Diagnose, Beratung, Therapie Zwänge und Zwangsstörungen: Wo fängt es an? Wo gibt es Hilfe?
Hauptinhalt
09. Juni 2022, 18:48 Uhr
Ständiges Händewaschen, permanentes Kontrollieren oder zwanghaftes Sammeln und Ordnen: So vielfältig wie die Zwänge selbst, können auch die Symptome einer Zwangsstörung sein. Woran erkennt man sie, wann sollte man sich Hilfe suchen und welche Therapien gibt es?
Vierthäufigste psychische Erkrankung bei Erwachsenen
Jeder hat das schon mal erlebt: Man ist sich nicht ganz sicher, ob der Herd aus ist oder das Bügeleisen noch an und schaut zur Sicherheit lieber nochmal nach. Seit Corona wäscht man sich auch ein paar Mal häufiger am Tag die Hände als früher. Eigentlich ist das alles nicht weiter schlimm. Doch gehen solche Angewohnheiten über ein normales Maß hinaus, kann das für die Patienten stark belastend sein. Beherrschen die "Ticks" den Alltag oder das soziale Umfeld, sollte man unbedingt Hilfe suchen.
Zwangserkrankungen gehören bei Erwachsenen zu den vierthäufigsten psychischen Erkrankungen, trotzdem werden sie oft erst spät erkannt. "Zwangsstörungen werden oft bagatellisiert nach dem Motto: Das verwächst sich schon. Es gibt wenig Verständnis dafür und wird oft nicht ernst genommen. Aber genau das verhindert eine frühzeitige Behandlung", erklärt die Psychologin Prof. Katarina Stengler vom Zentrum für Seelische Gesundheit am Helios Park-Klinikum Leipzig.
Betroffene isolieren sich oft aus Scham
Patienten suchen meist erst im mittleren Lebensalter Hilfe, obwohl sie sich schon seit vielen Jahren quälen. Sie ziehen sich von Freunden und Familie zurück, mussten vielleicht sogar die Partnerschaft und den Beruf aufgeben – alles aus Angst, jemand könnte etwas von ihren Zwangshandlungen mitbekommen. Um diesen Patienten besser helfen zu können, hat Prof. Katarina Stengler vor einigen Jahren eine Spezialambulanz für Patienten mit Zwangserkrankungen gegründet: "Das ist ein sehr schambehaftetes Thema, aber bei uns braucht sich niemand zu schämen, wir urteilen nicht und haben Verständnis dafür." Eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie.
Wie und wann entstehen Zwangserkrankungen?
Für Kinder ist es oft ein Spiel, nicht auf die Fugen zwischen den Gehwegplatten zu treten oder abends unter dem Bett nachzuschauen, ob sich ein Monster versteckt. "Im Kindesalter sind Rituale normal und notwendig. Aber spätestens in der Pubertät muss das aufhören und darf nicht das Leben bestimmen", sagt Psychologin Prof. Katarina Stengler.
Die Erkrankung beginnt meist vor dem 18. Lebensjahr oder um das 18. Lebensjahr. Nach dem 25. Lebensjahr erkranken nur noch zehn bis 15 Prozent aller Betroffenen. Zwischen sieben und zehn Jahren dauert die Erkrankung durchschnittlich an, bevor mit einer Therapie begonnen wird. Zwangsstörungen können biologische Ursachen haben wie eine Stoffwechselstörung im Gehirn. Dann kann gut mit Medikamenten behandelt werden. Auch Unfälle können selten punktuelle Zwangsstörungen auslösen. Wesentlich häufiger sind angelernte Zwangshandlungen, die meist schon seit dem Kindesalter von den Eltern übernommen werden, etwa der Umgang mit Risiko oder Kontrolle. Je älter die Patienten werden, umso mehr wird das Leben vom Zwang dominiert und ist zur Normalität geworden. Das macht auch die Therapie bei schweren Zwangsstörungen besonders schwierig.
Woran erkennt man Zwangsstörungen?
Typische Symptome einer Zwangserkrankung sind häufiges Händewaschen oder das Reinigen von Gegenständen, aber auch häufiges Kontrollieren, Ordnen und Sammeln. "Die Patienten fallen fast immer durch ständiges Zuspätkommen auf. Sie erfinden Ausreden und oft sind es dann die Lebenspartner, die irgendwann sagen, das geht so nicht weiter", berichtet Prof. Katarina Stengler. Hinzu kommt, dass auch die Patienten selbst unter dem Zwang oder den Zwängen leiden. Sie erkennen es als Belastung, möchten gern damit aufhören, können es aber nicht.
Hier bekommen Sie Hilfe
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 09. Juni 2022 | 21:00 Uhr