Der Redakteur | 05.06.2023 Tiere züchten - Ist das noch zeitgemäß?
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05. Juni 2023, 20:02 Uhr
Nach der Diskussion über Rassehunde- und Katzenausstellung am Wochenende in Erfurt: Ist Tierzucht überhaupt noch zeitgemäß?
Zucht ist durchaus zeitgemäß und auch nötig. Seit Jahrtausenden werden Hunde für bestimmte Aufgaben gezüchtet. Das heißt: Es wurden Fähigkeiten verstärkt, die für uns heute unverzichtbar sind: Stichwort Blindenhund. Kritisch wird es, wenn es um das Aussehen geht, beklagen nicht nur Tierärzte.
Die Reihe der sinnvollen Züchtungen ließe sich beliebig fortführen. Rettungshunde, Sprengstoffsuchhunde, Therapiehunde, Hütehunde, Herdenschutzhunde - hier Alternativen zu finden, ist schwer bis unmöglich. Etwas schwerer fällt die Argumentation bei Züchtungen, bei denen es um das Aussehen geht.
Tierärztin Dr. Viola Hebeler von der Bundestierärztekammer verweist darauf, dass diese Zucht ein vergleichsweise junger Luxus ist, der erst in der viktorianischen Zeit begann. Das heißt: Wir sind im 19. Jahrhundert unterwegs und bei Menschen, die alles haben und das Besondere lieben.
Man kann es auch Extreme nennen: Statt höher - schneller - weiter, eben größer oder kleiner. Die Nase kurz oder halt die Beine, ein zu langer Rücken oder zu viel Haut für den Körper, so dass diese Falten schlägt. Die Beispiele sind vielfältig, die entstehenden Leiden auch. Denn die Hunde müssen damit leben, nicht Herrchen oder Frauchen.
Bei welchen Hunden ist es kritisch?
Kritisch wird es, wenn die Gesundheit der "Züchtungsresultate" leidet. Wir dürfen nicht vergessen, die entstandenen Hunde sind Lebewesen, die Leid spüren, ohne das immer mitteilen zu können. Sie sind es schlicht nicht anders gewöhnt. Der schlimmste Trend ist aus Sicht der Qualzucht-Kritiker der Trend zu "niedlichen Hunden", die dem Kindchen-Schema entsprechen. Große Augen, kurze "Stupsnase".
Letzteres ist Quälerei, weil es die Hunde am Atmen hindert, so Viola Hebeler. In der Folge mussten bereits Tausende von Hunden operiert werden, damit sie überhaupt weiter leben können, gibt sie die Erfahrungen ihrer Kollegen der Bundestierärztekammer wider. Und diese Extreme ziehen sich durch alle Körperteile. Hunde mit viel Fell bekamen noch mehr, kurzbeinige noch kürzere Beine, langohrige immer längere Ohren, bis diese beim Laufen auf dem Boden schleifen.
Was aber ist die "Norm"?
Die Norm ist der Wolf. Seit mehr als einer Million Jahren gibt es ihn, er hatte Zeit, sich zu entwickeln. Nicht praktikable "Auswüchse" fielen durch, was nicht überlebensfähig war, starb aus. Übrig blieb ein quasi bewährtes System, bis der Mensch eingriff. Ganz extrem ist es in den letzten Jahrzehnten geworden und deshalb versucht der Arbeitskreis Qualzucht der Bundestierärztekammer auch entgegenzuwirken und aufzuklären.
Es werden Firmen und Verbände angeschrieben, auch Medien, sogar renommierte Fernsehsendungen waren schon dabei. Oft ist große Einsicht vorhanden, denn es gibt eindeutige Veränderungen, die den Hunden schaden und die auch - so wie sie "reingezüchtet" wurden, wieder behoben werden können. Wehret den Anfängen quasi, Motto: Wenn ihr die Nase jetzt noch ein Stückchen kürzer züchtet, dann wird es eng. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Wie kam es zu den Ausstellungsverboten?
Basis für das Ausstellungsverbot ist die veränderte Tierschutzhundeverordnung. Diese ist so breit formuliert, dass kein Tier ausgestellt werden darf, das einen "Schaden" hat. Die Folge: Irgendwie kann man nun jeden noch so kleinen Erbfehler unter dem Qualzuchtparagraphen reglementieren. Das hat das zuständige Bundeslandwirtschaftsministerium auch erkannt und eine Projektgruppe der Tierschutzverantwortlichen der Länder ins Leben gerufen, um eindeutige Ausführungsbestimmungen zu formulieren.
Ein Ergebnis gibt es noch nicht. Aber es gibt unterschiedliche Anforderungen der Gesundheitsbescheinigungen der jeweiligen Kreisveterinärämter. Heißt: Irgendwie macht jeder das, was er für richtig hält. Ein unbefriedigender Zustand für alle Beteiligten. In der Folge hat sich eine weitere Arbeitsgruppe gebildet, die die geballte Fachkompetenz der Veterinärmedizin bündelt. Auf die Idee hätte man im damaligen Ministerium von Bundesministerin Julia Klöckner (CDU) vielleicht auch schon kommen können und zwar, bevor das Gesetz geändert wurde.
Diese Arbeitsgruppe besteht aus Vertretern der fünf großen tierärztlichen Verbände Bundestierärztekammer, den praktizierenden Tierärzten, den verbeamteten Tierärzten, der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz und der Deutschen Veterinärmedizinischen Forschungsgesellschaft. Mit dabei sind auch die Tierschutzbeauftragten der Länder, der Gesellschaft für Kynologische Forschung (kýōn = Hund) und als Vertreter der betroffenen Hundeverbände der Züchterverband VDH.
Diese Arbeitsgruppe hat eine Liste mit überprüfbaren tierschutzrelevanten Merkmalen erstellt. Das Überprüfen soll sowohl bei Ausstellungen, aber auch beim Tierarzt möglich sein. Die Veröffentlichung der Liste steht kurz bevor. Sie würde viele Probleme lösen, auch wenn sie nicht alle Tierschützer zufriedenstellen wird, weil eben nicht alle, aber immerhin fast alle Probleme bei den Tieren erkannt werden können.
Wir finden es besser, schnell und unbürokratisch 95 Prozent aller tierschutzrelevanten Veränderungen ausfiltern zu können als 100 Prozent anzustreben und damit aber einen riesigen finanziellen und bürokratischen Aufwand betreiben zu müssen.
Mit "Aufwand" sind zum Beispiel komplizierte Untersuchungen gemeint, die teils in Narkose und nur von Fachtierärzten durchführbar sind.
Das Problem ist am anderen Ende der Leine
Gute Zuchtverbände haben Regeln, die Gesundheitsproblemen entgegenwirken und auf die Zucht mit gesunden, leistungsfähigen Hunden abstellen. Dabei geht es nicht vorrangig um Leistung im Sinne unserer Leistungsgesellschaft, sondern darum, dass ein Hund quasi artgerecht und selbstständig seine Lebensfunktionen ausführen kann und auch von der Bewegung und vom Verhalten her nicht völlig aus der Art schlägt. Ein Hund, der nicht atmen und kaum laufen kann, würde keinen der gemeinten Tests bestehen.
Leider können wir in Deutschland reglementieren wie wir wollen, wenn die Leute ins Ausland fahren, um sich dort ihre niedliche Stupsnase holen. Deswegen ist Aufklärung ebenso wichtig wie die Verantwortung der einzelnen Zuchtverbände der verschiedenen Rassen. Diese können mit ihren Vorgaben und Zuchtzielen sehr genau steuern, wohin die Reise gehen soll und wohin eben nicht.
Nur leider sind die Grenzen der Anatomie ausgereizt. Groß, größer am größten. Wir können das natürlich alles züchten, aber in der Natur würden die Tiere schon aus energetischen Gründen durchfallen. Denn mit der Größe wächst der Energiebedarf, es muss alles mitgeschleppt werden zur Jagd. Und wenn der Jagderfolg zu klein ist, um "nachzutanken", wird sich das Modell nicht durchsetzen. Auch die kleine niedliche Stupsnase, die nach zehn Metern japst, würde niemals ein Wild erlegen. Das Überleben geht nur mit Dosenfutter.
Wenn die Käufer begreifen, dass manche Hunde aufgrund ihres niedlichen Aussehens ein Leben lang leiden, dann erledigt sich das Thema von selbst.
Das heißt: Je weiter wir von dem abweichen, was die Natur als überlebensfähig durchwinkt, umso kritischer ist eine Zucht. Dr. Hebeler beschreibt, wie frei so mancher Mops auf dem OP-Tisch atmet, solange er noch den Tubus in der Luftröhre hat. Auch nach dem Aufwachen aus der Narkose stellen solche Hunde zum ersten Mal fest, wie toll es ist, Luft zu bekommen. Wenn der Tubus raus ist, geht das Leiden weiter.
Auch so manches auf Handtaschenformat geschrumpfte niedliche Wollknäuel hat Leiden, weil eben nicht alle Organe im richtigen Verhältnis schrumpfen. Deswegen ist jeder angehende Hundebesitzer gut beraten, sich genau zu informieren, was er sich da für eine Rasse ins Haus holt. "Wer schön sein will, muss leiden", heißt es so schön im Volksmund. Das mag für den Menschen gelten, die Hunde hat aber niemand gefragt.
Über die Expertin Tierärztin Dr. Viola Hebeler, Bundestierärztekammer
MDR (caf)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 05. Juni 2023 | 16:40 Uhr