Szenenfotos der Operninszenierung "La Boheme" in Halberstadt
Giacomo Puccinis "La Bohème" hatte am 13.10.2023 am Harzer Theater Premiere. Bildrechte: Nordharzer Städtebund Theater

Harzer Theater: Giacomo Puccini: La Bohème Ein berührender Operntod

17. Oktober 2023, 17:18 Uhr

Giacomo Puccinis "La Bohéme" ist nicht nur seine erfolgreichste Oper, sondern eine der meistgespielten überhaupt. Nach 10 Jahren bereits wartet das Nordharzer Städtebundtheater, das sich nun offiziell schlicht "Harzer Theater" nennt, in Halberstadt wieder mit einer neuen Produktion von Puccinis Werk über das Pariser Künstlerleben auf. Programmatisch mit gerade dieser Oper?

2023/24 ist es für Halberstadt eine Jubiläumssaison. Das Theatergebäude – aus Ziegelsteinen zerbombter Häuser errichtet – war der erste Theaterneubau in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg und wird nun 75 Jahre alt.

Zitate der Vergangenheit

Das freizügige Leben einer Künstlerwohngemeinschaft in einer Pariser Dachmansarde ließe sich durchaus aktualisieren – wie etwa die Weiterführung von Puccinis Oper im Musical "Rent" von Jonathan Larsen zeigt, dort ist die Pariser Künstlerszene in einer New Yorker Loft während der Aids-Krise der 1990er Jahre verlegt.

Doch die Inszenierung von Andrea Moczko und die Ausstattung von Robert Pflanz rücken die Handlung ganz bewusst in die Vergangenheit, nicht nur in die Entstehungszeit der Oper, in das Künstlertreiben der vorletzten Jahrhundertwende, sondern gar vor die Mitte des 19. Jahrhunderts, vor die Entstehungszeit des Buches von Henry Murgers Roman "Szenen aus dem Leben einer Boheme", der der Oper zugrunde liegt.

Das Geschehen spielt wie Murgers Roman - der auf diese Weise auch der Diskussion von Karl Marx entgehen wollte, ob die Bohème Künstler Avantgarde oder "Lumpenproletariat" seien – im Biedermeier, also vor der bürgerlichen Revolution 1848. Carl Spitzwegs "Armer Poet" und dessen Dachstube mit einem schwarzen aufgespannten Regenschirm unter durchlässigem Dach wird im Halberstädte Bühnenbild zitiert.

Szenenfotos der Operninszenierung "La Boheme" in Halberstadt
Bühnenbild erinnert an Carl Spitzwegs "Armer Poet". Bildrechte: Nordharzer Städtebund Theater

Wenn auch der Chor biedermeierlich gewandet im 2. Akt vom Zuschauerraum aus ins "Cafe Momus" im Pariser Quartier Latin in Halberstadt stürmt, bleibt auch dann das Künstler-Treiben idyllisch und harmlos. Die oft zynischen Kommentare und Lebenshaltungen, aber auch Verklemmtheiten gegenüber Affären und "ewiger Liebe", aber auch gegenüber dem künstlerischen Wert bzw. dem Brennwert von zu verheizender Literatur wirken biedermeierlich.

Musik gibt Tiefe

Doch Puccinis Musik schärft spätestens zu Beginn des dritten Aktes die Emotionen der Zuhörer und gibt den Figuren Tiefe. Johannes Rieger vermag mit den Harzer Sinfoniker hier eindrucksvoll die kompositorische Raffinesse, die gerade in diesem Vorspiel Musik des 20. Jahrhunderts vorwegzunehmen scheint, vorzuführen. Jedenfalls bereitet der dritte Akt, der ja in der Pariser Banlieue spielt musikalisch den Weg für den dramatischen 4. Akt, dessen große Emotionen, natürlich vor allem Mimis Tod, so kitschig sentimental er auch sein mag, niemand unberührt lassen kann.

Zumal Jessey Spronk als eigentlich unscheinbare Näherin mit großer Präsenz durch ihr Spiel aber auch mit großen klaren dramatischen existentiellen und doch weich bleibenden Ausbrüchen in den Bann zu ziehen vermag. Sie fügt sich in ein in Halberstadt schon länger eingeschworenes Musiktheater-Ensemble: Max An, ein heldischer Rudolfo; Bendedicte Hilbert eine muntere Musetta, Juha Kuselka ein einfühlsamer Marcello.

Bohème in Halberstadt?

Vielleicht hat das Harzer Theater ja "La Bohéme" zu Saisonbeginn durchaus programmatisch wieder gewählt. Denn auch wenn in Halberstadt "der Grieche um die Ecke" nicht das "Cafe Momos" im Quartier Latin ist, wenn auch die Kreisstadt Halberstadt im Harz nicht die quirlige Metropole Paris ist, die mit dieser Produktion über mehrere Theater in Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Nordrhein Westfalen tingelnden internationalen Musiker und Sänger fühlen sich vielleicht dann doch wie Henry Murgers Bohème. Insofern bleiben Carl Spitzwegs 200 Jahre alter "Armer Poet" und seine Dachstube doch noch aktuell.

Szenenfotos der Operninszenierung "La Boheme" in Halberstadt
Viel Beifall gab es in Halberstadt bei der Premiere. Bildrechte: Nordharzer Städtebund Theater

Weitere Vorstellungen: La Boheme auf Tournee Stendal: 15.10.23
Theater im Schlossgarten in Arnstadt: 18.10.23
Theater Wolfenbüttel 12.11.23
Theater Bernburg 19.11.23
Quedlingburg 09.12.23
Rheine 18.01.24
Salzwedel 15.02.24

In Halberstadt selbst wieder am 01.12.23, am 25.12.23 und am 03.02.24

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 15. Oktober 2023 | 09:35 Uhr

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