Deutschlandtournee Kyiv Symphony Orchestra als künstlerischer und politischer Botschafter

25. April 2022, 17:11 Uhr

Gute Nachrichten aus der Ukraine sind derzeit schwer zu bekommen. Seit Putins Angriffskrieg auf das Land gibt es von dort nichts Gutes zu berichten. Trauer, Leid und Schmerz füllen die Schlagzeilen. Für einen Lichtblick sorgt nun das "Kyiv Symphony Orchestra" denn es startet als Botschafter seines Landes eine Konzertreise nach Deutschland. Nicht trotz, sondern wegen des russischen Überfalls. Stationen der Tournee sind Dresden, Kiews Partnerstadt Leipzig sowie Berlin, Wiesbaden, Freiburg, Hannover und Hamburg.

"Ich werde die ukrainische Kultur unterstützen" – so stellt sich das Kyiv Symphony Orchestra in diesen Tagen gerne vor. Da klingt Nationalstolz mit, vor allem aber Widerstandskraft gegen einen Aggressor. Nicht zuletzt auch das ausgeprägte Kulturbewusstsein eines souveränen Landes, von dem in der Mitte und im Westen Europas viel zu wenig bekannt ist.

Das soll sich ändern, denn nun geht diese kraftvolle Stimme auf eine Deutschlandtournee, um sich und die ukrainische Musik vorzustellen. Obwohl das Orchester bereits seit vierzig Jahren besteht, ist es hierzulande kaum ein Begriff. Den ukrainischen Komponistinnen und Komponisten dürfte es nicht besser gehen.

Kyiv Symphony Orchestra 5 min
Bildrechte: Alina Harmash
5 min

Eine Konzertreise in Zeiten des Krieges: Das "Kyiv Symphony Orchestra" gastiert in doppelter Funktion als künstlerischer und politischer Botschafter in sieben deutschen Konzerthäusern. Doch die Zukunft bleibt ungewiss.

MDR KLASSIK Mo 25.04.2022 07:40Uhr 04:30 min

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Freude und Schmerz

Bei aller Vorfreude auf die Konzerte im Dresdner Kulturpalast, im Leipziger Gewandhaus, in der Berliner Philharmonie sowie in der Hamburger Elbphilharmonie und an weiteren Stationen – die Geigerin Elisabeth Zaitseva spricht aus, was jetzt wohl alle Orchestermitglieder denken:

Ich fühle eine große Freude, dass ich dabei sein darf, aber natürlich auch einen großen Schmerz. Denn ich würde diese Tournee viel lieber nicht wegen dieses Krieges machen. Umso mehr spüre ich die große Verantwortung, die Ukraine auch würdig zu präsentieren.

Elisabeth Zaitseva, Geigerin beim Kyiv Symphony Orchestra

Die junge Frau ist überzeugt, dass ihr Land gerade jetzt eine starke Präsenz auf der Weltbühne in den verschiedenen Bereichen der Kunst braucht. Schon Zaitsevas Eltern sind im Sinfonieorchester beschäftigt gewesen und auch ihre Zwillingsschwester ist auf dem Weg, die Musik zu ihrem beruflichen Lebensinhalt zu machen. Im Moment könne es aber nicht nur um musikalische und künstlerische Inhalte gehen, sondern die politische Botschaft müsse vornan stehen. Luigi Gaggero, seit 2018 Chefdirigent des Orchesters, sieht das ähnlich:

Die ganze Tournee hat natürlich eine starke symbolische Bedeutung, aber auch eine Bedeutung des Geistes. Gerade in einer so tragischen Situation ist die Rolle von Kunst und der Musik entscheidend.

Luigi Gaggero, Chefdirigent des Kyiv Symphony Orchestra

Der Italiener ist europaweit für seine vielseitige Verbindung von Alter und Neuer Musik bekannt und seit Jahren auch als Zimbel- und Schlagzeugspieler. Er betont noch einen anderen, ihm und dem Orchester sehr wichtigen Grund für diese Konzertreise:

"Einer der Ausgangspunkte dieses Krieges ist, dass Putin meinte, die Ukraine existiert grundsätzlich nicht. Aber wenn man die Kunst, die Geschichte und die Musik kennt, sieht man doch, dass dieses Repertoire eine sehr eigene Identität hat und dass es auch viele Kontaktpunkte zum europäischen Repertoire gibt – viel mehr, als man vielleicht denken könnte. In der Interpretation versuchen wir das zu betonen."

Konzertreise soll Europa bereichern

Auf dem Programm der Konzertreise durch sieben deutsche Städte stehen neben dem berühmten "Poème" des Franzosen Ernest Chausson (1855-1899) Werke von Maxim Berezovsky (1745-1777), Myroslav Skoryk (1938-2020) und Borys Ljatoschynskyj (1894-1968).

Elisabeth Zaitseva sieht in dieser Tournee, für die das Sinfonieorchester ausgiebig in Warschau proben konnte, eine gute Gelegenheit, die bislang in Westeuropa nahezu unbekannten ukrainischen Komponistinnen und Komponisten einem breiteren Publikum vorzustellen. "Wir haben wirklich eine sehr reiche und sehr schöne klassische musikalische Kultur. Ich glaube, diese Konzertreise wird sehr bereichernd für das deutsche, das polnische und überhaupt für das westeuropäische Kulturleben sein."

Derzeit absolviert sie ein Masterstudium im Fach Violine in Nürnberg. Für sie und für den italienischen Maestro Gaggero ist ein geeintes, offenes Europa längst schon eine gelebte Selbstverständlichkeit gewesen, die Putins Krieg nun wieder in Frage stellt und zerstört. Gaggero hebt das Verbindende hervor: "Ich bin in Italien aufgewachsen, habe in Deutschland studiert und ich unterrichte in Frankreich. Ich kann diese Erfahrungen mit nach Kiew bringen.

Aber zugleich lerne ich bei jeder Probe, bei jedem Konzert so viel von den Musikerinnen und Musikern dieses Orchesters, menschliche Qualitäten vor allem! Ich denke, das ist ein schönes Bild für Europa. Jedes Land bringt etwas, das die andere Länder nicht haben. Aber das Haus, das wir zusammen aufbauen, ist das gleiche Haus."

Europäische Werte dürfen nicht in Frage gestellt werden

Ein im Moment allerdings wieder dermaßen gefährdetes Haus, wie es bis vor kurzem kaum denkbar gewesen ist. Daher machen sich Luigi Gaggero und Elisabeth Zaitseva – bei aller Vorfreude auf diese Tournee – jetzt schon Gedanken um die weitere Zukunft. Der Chefdirigent kann sich nicht vorzustellen, die nur mit ausdrücklicher Genehmigung des ukrainischen Ministeriums für Kultur- und Informationspolitik sowie des Verteidigungsministeriums reisenden Musikerinnen und Musikern wieder in das bekämpfte Land zu schicken, bevor der Krieg nicht zu Ende ist.

Geigerin Zaitseva allerdings, die bis vor kurzem noch auf eine Stelle in einem deutschen Orchester gehofft hatte, betont ihr Bewusstsein als Ukrainerin: "Die Ukraine braucht jetzt ganz viele junge Musiker, die Erfahrungen aus westlichen Orchestern mitbringen. Vielleicht gehe ich nach meinem Studium zurück in die Ukraine, um eine feste Stelle in einem Kiewer Orchester zu bekommen. Denn ich will so viel wie möglich dazu beitragen, unsere Kultur zu stärken. Egal wie schwer die Umstände in meiner nun zerbombten Stadt mit den zerstörten Theatern sein wird. Aber ich werde die ukrainische Kultur unterstützen.“

Tourneedaten: 25.4. Kulturpalast Dresden
26.4. Gewandhaus zu Leipzig
27.4. Philharmonie Berlin
28.4. Kurhaus Wiesbaden
29.4. Konzerthaus Freiburg
30.4. Kuppelsaal Hannover
1.5. Elbphilharmonie Hamburg

Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 25. April 2022 | 07:40 Uhr

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