Männliche Insassen der Gefängniskolonie Nr. 10 in Russland
Strafgefangene aus Russland können sich durch einen halbjährigen Einsatz bei der Wagner-Söldnertruppe an der Ukraine-Front die Freiheit erkaufen – sofern sie überleben. Im Bild: Gefangene eines Straflagers in der Region Primorje in Fernost. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Wagner-Truppe Vom Knast an die Front: Wie sich Mörder aus Russland in der Ukraine freidienen

07. Februar 2023, 08:00 Uhr

Die private Armee Wagner lockt seit Beginn des Ukraine-Krieges Schwerverbrecher in ihre Reihen mit dem Versprechen von Freiheit. Nun wurden die ersten Männer nach Monaten an der Front auf freien Fuß gesetzt. Viele von ihnen hätten ohne Fronteinsatz noch Jahre hinter Gittern bleiben müssen.

Fotomontage Mann vor Fahne
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Eigentlich hatte Alexander Tjutin damit gerechnet, den Rest seines Lebens im Straflager zu verbringen. Wegen vierfachen Auftragsmordes hatte ihn ein russisches Gericht 2021 für 23 Jahre hinter Gitter sperren lassen. Der Millionär und Immobilienunternehmer, so russische Presseberichte, hatte Geschäftspartner, ihre Familien und sogar seine eigene Nichte umbringen lassen. Er konnte sein Unwesen treiben, bis er bei der Suche nach einem Auftragskiller an einen verdeckten Polizisten geriet. Das Urteil bedeutete für den damals 64-Jährigen so gut wie lebenslänglich. Doch der Krieg in der Ukraine und die wachsende Rolle der privaten Söldner-Truppe Wagner waren für den Schwerverbrecher ein Glücksfall.

Mehrfachmörder nach Kriegseinsatz frei

Vor einigen Wochen hatten Journalisten des Portals 47news berichtet, dass ein gewisser Alexander Tjutin nach einem halben Jahr an der Front wieder wohlbehalten nach Hause zurückgekehrt sei. Wenige Tage später bestätigte auch der Chef der Wagner-Truppe, Jewgeni Prigoschin, persönlich, dass Tjutin seit Sommer in seiner Armee gekämpft habe und nun als Held wieder nach Hause gekehrt sei. "Bei einem Einsatz hat er gleich sieben ukrainische Soldaten getötet", protzte Prigoschin in einer Stellungnahme – nun habe Tjutin sich die Freiheit verdient.

Gefangene in einem Schlafsaal der Hochsicherheitsgefängniskolonie Nr. 2 im Dorf Shara-Gorokhon, 2018
Schlafsaal im russischen Straflager in Schara-Gorochon Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Dabei ist Tjutin nur einer von vielen ehemaligen Strafgefangenen, die dank des Ukraine-Krieges auf freien Fuß gekommen sind. Im vergangenen Sommer hatte Wagner-Chef Prigoschin in russischen Gefängnissen persönlich Männer angeworben. Russische Menschenrechtler wie Olga Romanowa, Chefin der Hilfsorganisation "Russland hinter Gittern", berichten von regelrechten Gefängnis-Touren Prigoschins durchs ganze Land. "Bis zu 40.000 Männer hat Prigoschin angeworben", sagt Romanowa – darunter Mörder, Räuber, Drogenhändler und sogar einige, die wegen Kannibalismus verurteilt worden seien.

Werbetour durch Russlands Straflager

Auch Prigoschin selbst ließ über seine Pressestelle Aufnahmen verbreiten, wie er vor Sträflingen auftritt und sie für den Fronteinsatz wirbt. "Es ist eure Chance, hier rauszukommen. Wer mit mir geht, der kommt frei oder stirbt, geht aber nicht wieder hinter Gitter", sagt Prigoschin in einem solchen Clip. Der Deal war einfach: Wer sich für ein halbes Jahr in seiner Privatarmee verpflichten lässt und überlebt, kommt frei. Ein Verfahren, das offenbar auf höchster Ebene in der russischen Regierung grünes Licht bekommen hat. Im November hatte Wladimir Putin die Rekrutierung von verurteilten Tätern für die Armee offiziell erlaubt.

Zumindest für die ersten Häftlinge in der Wagner-Truppe ist der Zyklus nun zu Ende gegangen, sodass Männer wie Tjutin auf freien Fuß kommen. Anfang Januar hatte Putins Sprecher Dimitri Peskow bestätigt, dass der Präsident einige Begnadigungsgesuche unterzeichnet hat, die jedoch offiziell als geheim eingestuft worden sind.

Prigoschin: "Ehrliche Arbeit" an der Front

Vor Kurzem ließ Prigoschins Pressedienst zudem ein neues Video zirkulieren, dass den Chef der Wagner-Einheit vor etwa drei Dutzend Männern zeigt, die kurz davor sind, ihre Heimreise anzutreten. "Ihr habt 180 Tage ehrliche Arbeit geleistet, habt Mut und Heldentum bewiesen", sagt Prigoschin. Solche Videos nutzt Wagner für die Eigenwerbung, um zu beweisen, dass das Versprechen von Freiheit nach sechs Monaten im Krieg eingehalten wird. Andererseits lassen sich anhand solcher Videos auch weitere Straftäter identifizieren.

So haben Journalisten des Portals iStories anhand eines solchen Videos gleich mehrere Ex-Häftlinge ausfindig gemacht. Einer davon ist Denis Kinew, der seit 1999 mehrere Haftstrafen wegen schwerer Raubüberfälle antreten musste. Bei einem solchen Überfall tötete Kinew eines seiner Opfer und wurde zu 17 Jahren verurteilt, von denen er bereits zwölf Jahre verbüßt hatte. Nach sechs Monaten in der Ukraine ist Kinew nun ein freier Mann.

Putin begnadigt mehrere Schwerverbrecher

Der 34-jährige Anatoli Salmin, der auf einem der jüngeren Videos zu sehen ist, hat ebenfalls ein langes Strafregister vorzuweisen. 2011 wurde er wegen Mordes zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Kurz nach seiner Freilassung hatte er nach mehreren Überfällen erneut eine mehrjährige Haftstrafe angetreten.

Wie viele von den ehemaligen Strafgefangenen in den kommenden Tagen und Wochen noch freikommen, lässt sich nicht genau schätzen. Da jedoch die Rekrutierungen im Herbst ihren Höhepunkt erreicht haben, dürften die meisten, die nicht im Kampf gefallen sind, noch in den Reihen der Privatarmee Wagner kämpfen und ab März und April mit einer Begnadigung rechnen.

Wagner-Söldner: Von Mördern zu Helden Russlands

Während nun also Menschenrechtler und Oppositionelle davor warnen, dass gefährliche Kriminelle sich bald wieder frei im Land bewegen können, spinnt Prigoschin an einem Heldenmythos für seine Söldner. Die Ex-Häftlinge, so Prigoschin, seien keine Kriminellen mehr, sondern Helden. "Sie haben ihre Schuld mit Blut reingewaschen", schrieb er in seiner Telegram-Gruppe.

Zudem hatte Prigoschin den Chef der Duma, Wjatscheslaw Wolodin, angerufen und angeregt, den Ruf der Wagner-Söldner auch gesetzlich zu schützen. In einem Brief forderte er, dass die Diskreditierung seiner Privat-Soldaten unter Strafe gestellt werden soll. Ein ähnliches Gesetz gilt für die reguläre Armee schon seit Monaten. Sollte das Gesetz angenommen werden, dürfte selbst das Berichten über die kriminelle Vergangenheit der vermeintlichen Helden aus den Wagner-Reihen schon bald verboten werden.

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