Szene einer Theateraufführung
Bildrechte: Nasser Hashemi

Rezension "Die drei Wünsche": Eine Kostümprobe ist der Wahnsinn!

21. November 2023, 13:10 Uhr

Am Chemnitzer Opernhaus wurde eine Rarität ausgegraben – das Publikum hat die Filmoper "Die drei Wünsche" von Bohuslav Martinů gefeiert.

Oper Chemnitz
"Die drei Wünsche" feierte am 18. November Premiere am Opernhaus Chemnitz. Bildrechte: IMAGO / Schöning

Selbst eingefleischte Opernliebhaber werden dieses Werk vielleicht nicht kennen: "Die drei Wünsche" von Bohuslav Martinů oder, so der Untertitel, "Die Launen des Lebens". Im Chemnitzer Opernhaus hat man sich nun darangewagt – und damit möglicherweise alle Wünsche erfüllt? Es wäre mehr als an der Zeit, denn das Stück, eine Filmoper, ist inzwischen fast 100 Jahre alt. 1929 sollte es an der Kroll-Oper in Berlin uraufgeführt werden,  kam aber erst 1971 in Brno heraus. Grund dafür war die Weltwirtschaftskrise, wegen der das damals noch neue und ziemlich teure Medium Film nicht zu realisieren gewesen ist. In Deutschland werden "Die drei Wünsche" erst seit dem Jahr 2000 gezeigt, zuerst an der Neuköllner Oper Berlin.

Mutig, mutig!

Dem Theater Chemnitz darf also einiger Mut attestiert werden, sich nun an diese Entdeckung herangewagt zu haben. Zumal sich hinter diesem Titel ein absolut ungewöhnliches Stück Musiktheater verbirgt. Der böhmische Komponist Bohuslav Martinů (1890-1959) ist einem breiten Publikum nach wie vor relativ unbekannt. Dabei steht er in bester Tradition von Dvořák und Janácek, ist international tätig gewesen und hat höchst couragiert sehr eigenständige Wege in die Moderne des 20. Jahrhunderts beschritten.

Szene einer Theateraufführung
Die Oper zeichnet sich durch spannende Verwicklungen und Doppelungen der Akteure aus. Bildrechte: Nasser Hashemi

Das gilt auch für seinen Umgang mit dem Genre Oper, das durch "Die drei Wünsche" einen schillernden Sprung hätte machen können. Denn im Original sollte das Stück um eine Filmprobe herum spielen, also am Set, wie man heute sagen würde. Die Sänger-Darsteller der Rahmenhandlung schlüpfen spielerisch in jene Rollen, mit der dieser Film gedreht werden und in dem es dann reichlich märchenhaft und gleichzeitig modern zugehen sollte. Wobei es zu spannenden Verwicklungen und Dopplungen der Akteure kommt.

Kostümprobe auf offener Bühne

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Regie führt in der Chemnitzer Oper Rahel Thiel. Bildrechte: Nasser Hashemi

In der Chemnitzer Deutung von Regisseurin Rahel Thiel erfolgte dies allerdings nicht am Filmset, sondern während einer Kostümprobe auf offener Bühne. Das Stück der Probe geriet zum Kern dieser hier und da irritierenden, vor allem jedoch faszinierenden Inszenierung, die einmal mehr zum Theater im Theater als stimmiges Spielmittel gegriffen hat.

Für den passenden Zeitbezug genügte zunächst ein einsam tönendes Grammophon mit Musik aus der Entstehungszeit dieser Oper. Auf die ansonsten noch beinahe leere Bühne senkte sich sogleich ein Schminktisch herab, davor saß ein güldenes, leicht androgynes Wesen, das mit einer Lichterkette gefesselt wurde und das dem von einer hektischen Assistentin angefeuerten Probentrubel ausgeliefert war.

So eine Kostümprobe sei der Wahnsinn, hieß es, doch ein Wahnsinn als Fest für die Augen, wie unbedingt ergänzt werden muss. Rebekka Dornhege Reyes ließ ihrer Fantasie nämlich freien Lauf und stattete allein schon den famos agierenden und singenden Opernchor anspielungsreich mit gewaltigen Hüten und Kleidern aus, zitierte Obelix nebst einem Karlsson auf dem Dach herbei und steckte ein Gesangsquartett in eine Art knallbunter Zaubergewandung.

Märchenhafte Filmoper mit doppeltem Boden: Theater im Theater

Diese Opernprobe in der Oper gibt dem Stück eine zweite Ebene, da wird das einander überdrüssige Schauspielerpaar Arthur und Nina keifend zu Monsieur Just und Indolende. Der gemeinsamen Bettstatt und dem ehelichen Überdruss entflieht Just, geht auf die Jagd und – fängt sich eine Fee! Wobei es ganz danach aussieht, dass diese Fee sich absichtlich hat fangen lassen. Eher scheinheilig bittet sie um ihre Freilassung und verspricht, dafür "drei Wünsche" zu erfüllen.

Szene einer Theateraufführung
Etienne Walch in der Rolle der Fee Null. Bildrechte: Nasser Hashemi

Geld, Jugend und Liebe

Das klingt ein wenig nach der Mär vom Fischer und seiner Frau, denn diese Wünsche zielen auf Geld, Jugend und Liebe. Glücklich wird allerdings niemand, ganz im Gegenteil. Und auch der Schritt zurück, von diesem Märchen wieder zu Rahmenhandlung und Opernprobe, ist ziemlich ernüchternd. "Die drei Wünsche" kommen gegen "Die Launen des Lebens" einfach nicht an. Allerdings bringt die Regie nun doch noch einen Film ins Spiel (Video Stefan Bischoff) und blendet einen faszinierenden, geradezu wahnsinnigen Lauf von Juste bzw. Arthur durch die Kulissen ein, der über die Hinterbühne und Heizungsschächte des Theaters flitzt, als ob er vor sich selbst flieht (oder sich sucht?), nachdem die Wünsche nichts brachten und seine Nina ihn auch noch bloßstellt und mit Serge betrügt, der in der Märchenhandlung als liebestoller Adolphe mitgewirkt hat.

Fulminantes Orchesterzwischenspiel

Szene einer Theateraufführung
Etienne Walch als Die Fee Null und Thomas Essl als Monsieur Juste. Bildrechte: Nasser Hashemi

Begleitet wird die fesselnde Einblendung von einem fulminanten Orchesterzwischenspiel, das aus einem flirrenden Mix Spätromantik voller Expressivität besteht, Anklänge an Filmmusik beinhaltet, faszinierenden Jazz bietet – Bohuslav Martinů hat hier alle Register seines Könnens gezogen und viele Einflüsse seiner Zeit geradezu aufblühen lassen. Dieses orchestrale Intermezzo wurde von der Robert-Schumann-Philharmonie unter Jakob Brenner auch emotional sehr mitreißend wiedergegeben und mit spontanem Applaus bedacht.

Der junge Dirigent ist Kapellmeister in Chemnitz und zeigte sich in dieser Produktion als äußerst vielversprechende Persönlichkeit. Er wurde vom Publikum ebenso heftig gefeiert wie das sehr umfangreiche Ensemble, das mehr als ein Dutzend Sängerinnen und Sänger umfasste. Allen voran die Fee, die vom Countertenor Etienne Walch betörend androgyn dargestellt und exzellent gesungen wurde. Diese Verführungskraft strahlte auf Thomas Essl als Arthur/Juste und Maraike Schröter als seine Nina/Indolende, die sich als Paar nichts schuldig geblieben sind, ebenso über wie auf Daniel Pataky als Serge/Adolphe, Marlen Bieber als betörende Eblouie, Paula Meisinger als Adelaïde und Sofia Pavane als Dinah.

Ganz aus dem Häuschen

Szene einer Theateraufführung
Elisabeth Dopheide als Indolenda und Daniel Pataky als Adolphe. Bildrechte: Nasser Hashemi

Sie alle agierten mitsamt des agil geführten Chores mit vokaler Brillanz und enormer Spielfreude inmitten der von Bühnenbildner Fabian Wendling einfallsreich entworfenen Spielorte und hatten ganz offenbar große Freude in und an den von Rebekka Dornhege Reyes so fantastisch gestalteten Kostümen. Anklänge an Obelix und Karlsson auf dem Dach waren da ebenso zu entdecken wie herrlich ausstaffierte Kunstfiguren und goldglänzende Garderoben, die inmitten von großflächigen Leuchtwänden geradezu blendend gewirkt und für ganz großes Theater gesorgt haben.

Davon ließ sich auch das Chemnitzer Publikum in der leider nicht ganz ausverkauften Premiere mitreißen, das zunächst etwas abwartend und irritiert, am Ende jedoch durchweg begeistert reagierte und ganz aus dem Häuschen gewesen ist. Sowohl die famose Musik von Bohuslav Martinů als auch der bizarre Bühnenzauber haben weit mehr als nur "drei Wünsche" erfüllt.

Weitere Vorstellungen: 24. November, 2., 15. und 22. Dezember 2023, außerdem am 12. und 30. Januar sowie am 27. März, 20. Mai und 18. Juni 2024 am Opernhus Chemnitz.

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 21. November 2023 | 09:10 Uhr

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