Flüchtlinge aus der Ukraine überqueren die polnische Grenze in Medyka.
Ukrainer flüchten nach Polen: Allein in den ersten vier Tagen der russischen Invasion haben mehr als 200.000 Menschen die Grenze zum Nachbarland überschritten – darunter viele Kinder. Bildrechte: imago images/Pixsell

Krieg in der Ukraine Tausende Polen helfen Ukrainern auf der Flucht

01. März 2022, 15:02 Uhr

Die Hilfsbereitschaft der Polen angesichts des Krieges in der Ukraine ist enorm. Soziale Medien werden mit Hilfsangeboten und Spendenaufrufen überflutet. User melden, wie viele Flüchtlinge sie bei sich zu Hause aufnehmen können, erklären sich bereit, die Flüchtenden an der Grenze abzuholen, bieten Kleidung und Medikamente an, sammeln Spenden.

Aleksandra Syty
Bildrechte: Aleksandra Syty/MDR

Wie stark die Polen ihr Nachbarland unterstützen, belegt ein Vorfall aus der Stadt Zielona Góra. Drei junge Ukrainer, die dort seit sechs Jahren lebten, wollten am Freitagabend Richtung Heimat aufbrechen, um ihr Vaterland zu verteidigen. Sie baten um kleine Spenden, um sich davon etwas Ausrüstung für den Fronteinsatz zu kaufen. Was danach kam, übertraf ihre kühnsten Erwartungen.

Etwa 300 bis 400 Menschen kamen zu dem Parkplatz, wo sich die jungen Männer verabschieden wollten, und schenkten ihnen Unmengen Equipment: militärische Stiefel, Stirnlampen, wasserdichte Zelte, professionelle Schlafsäcke, Erste-Hilfe-Kästen, warme Socken, Thermokleidung – alles von Polen gespendet. Wobei die Händler obendrein noch saftige Rabatte gewährt und mehrere Geschenke von sich draufgelegt hatten, als sie hörten, für welchen Einsatz die Ausrüstung bestimmt ist.

Freiwillige sortieren am Empfangspunkt in Przemysl Güter des täglichen Bedarfs.
Überall in Polen werden Hilfsgüter und Spenden für ukrainische Flüchtlinge gesammelt – aber auch für junge ukrainische Männer, die von Polen in die Heimat zurückgehen, um gegen den russischen Angreifer zu kämpfen. Bildrechte: imago images/ZUMA Wire

Neben der persönlichen Ausrüstung für die drei jungen Ukrainer wurden mehrere Kleintransporter voller weiterer Hilfsgüter gesammelt: Lebensmittel, Kleidung, Schuhe, Decken, Matratzen und Schlafsäcke. Hinzu kamen zwei Kofferraumladungen mit militärischer Spezialausrüstung, Medikamenten und Verbandzeug. Sogar eine Feldküche war dabei!

Spontane Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine

Viele Polen engagieren sich auch in der Flüchtlingshilfe. Allein in den ersten vier Tagen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sind nach Angaben des Grenzschutzes mehr als 200.000 Flüchtlinge eingereist – meistens Frauen mit Kindern, denn Männer im wehrpflichtigen Alter werden vom ukrainischen Grenzschutz aufgrund der Mobilmachung zurückgewiesen.

Spontan, praktisch über Nacht, tauchten in der Nähe der Grenzübergänge Stände mit warmen Getränken und Mahlzeiten für die Flüchtlinge auf, bereitgestellt von Ukrainern, die in Polen leben, und polnischen Freiwilligen, die teilweise aus weit entfernten Landesteilen angereist waren, um zu helfen. Sie bieten den Flüchtenden kostenlosen Transport von der Grenze ins Landesinnere, Verpflegung und oft auch ein Dach überm Kopf an. Warme Kleidung, Kinderschuhe und Spielzeug aus Spenden stapeln sich regelrecht am Straßenrand nahe der Grenzübergänge.

Es gibt aber auch Verkehr in Gegenrichtung: Die drei jungen Männer aus Zielona Góra sind nicht die einzigen, die ihr sicheres Zuhause und ihren Arbeitsplatz in Polen aufgeben und in die Heimat zurückgehen, um sie zu verteidigen. Bisher waren es nach offiziellen Angaben 12.000 Männer.

Wie viele Ukrainer leben in Polen?

Rund 300.000 Ukrainer haben inzwischen eine Aufenthaltsgenehmigung für Polen, eine geschätzte Million lebt und arbeitet schwarz im Land.

Ukrainische Flüchtlinge im Dorf Kviv (Ukraine) auf dem Weg zum polnischen Dorf Korczowa.
Neben riesigen Autostaus bilden sich an den Grenzübergängenauch lange Fußgängerschlangen – zu Fuß können die Flüchtlinge schneller als mit dem Pkw einreisen. Bildrechte: imago images/Agencia EFE

Die Lage an den Grenzübergängen Ukraine-Polen

Die Einreiseformalitäten wurden auf polnischer Seite extrem vereinfacht – Flüchtlinge dürfen die Grenze auch ohne Reisedokumente passieren. Auf ukrainischer Seite dauert die Überprüfung und Registrierung der Flüchtlinge allerdings sehr lange – die Wartezeiten können sogar einige Tage betragen.

In der Nähe der Grenzübergänge wurden inzwischen neun Empfangszentren eingerichtet, wo die Flüchtlinge aus der Ukraine registriert und versorgt werden, bei Bedarf auch medizinisch. Jeder Flüchtling, der dort erscheint, erhält ein blau-gelbes Faltblatt in vier Sprachen mit allen notwendigen Informationen über staatliche Hilfen und eine Hotline. Sie können sich kostenlos gegen COVID-19 impfen oder auch testen lassen. Von dort werden sie bei Bedarf zu Unterkünften gefahren, die in anderen, meist größeren Städten liegen.

Im Moment melden sich allerdings nur ca. zehn Prozent der ukrainischen Flüchtlinge bei den Aufnahmestellen. Die meisten überqueren die Grenze mit einem konkreten Reiseziel und einer gesicherten Unterkunft, die bereits von Verwandten oder polnischen Freunden organisiert wurden. Ein kleiner Teil von ihnen will in andere europäische Länder weiterziehen.

Allerdings rechnet man in Polen damit, dass die Anzahl von Flüchtlingen ohne Kontakte in Polen – also ohne Verwandte und Freunde vor Ort – wachsen wird. Nach UN-Prognosen kann man sogar mit bis zu fünf Millionen Flüchtlingen rechnen. Noch Mitte Februar war "nur" von einer Million potentieller Flüchtlinge die Rede.

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Die Flüchtlinge werden nach dem Grenzübertritt mit Essen und Trinken, aber auch mit gespendeter warmer Kleidung und unterschiedlichen Artikeln des täglichen Bedarfs versorgt. Bildrechte: IMAGO / Le Pictorium

Wie viele Flüchtlinge kann Polen bewältigen?

Auf einen solchen Flüchtlingsansturm ist Polen nach Ansicht von Prof. Maciej Duszczyk nicht vorbereitet. Der Wissenschaftler arbeitet am Zentrum für Migrationsforschung der Universität Warschau und weist darauf hin, dass Polen bisher noch nie mit derart großen Flüchtlingsbewegungen konfrontiert wurde. Die vorhandenen Flüchtlingsheime seien inzwischen mit Migranten belegt, die während der Migrationskrise an der polnisch-belarussischen Grenze ins Land gekommen seien. Es fehle einfach an entsprechender Infrastruktur, an Sozialarbeitern und Psychologen, die sich um die Flüchtlinge kümmern könnten.

"Wir haben 1.700 Plätze in Flüchtlingszentren. Wenn man es mit Deutschland vergleicht, ist dieses System völlig unterdimensioniert. Wir können den Zustrom von einem Dutzend oder mehreren Tausend Flüchtlingen meistern. Wir können aber nicht mit Hunderttausenden Menschen zurechtkommen, wir haben keine Infrastruktur, um sie aufzunehmen und ihnen zu helfen. Es droht eine humanitäre Katastrophe großen Ausmaßes“, warnt Duszczyk.

Egal, wie viele Menschen am Ende nach Polen gehen werden, eines steht wohl jetzt schon fest: Der Anblick erschöpfter Mütter und verängstigter Kinder, die den Schlagbaum an der Grenze passieren wird uns noch eine Weile begleiten.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 27. Februar 2022 | 19:30 Uhr

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