brandschutzkonzept inklusive Brandwache benötigt. Und damit nicht zu viele feierwütige Menschen auf einmal in Ilmenau auftauchen und das beschauliche Schortetal zu einem Woodstock 2.0 verwandeln, müssten sämtlicher Fußwege zum Veranstaltungsort überwacht werden.
"Alles zusätzliche Arbeit und zusätzliche Kosten, schwer zu stemmen für unser ehrenamtliches Team innerhalb kürzester Zeit", meint Birth. Schließlich sollte die Veranstaltung noch im Juli stattfinden.
Veranstaltungsräume fehlen in ganz Thüringen
Auflagenflut, geringe finanzielle Möglichkeiten und fehlende Räume sind nicht nur in Ilmenau ein Problem für die Techno-Szene. Es sind Dauerbrenner-Themen im Kulturbereich, egal ob in der Groß- oder Kleinstadt.
Verschiedene Gruppen und Vereine der Tanz- und Nachtkultur Thüringens haben sich deshalb in der Initiative "Freie Kulturkarawane" zusammengetan. Auch die MFK ist hier aktiv. Ziel ist es, Forderungen wie den Schutz und die Schaffung von Kulturräumen sowie nach einer höheren finanziellen Unterstützung für Kulturschaffende stärker an die politischen Entscheidungsträger zu tragen. Dafür organisierte man unter anderen am Pfingstsonntag dieses Jahres eine Tanz-Demonstration in der Erfurter Innenstadt.
Hilfe aus der Lokalpolitik
In Ilmenau sieht die MFK nun von einer weiteren Planung der Veranstaltung im Schortetal ab. Durch Gespräche mit dem Oberbürgermeister Daniel Schultheiß und Mitgliedern des Stadtrates wurde die MFK beim Kinder- und Familienfest in der Innenstadt mit einbezogen und wird voraussichtlich auch beim 50. Geburtstag des Freibades eine Bühne betreuen können.
Oberbürgermeister Schultheiß lässt versichern, dass es für ihn ein persönliches Anliegen sei, dass das Kollektiv eine Lösung findet. Er befinde sich deswegen auch im direkten Austausch mit den Verantwortlichen.
Über diese Akzeptanz und Unterstützung sind die Mitglieder der MFK froh. Doch die Suche nach geeigneten Räumen bleibt bestehen, denn sie wollen die eigene Kultur auch selbstständig ausleben können.
Und auch der Wunsch nach einer besonderen Geburtstagsfeier bleibt. Sie wird wohl kleiner ausfallen, als noch im Januar geplant. Ganz absagen will die MFK ihren Geburtstag aber nicht - zehn Jahre alt wird man schließlich nur einmal.
MDR (nir)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 28. Mai 2023 | 16:30 Uhr