Ein Foto der Galaxie M100, gemacht mit Hilfe des Hubble-Weltraumteleskops
Spiralgalaxie M100 auf einem Foto des Hubble-Weltraumteleskops: Weil der Raum zwischen den Galaxien wächst, entfernen sie sich schneller von uns, als sie es dank ihrer Geschwindigkeit tun sollten. Bildrechte: NASA, ESA, and Judy Schmidt

Astrophysik Was ist Dunkle Energie?

03. Januar 2021, 10:00 Uhr

Das Universum treibt ständig auseinander. Eine mysteriöse Energie, die nicht mit Licht beobachtet werden kann, vergrößert den Raum zwischen den Galaxien. Was hat es mit dieser dunklen Energie auf sich?

"Es muss ein Messfehler gewesen sein" – das war wahrscheinlich der erste Gedanke der Astrophysiker, die etwa vor 20 Jahren die Entdeckung machten, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt, je weiter wir hinaus schauen. Professor Martin Ammon vom Theoretisch-Physikalischen Institut in Jena erinnert sich noch an seine Reaktion. Das konnte nicht sein. Das konnte die alles beherrschende Kraft im Universum - die Königin aller Kräfte - die Gravitation nicht zulassen. "Die ganze Materie im Universum wechselwirkt mittels der Gravitationskraft. Die Materie zieht sich an. Man würde also erwarten, dass die Expansion des Universums sich mehr und mehr verlangsamt", sagt er.

Das Universum beschleunigt um 250.000 Kilometer pro Stunde

Seitdem wird immer wieder gemessen, gemessen und gemessen. Entfernungen, Geschwindigkeiten und Materieverteilung in den Tiefen des Universums. Und je öfter wir messen, desto klarer wird: Es besteht kein Zweifel. Das Universum fliegt mit atemberaubender Geschwindigkeit auseinander. Alle 3,25 Millionen Lichtjahre legt das Universum 70 Kilometer pro Sekunde an Geschwindigkeit zu.

70 Kilometer pro Sekunde sind etwa 250.000 km/h. In knapp 7 Millionen Lichtjahren Entfernung rasen die Objekte schon mit 500.000 km/h von uns weg. Weitere drei Millionen Lichtjahre weiter sind es schon 750.000 km/h. Und am errechneten Rand des Universums, in 46 Milliarden Lichtjahren Entfernung, also dort, wo wir schon lange nicht mehr hinschauen können – dort dehnt sich das Universum höchstwahrscheinlich mit Überlichtgeschwindigkeit aus.

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Schriftzug "WAS IST DUNKLE ENERGIE?" vor einer abstrakten Struktur, die das Universum symbolisiert 11 min
Bildrechte: MDR/PantherMedia

Objekte entfernen sich voneinander, ohne sich dafür zu bewegen

Die Messergebnisse brachten noch andere Erkenntnisse. Erstens: Wir haben keine Ahnung vom Universum, denn die Dunkle Energie ist die Beherrscherin des Universums. Sie macht 70 Prozent von allem aus. Und zweitens: Diese rasante Ausdehnung des Universums kommt nicht zustande, weil die Galaxien sich so schnell wegbewegen. Stattdessen entsteht zwischen uns und denen da draußen permanent neuer Raum. Irgendetwas drückt den Raum auseinander und schiebt ihn zwischen die Galaxien. Deshalb wird der Abstand größer und größer. Astrophysiker Hendrik Hildebrandt von der Ruhruniversität Bochum erklärt das mit einem bildlichen Vergleich.

Man kann sich das in etwa so vorstellen. Wenn ich zwei Autos habe, die auf der Autobahn stehen, sich nicht bewegen, sich dann aber die Fahrbahn ausdehnt. Dann ruhen diese beiden Autos auf der Fahrbahn, aber die Fahrbahn zwischen den Autos dehnt sich aus und so vergrößert sich die Entfernung zwischen diesen beiden Autos.

Prof. Hendrik Hildebrandt

Welche Energie vergrößert das Universum?

Was ist es, das den Raum auseinandertreibt? Was ist das, das ganz gleichmäßig alle drei Millionen Lichtjahre die Fluchtgeschwindigkeit der Himmelskörper um 250.000 Stundenkilometer beschleunigt? Dieser mysteriösen Kraft gaben die Wissenschaftler den Namen: Dunkle Energie. Was letztlich aber nur bedeutet, dass die Forscher keine Ahnung haben, was das ist. Martin Ammon zuckt mit den Schultern: "Wir verstehen die Dunkle Energie eigentlich nicht. Wir können sie mathematisch beschreiben. Wir benötigen sie, um Beobachtungen erklären zu können. Aber was sich eigentlich dahinter verbirgt, das wissen wir nicht. Genau das ist das Problem in der heutigen Forschung: Nach was sollen wir suchen? "

Genau das ist das Problem von Thomas Mernik vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Er sucht mit dem Rosetta Teleskop nach einer Antwort auf die Frage: Warum wird das Universum immer schneller? Aber wie sucht man etwas, das offenbar mit nichts Irdischem vergleichbar ist, etwas, das wir nicht kennen? Wie findet man den Mister X des Universums?

Dr. Thomas Mernik, DLR, Abteilung Extraterrestrik
Bildrechte: imago/Günther Ortmann

Das ist in etwa vergleichbar, wenn man Verstecken spielt in einem dunklen Zimmer. Man kann nicht sehen, was man finden möchte. Man kann nur probieren, es auf andere Arten zu finden. Und genau sowas machen wir mit dem Rosetta Teleskop. Wir suchen nicht nach der Dunklen Energie direkt, das könnten wir gar nicht. Das Teleskop ist nicht in der Lage etwas zu sehen, was kein Licht aussendet. Aber wir können die Bewegung des Universums als Ganzes beobachten und dadurch Schlussfolgerungen ziehen: Wie die Dunkle Energie vielleicht verteilt ist, wie sie zu welchen Zeiten konzentriert war. Wir können bestimmte Modelle ausschließen und andere bestätigen.

Thomas Mernik, DLR

Dunkle Energie ist keine Antigravitation sondern wirkt überall gleich

Um die Dunkle Energie zu überführen, bleiben uns also erstmal nur unsere Beobachtungen, dass da draußen alles ziemlich schnell und immer schneller auseinanderfliegt – diese Entwicklung aber sehr berechenbar und kontinuierlich verläuft. Könnte die Dunkle Energie das Gegenteil der Gravitation sein, eine Art Antigravitation? Hendrik Hildebrandt bezweifelt das. "Antigravitation hört sich nach schwebenden Autos an. Ich packe ein bisschen von dieser Dunklen Energie in meinen Kofferraum und dann schwebe ich über die Straße. So ist es nicht. Das hat schon eine andere Qualität als normale Materie. Und der wichtigste Unterschied dabei ist, dass normale Materie klumpt. Da entstehen Strukturen. Wir nehmen aber an, dass diese Dunkle Energie oder das, was wir mit diesem Wort beschreiben, dass das homogen den Raum erfüllt und keine Strukturen bildet."

Gravitation ist mal schwächer, mal stärker, je nachdem, ob ein Planet, eine Sonne oder eine Galaxie in der Nähe ist. Wahrscheinlich ist das bei der Dunklen Energie ganz anders. Egal wohin wir schauen, egal in welche Richtung des Universums, überall messen wir die gleichen Geschwindigkeiten abhängig von der Entfernung. Und deshalb glauben Wissenschaftler, dass Dunkle Energie etwas ganz anderes ist. Dunkle Energie scheint überall zu sein und überall gleich stark. "Die Dunkle Energie in Mitteldeutschland hat den gleichen Wert wie die Dunkle Energie im Ruhrgebiet. Sie hat den gleichen Wert in meinem Körper, in Ihrem Körper. Überall ist Dunkle Energie", sagt Hildebrandt

Gebundene Objekte: Wo die dunkle Energie zu schwach ist

Überall ist dunkle Energie? Da scheint irgendetwas nicht stimmig. In drei Millionen Lichtjahren treiben Galaxien auseinander, meine Kaffeemaschine steht aber jeden Morgen noch am gleichen Ort – wie ist das zu erklären? "Das liegt daran, dass die Erde, unser Sonnensystem und sogar unsere Galaxie, sogenannte gebundene Objekte sind. Die dunkle Energie ist auf diesen Skalen einfach viel zu schwach, weil halt andere, viel stärkere Kräfte da sind, die die Körper zusammenhalten, die unser Sonnensystem zusammenhalten, die unsere Galaxie zusammenhalten, ihren Schreibtisch oder auch ihren Wohnort zusammenhalten", sagt Hildebrandt.

Das heißt: erstens sind hier die Entfernungen zu klein. Dunkle Energie ist so schwach, dass sie offensichtlich unvorstellbare Weiten braucht, um sich zu entfalten und zum anderen sind ihr hier die Hände gebunden. Hier ist die Gravitation die Königin. Hier kauert die Dunkle Energie still, hilflos in der Ecke und hat nichts zu melden. Aber je weiter wir schauen, je schwächer die Gravitation wird, desto spürbarer wird die Dunkle Energie. Sie wird da draußen aber nur gefühlt stärker. Die Theorie sieht diese scheinbare Zunahme der Dunklen Energie laut Hildebrandt so:

Im frühen Universum hat sie genau den gleichen Wert – die Energiedichte – wie im späten Universum. Allerdings expandiert das Universum, das heißt alle anderen Substanzen verdünnen sich mit der Zeit. Normale Materie verdünnt sich einfach, wenn das Universum expandiert. Das passiert mit der Dunklen Energie nicht. Da sie konstant ist, wird sie dadurch relativ gesehen, immer wichtiger.

Prof. Hendrik Hildebrandt

Das Standard-Modell des Universums wackelt

Ein paar Vorstellungen zur Dunklen Energie gibt es also schon, zumindest was sie nicht ist, beziehungsweise welche Eigenschaften sie haben könnte.

Dieses Bild des NASA/ESA-Hubble-Weltraumteleskops zeigt NGC 6302, allgemein bekannt als der Schmetterlingsnebel. NGC 6302 liegt innerhalb unserer Milchstraße, etwa 3800 Lichtjahre entfernt im Sternbild Skorpion.
Bildrechte: NASA, ESA, and J. Kastner (RIT)

Um das Universum zu beschreiben, greifen Astrophysiker gern zur Mathematik und in diesen Gleichungen präsentiert sich die Dunkle Energie, die mysteriöse Unbekannte, als etwas mit negativem Druck. Auf der Erde kennen wir diese Eigenschaft der Materie nicht. Jedes Atom bewegt sich, übt damit einen gewissen Druck auf seine Umgebung aus und wirkt durch seine Masse anziehend. Am ehesten scheint dieser Zustand der dunklen Energie mit dem Zustand des Vakuums vergleichbar. Sie ist aber viel, viel schwächer, so dass eine Verwandtschaft kaum wahrscheinlich ist.

Was ist sie also, die Dunkle Energie? Ist sie nur eine weitere Naturkonstante, beispielsweise für die Eigenschaft des Raums? Wissenschaftler wären enttäuscht, wenn das so wäre. Sie erhoffen sich mehr, nämlich dass sich hinter dieser Beobachtung, dass sich der Raum immer schneller ausdehnt, vielleicht neue Materieformen oder unbekannte Eigenschaften von Atomen verbergen. Je genauer wir messen, desto wackliger wird das sogenannte Standard-Modell, das wir vom Universum haben, desto rätselhafter wird das Universum.

Neue fundamentale Wahrheiten über das Universum

Wir wollen das ändern. Wir wollen mehr von diesem Universum verstehen. Wir haben dem ganzen schöne Namen gegeben: Dunkle Energie, dunkle Materie. Aber im Prinzip ist das für uns nur eine Arbeitsaufgabe. Nämlich diese Namen mit Leben zu füllen und zu verstehen, was es denn mit diesen mysteriösen Substanzen auf sich hat. Das heißt, wir könnten auf Grund dieser kosmologischen Beobachtungen etwas Neues über die fundamentalsten Naturgesetze herausfinden.

Hendrik Hildebrandt

Es geht also um mehr, als nur herauszufinden, wie das Universum vielleicht endet, ob es für immer schneller auseinanderfliegt und ob das letzte Atom irgendwann in 20 oder 40 Milliarden Jahren im sogenannte Big Rip von der Dunklen Energie auseinandergerissen wird – oder ob diese Ausdehnung irgendwann mal aufhört. Die Dunkle Energie bietet wahrscheinlich mehr als das. Sie ist ein Hinweis dafür, dass die Welt möglicherweise anders funktioniert, als wir bisher dachten. Eine neue Theorie vom Universum steht quasi in den Startlöchern.