Im Vodergrund der Bühne des Staatstheaters Meiningen: zwei Personen am Tisch, im Hintergrund: eine Gruppe Jungpioniere 6 min
Als Pionierchor mit ordentlich gebundenen Halstüchern steht der Kinder- und Jugendchor des Evangelischen Gymnasiums Meiningen auf der Theaterbühne. Bildrechte: Christina Iberl, Staatstheater Meiningen
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Als Kinofilm war "Good Bye, Lenin" ein großer Erfolg. Nun ist eine Theaterversion erstmals auf einer ostdeutschen Bühne zu sehen. Unser Kritiker Wolfgang Schilling zeigt sich von der Inszenierung nur mäßig begeistert.

MDR KULTUR - Das Radio Sa 20.01.2024 12:00Uhr 06:09 min

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Ostalgie Das Staatstheater Meiningen sagt "Good Bye, Lenin"

20. Januar 2024, 17:47 Uhr

Als Kinofilm war "Good Bye, Lenin" ein großer Erfolg. Nun ist eine Theaterversion erstmals auf einer ostdeutschen Bühne zu sehen, der Westen war hier schneller. Unser Kritiker zeigt sich von der Inszenierung nur mäßig begeistert. Neben handwerklichen Mängeln stellt sich auch die Frage, ob der Stoff 20 Jahren nach der Filmpremiere noch zeitgemäß ist.

Wenn das kein Timing ist – am 21. Januar 2024 jährt sich der Todestag von Wladimir Iljitsch Lenin zum 100. Mal. Passgenau dazu heißt es in Meiningen nun "Good Bye, Lenin".

Die erfolgreiche Kinokomödie mit Katrin Saß und Daniel Brühl aus dem Jahr 2003 hat den Weg auf die Bühne gefunden. Nicht zum ersten Mal. Das Stück, vom Drehbuchautor des Films, Bernd Lichtenberg, geschrieben, wurde im vergangenen Jahr schon in Dinslaken und Esslingen inszeniert. Nun zieht also auch ein Theater aus dem Osten nach und dabei alle ostalgischen Register.

Ein Barkas-Auto, darin zwei Schauspieler in der Uniform von DDR-Volkspolizisten.
Vor dem Theater werden die Besucherinnen und Besucher von Volkspolizisten im Barkas empfangen. Bildrechte: Christina Iberl, Staatstheater Meiningen

Hammer, Sichel, Mummenschanz

Vor dem Theater wurde eine riesige DDR-Fahne gehisst, am Portal feiert man mit einem Banner "75 Jahre DDR". Aus den quäkenden Lautsprechern eines Volkspolizei-Barkas werden die Besucher mit kämpferischen Liedgut beschallt.

Drinnen im Theater gibt es nicht die übliche Karten-, sondern eine stilechte Grenzkontrolle. Im Gegensatz zum echten antifaschistischen Schutzwall, lässt sich diese Eingangsbarriere allerdings von allen, die das nicht so mögen, relativ leicht umgehen.

Lenins eiskaltes Händchen

Der Einstieg auf der Bühne weiß dann aber zu überzeugen. Im prächtig restaurierten neoklassizistischen Meininger Theatersaal erklingt Henry Purcell. Sein "Cold Song", diese stakkatohaft sich steigernde hymnische Musik voller Emotionen. In der linken Proszeniumsloge singt ein Pionierchor mit. Aus der Rechten winken huldvoll schwarz gekleidete Gestalten. Sind's die Honeckers oder das Ehepaar Ceausescu mit ihrer Entourage?

Auf der Bühne des Staatstheaters Meiningen: Leninfigur am Vorhang im Hintergrund ein Hintereingang eines verfallenen Wohnhauses
Lenin zieht den Bühnenvorhang zur Seite und singt dabei Purcells "Cold Song". Bildrechte: Christina Iberl, Staatstheater Meiningen

Egal, die Leiche, die dazu aus dem Theaterkeller hochfährt, ist ganz eindeutig Lenin. So wie er in seinem Mausoleum liegt. Doch hier in Meiningen bewegt er plötzlich sein eiskaltes Händchen. Richtet sich auf und singt: "Let me, let me, let me freeze again to death". Doch bevor er sich zu Tode friert, zieht er noch den roten Bühnenvorhang zur Seite und wir blicken in ein ramponiertes, völlig runtergekommenes Theater. Willkommen in einem untergehenden Land namens DDR. Auf das die Meininger des Jahres 2024, fein angezogen, aus ihrem bequemen Gestühl in den nächsten zweidreiviertel Stunden schauen dürfen.

Film ab auf dem Theater

Wir erleben die originale Handlung des Films, seine Figuren, Szenen, Dialoge. Diesen verzweifelten Versuch, ein falsches Leben im richtigen zu erhalten. Sich gegen die Zeit zu stemmen.

Der Film konnte dabei mit seiner herrlichen Ironie überzeugen. Mit Schauspielern, die dieses Jonglieren mit den Elementen Komik und Tragik, Unsinn und Wahrhaftigkeit beherrschten.

Auf der Bühne des Staatstheaters Meiningen: Darsteller werden von einer roten Coca-Cola-Werbung angestrahlt
Auch im Film sorgte das Auftauchen des Coca-Cola-Schriftzuges für Verwirrung. Bildrechte: Christina Iberl, Staatstheater Meiningen

Doch die Ruhe und Sorgfalt, schauspielerisch so etwas zu entwickeln, wird von Regisseur Thomas Dannemann hier kaum jemandem zugestanden. Das ist eine allzu wilde Hatz durch Texte und Situationen, bei der sich der Eindruck aufdrängt, dass Regie und Darsteller nicht immer beieinander waren.

Ein echtes handwerkliches Problem ist die Textverständlichkeit. Was meiner Meinung nach nicht nur daran lag, dass man hier locker nuschlig berlinern sollte, sondern dem einen oder der anderen irgendwie die Haltung zur Rolle fehlte.

Alter Film in neuen Schläuchen

Unwillkürlich steht die Frage im Raum, ob die Zeit über diesen Stoff nicht hinweggegangen ist. Dem versucht man beizukommen, in dem die ganze Entwicklung aus heutiger Sicht hinterfragt wird. Hätte das mit der Wiedervereinigung nicht besser laufen können?

Und da erfindet man dann eine kabarettistische Birgit Breuel dazu, die den jammernden Ossis die marktwirtschaftlichen Leviten liest. Da kommt Beifall aus der Kurve der ewig Gekränkten, die umso mehr klatschen, wenn das Ensemble zu "Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer" eine bekloppte Choreografie hinlegen darf.

Auf der Bühne des Staatstheaters Meiningen: Sandmannfigur streut Sand
Wenn schon Ostalgie, dann darf auch das Sandmännchen nicht fehlen. Bildrechte: Christina Iberl, Staatstheater Meiningen

Da kamen bei mir dann erste Momente des Fremdschämens auf – und dann wurde mir ganz mulmig, als das Publikum aufgefordert wurde, jetzt doch mal die vielleicht bessere Nationalhymne mitzusingen, die man sich 1990 ja hätte geben können – Brechts Kinderhymne. "Der Text steht auf Seite 26 im Programmheft, fordert der Vorsänger auf der Bühne auf, und dann singen sie. Oben auf der Bühne, was die Chance zum Mitsingen gewesen wäre. Für alle, die das wirklich besser finden.

Aber keiner tat's und sitzen sind auch alle geblieben. Soweit hat die beseelende Kraft dieses Theaterabends dann doch nicht gereicht.

Lenins letzte Frage

Nachdem auch die vom Stück beschworene Illusion, dass Erich Honecker am 7. Oktober 1989 ein Einsehen gehabt hätte, um Sigmund Jähn, den Mann mit dem kosmischen Weitblick die Amtsgeschäfte im Sinne eines menschlichen Sozialismus zu überlassen, von einem Unwetter hinweggefegt wurde, herrscht schlussendlich gähnende Leer auf der Bühne.

Auf der Bühne des Staatstheaters Meiningen: Darsteller vor einer Projektion des Porträts von Sigmund Jähn.
Der Kosmonaut Sigmund Jähn als vermeintlicher DDR-Hoffnungsträger. Bildrechte: Christina Iberl, Staatstheater Meiningen

Nur einer schaut sich das Chaos sprachlos, schulterzuckend an und fragt mit Lenin: Was tun? Meine Antwort ans Meininger Theater: Bitte mit den wirklichen Problemen unserer Tage beschäftigen.

Quelle: MDR KULTUR (Wolfgang Schilling), Redaktionelle Bearbeitung: op

Die Aufführung Good Bye, Lenin!
Stück von Wolfgang Becker, Bernd Lichtenberg
nach dem Film von Wolfgang Becker und Bernd Lichtenberg

Regie: Thomas Dannemann
Bühne: Justus Saretz
Kostüme: Cornelia Kraske/Ariana Moll
Musik: Matthias Flake

Mit
Jan Wenglarz als Alexander Kerner
Pauline Gloger als Ariane Kerner
Evelyn Fuchs als Christiane Kerner
Gunnar Blume als Robert Kerner, Birgit Breuel, Sandmann
u.a.

Staatstheater Meiningen
Bernhardstraße 5, 98617 Meiningen

Termine:
Sonntag, 21.01.2024 | 18:00 Uhr | Großes Haus
Samstag, 27.01.2024 | 19:30 Uhr | Großes Haus
Mittwoch, 07.02.2024 | 19:30 Uhr | Großes Haus
Donnerstag, 29.02.2024 | 19:30 Uhr | Großes Haus
Samstag, 09.03.2024 | 19:30 Uhr | Großes Haus
Sonntag, 24.03.2024 | 15:00 Uhr | Großes Haus
Sonntag, 31.03.2024 | 15:00 Uhr | Großes Haus

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 20. Januar 2024 | 12:10 Uhr

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