Bernd Feuchtner, Intendant der Händel-Festspiele Halle
Bernd Feuchtner ist bis 2025 der Intendant der Händel-Festspiele Halle. Bildrechte: Thomas Ziegler

Interview mit dem neuen Intendanten der Händel-Festspiele Halle Bernd Feuchtner: "Also eigentlich bin ich glücklich!"

01. Juni 2023, 07:10 Uhr

Er ist ein Theater- und Musik-Enthusiast. Nun will der Publizist, Dramaturg, Theater- und Festivalleiter Dr. Bernd Feuchtner als Intendant der Händel-Festspiele Halle möglichst viele Menschen, die bislang kaum mit Kultur in Berührung kamen, für Händel begeistern. Bettina Volksdorf traf ihn während einer Veranstaltung am 30. Mai 2023 in der Konzerthalle St.-Ulrich-Kirche zum Gespräch.

Bettina Volksdorf: Sie befinden sich zwar seit einigen Jahren im produktiven Unruhestand, Bernd Feuchtner, dennoch dürfte die Anfrage der Stadt Halle, ob Sie die Händel-Festspiele ab sofort bis 2025 übernehmen können, aus heiterem Himmel gekommen sein. Mussten Sie lange überlegen oder haben Sie fix entschieden?

Bernd Feuchtner: Es stimmt, ich wurde vor fünf Wochen gefragt, hatte nicht viel Zeit zum Überlegen. Ich bin also nach Halle gefahren, habe mich mit Mitgliedern des Kuratoriums getroffen und sie haben mir die Situation geschildert. Da war für mich klar, dass die Händel-Festspiele gerettet werden müssen! Ich habe immer gern Festspiele  gemacht – in Schwetzingen, in Karlsruhe die Händel-Festspiele u.a. Außerdem kenne ich die Künstler. Ich habe also "Blut geleckt" und Ja gesagt.

Wie schön für Halle und die Festspiele! Sie waren schon 1993 hier, um über den Auftakt der damaligen Händel-Festspiele zu berichten. Wie intensiv konnten Sie die Festspiele denn in den vergangenen 30 Jahren im Auge behalten?

BF: Ja, damals war ich beim Tagesspiegel und bei der Opernwelt. Ich habe die ehemalige DDR als ungeheuer produktiv und mit einem aufregenden Kulturleben wahrgenommen, und es hat mir große Freude gemacht, überall hinzufahren um zu schauen, was da passiert. Von Berlin aus ist man ja auch schnell in Halle. Ich bin also so oft als möglich zu den Händel-Festspielen gefahren und habe dann darüber geschrieben. Als ich Operndirektor in Heidelberg wurde, baute ich dort selbst ein Barockfestival auf. Da hat es mich natürlich noch einmal anders interessiert zu schauen, was die anderen machen, wer die neuen Stars, interessanten Sänger, Regisseure usw. sind und selber Marken zu setzen.

Bernd Feuchtner, es gibt allein in Deutschland drei internationale Händel-Festspiele: In Karlsruhe – die haben Sie einige Jahre künstlerisch geleitet –, Göttingen und die in Halle mit unterschiedlichen Akzentuierungen. Die Göttinger Festspiele haben z.B. einen Wettbewerb integriert, Halle vergibt alljährlich den Händel-Preis usw. Meine Frage zielt auf die Zukunft der Händel-Festspiele Halle, für die Sie jetzt Verantwortung tragen. Braucht es auch angesichts dieser Konkurrenz und aktuellen Entwicklungen – Stichwort Corona und Energiekrise – neue Konzepte, um Festspiele wie diese, hier in der Geburtsstadt von Georg Friedrich Händel krisensicher für die Zukunft zu machen?

BF: Ich glaube, dass die Kultur nie krisensicher ist. Was es braucht, ist ein Gefühl für die Zeit, für das Publikum, für die Künstler, dass man schaut, was gerade am interessantesten ist, was das Publikum am meisten begeistern wird, was die Kunst weitertreibt, wie man Verbindungen schaffen kann. Es gibt keinen Kanon, wo man sagen kann, dies oder jenes ist in Stein gemeißelt, das wird jedes Mal wieder präsentiert. Das funktioniert nicht!

Wenn ich also das Gleiche mache wie dieses Jahr, dann würden die Leute nächstes Jahr wegbleiben. Ich muss mir also immer wieder etwas Neues überlegen. Und ich bin jemand, dem auch immer etwas Neues einfällt, mit dem ich das Publikum überraschen kann. Dieser Überraschungseffekt ist es, denn das Publikum möchte einerseits das Gewohnte, die schöne Musik von Händel, aber eben jedes Mal in einer anderen Beleuchtung.

Händel-Festspiele Halle
Die Händel-Festspiele in Halle laden in diesem Jahr vom 26. Mai bis 11. Juni ein. Bildrechte: Thomas Ziegler

Was war eigentlich Ihre wichtigste Erkenntnis als künstlerischer Leiter der Händel-Festspiele in Karlsruhe?

BF: Dass das Werk von Händel unendlich vielfältig ist! Dass es so viele Seiten hat, lustig und satirisch ist, aber auch tief tragisch sein kann. Dass es alle menschlichen Emotionen, die nur denkbar sind, in sich birgt und das ist etwas, das man entfesseln muss. Dann ist das Publikum hin und weg.

Das wird auch heute Abend (30.05.) in der Ulrichskirche Halle mit Julia Lezhneva und dem Concerto Köln garantiert noch der Fall sein. Wir haben hier allerdings ein Besucher-Durchschnittsalter von geschätzt 65 plus, das heißt, man sollte schon auch schauen, dass jüngeres Publikum nachgezogen wird. Deshalb frage ich gern nochmal nach: Was braucht es perspektivisch an Feintuning, um auch jüngere Leute für die Händel-Festspiele Halle zu begeistern?

BF: Was die Händel-Festspiele schon machen, die Arbeit mit Jugendlichen! Die muss man intensivieren und natürlich auch in die Stadt gehen. Das ist auch der Grund, warum ich hierher ziehen werde. Ich will hier leben und die Menschen in der Stadt kennenlernen. Auch in den – sagen wir – eher kultur-fernen Stadtteilen. Wir müssen überlegen, wie man auch diese Menschen für Händel begeistern kann. Einiges wird ja schon gemacht: Ich denke an die Konzerte in der Galgenbergschlucht, die beinah Volksfest-Charakter haben. Aber da geht noch mehr! 

Momentan besteht Ihre Aufgabe vermutlich darin vor allem zu repräsentieren, ansprechbar zu sein. Inwiefern haben Sie denn Prokura für die nächsten Jahre auch konzeptionell zu planen?

BF: Ich habe die komplette Freiheit zu planen, muss dabei natürlich das Budget einhalten und 2024 steht inhaltlich bereits. Zu glauben, dass der Intendant nur repräsentiert, ist jedoch ein Irrtum. Wenn ich früher als Journalist ein Konzert besuchte, habe ich immer überlegt, wie ich das, was der Künstler gerade macht, in Worte fassen kann, sodass der Leser einen lebendigen Eindruck bekommt.

Jetzt mache ich so etwas Ähnliches: Ich überlege, wie etwas ankommt, ob ich diesen oder jenen Künstler noch einmal haben will, ob er oder sie vielleicht ihren Zenit schon überschritten hat. Und ich beobachte das Publikum. Wie reagiert es? Das heißt also, man ist die ganze Zeit dabei zu beobachten. Und hinterher rede ich mit den Künstlern, beglückwünsche sie und frage sie nach ihren Plänen. Können wir vielleicht mal etwas Außergewöhnliches machen und so weiter und so fort. Also eigentlich ist das repräsentieren die Nebensache. Und manchmal hilft man auch jemanden zu seinem Platz. ….

Genau das habe ich vorhin erlebt, wie Sie als "Platzanweiser" ausgeholfen haben und fand das sehr sympathisch! Bernd Feuchtner, Sie haben Ihr Büro im Händel-Haus, das zugleich Heimstätte der Händel-Gesellschaft, der Stiftung-Händelhaus und des Händel-Museums ist. Nun soll die Stimmung der Mitarbeiter hier in den letzten Monaten etwas angespannt gewesen sein. Dabei geht es offenbar um Fragen des Führungsstils seitens des Direktoriums, zudem soll die Belegschaft lange nicht über die Erkrankung ihres Chefs informiert worden sein. In welcher Verfasstheit haben Sie das Team im Händel-Haus vorgefunden und welche Schmerz- oder Triggerpunkte gilt es jetzt unter Umständen zeitnah zu heilen?

Händel-Haus
Im Händel-Haus Halle befindet sich Bernd Feuchtners neuer Arbeitsplatz. Bildrechte: Thomas Ziegler

BF: Ich habe von alledem Gott sei Dank nichts gewusst. Das hat mich auch nicht interessiert. Ich traf hier auf tolle, hochqualifizierte Kollegen, mit denen ich jetzt spreche. Das heißt, ich erkundige mich danach, wie sie ihre Arbeit empfinden, was sie stört, was sie gut finden und so weiter. Und dann werden wir sehen, dass wir einen guten Weg finden, um zusammenzuarbeiten. Denn ich kam nicht als der Boss, sondern als Kollege hierher, bin es gewohnt im Team zu arbeiten.

Wir haben aktuell z.B. keinen Dramaturgen, der muss neu eingestellt werden. Wie genau die Stelle definiert wird, das müssen wir bereden, damit alle zufrieden sind. Da kann man nicht diktatorisch arbeiten. Ich bin jetzt eine Woche hier und habe nur gute Erfahrungen gemacht mit den Kollegen. Insofern fühle ich mich im Händel-Haus und in der Stadt willkommen. Also – eigentlich bin ich glücklich!

Wir erleben interessanterweise ja gerade mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall ein Wiederaufflammen der Ost-West-Debatte. Und Sie dürften das Buch des Leipziger Literaturprofessors Dirk Oschmann "Der Osten: eine westdeutsche Erfindung" sicher schon mal in der Hand gehabt haben. Wie nehmen Sie als "westdeutsch-sozialisiert"  diese Debatte gerade hier in Halle wahr?

BF: Ich habe das Buch natürlich gelesen und kenne diese ganze Diskussion. Die hat ihre Berechtigung, weil da viel schiefgelaufen ist. Aber in der Musik ist das ganz anders, weil Musik verbindet. Diese Trennung hat so also zwischen ostdeutschen und westdeutschen Musikern nicht existiert, da wurde gereist, da hat man sich verständigt, Bücher unterm Tisch verkauft usw. Im Westen war auch bekannt, wie die Komponisten in der DDR komponiert haben.

Also ich sehe in der Musik in erster Linie das Verbindende, auch in der jetzigen Situation. Ich habe mich ja mein Leben lang mit Schostakowitsch beschäftigt. Das hat mir sehr geholfen zu verstehen, wie das Leben im Sozialismus war, was gut und was schlecht daran war. Aber wie gesagt, im Musikerlebnis verbinden sich die Menschen – hier in Halle insbesondere in ihrem Stolz auf den Sohn der Stadt: auf Georg Friedrich Händel!

Das Interview führte Bettina Volksdorf am 30. Mai 2023 für MDR KLASSIK.

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 01. Juni 2023 | 07:10 Uhr

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