Gaststätte auf dem Land So kann die Gaststätte auf dem Dorf überleben

13. April 2024, 05:00 Uhr

Gaststätten in Dörfern haben über Jahrzehnte das Leben auf dem Land geprägt - als Treffpunkt für Nachbarn und Orte zum Feiern. Mittlerweile müssen immer mehr von ihnen schließen. Doch: In anderen Kneipen läuft das Bier und in der Küche dampfen die Töpfe. Woran liegt das?

Der Bottich steht auf einem Hocker. Gegen das Alu-Gefäß stemmt Heidrun Lippold ihre Hüfte und mit einem langen Holzlquirl rührt sie den dampfenden Kloßteig. "Das ist Hochleistungssport", feixt die 70-Jährige und lacht. Sie steht in der Küche in der Gaststätte "Zum Grünen Baum". Dort arbeitet sie seit 1978. An diesem Ostersonntag unterstützt sie ihren Sohn bei den Vorbereitungen zum Mittagsgeschäft. Während überall Kneipen schließen, läuft es in Bodelwitz bei Pößneck gut.

Eine Frau rührt Kloßteig.
Heidrun Lippold arbeitet mit 70 Jahren noch in der Gaststätte mit und rührt auch Kloßteig. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ich würde mich gern ein bisschen zurückziehen. Aber es ist definitiv keiner zu finden, der diesen Job macht.

Heidrun Lippold

Doch auch im "Grünen Baum" gibt es Sorgen: Personalmangel. "Ich würde mich gern ein bisschen zurückziehen. Aber es ist definitiv keiner zu finden, der diesen Job macht", sagt Heidrun Lippold. Schwiegertochter Tamara Lippold sagt: "Wir haben schon ganz viel gemacht." Anzeigen geschaltet, Freunde sagen es weiter. "Aber es hat einfach noch nie gepasst."

Deshalb muss die ganze Familie mit ran. Gastwirt Marcel Lippold wird neben seiner Mutter auch von Sohn Fabian und Tochter Mia-Jill unterstützt. Die 16-Jährige will den Laden später übernehmen: "Das ist schon ein Traum von mir." Denn es gebe eine lange Familientradition von elf oder zwölf Generationen.

Das Geschäft läuft gut. Der Ostersonntag ist einer der umsatzstärksten Tage des Jahres. Der große Gastraum in der Kneipe ist an diesem Tag komplett ausgebucht. Bodelwitz in Thüringen selbst hat 570 Einwohner. Doch die Gäste kommen auch aus dem Umkreis. "Dadurch, dass viele Mitbewerber das Handtuch geworfen haben, haben sich die Gäste teilweise auch umorientiert und wir haben einen Zuwachs", sagt Marcel Lippold.

Mit Corona begannen die Probleme

Mit Corona begannen die Probleme bei René und Mandy Colditz. Ihre Gaststätte in Jahnsdorf im Erzgebirge haben die Beiden Ende vergangenen Jahres geschlossen – diese war fast 120 Jahre in Familienbesitz. "Das war schon oft so, dass gerade am Wochenende bei uns ohne Reservierung gar nichts ging", sagt Mandy Colditz.

Durch die Pandemie kamen dann immer weniger Leute. Das Ehepaar nahm Kredite auf, insgesamt 50.000 Euro. Doch nach dem Ende der Corona-Maßnahmen kamen die Gäste nicht zurück. Nun stiegen auch noch die Energiepreise. "Ich hatte extreme Existenzängste. Muss ich ganz ehrlich zugeben", sagt René Colditz. Dann fassten sie den schweren Entschluss, den Familienbetrieb dicht zu machen.

So wie den Beiden erging es vielen Gastwirten. 2019 gab es in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen 14.400 Kneipen. Zwei Jahre später waren es nur noch 11.900. Jede fünfte war verschwunden – überdurchschnittlich viele davon im ländlichen Raum.

Ein Drittel der Kneipen im Kreis hat die Türen geschlossen

So wie etwa im Kyffhäuserkreis in Thüringen. Dort hat innerhalb von zwölf Jahren ein Drittel der Landgasthöfe dichtgemacht. Für das Leben auf den Dörfern ist das ein tiefer Einschnitt. In Holzsußra mit seinen 270 Einwohnern ist die Kneipe "Zum Urtal" die letzte im Umkreis. Auch diese Gaststätte wurde wegen Corona geschlossen. Doch: Alexander Stephani hat sie mit einer ungewöhnlichen Idee gerettet.

Während er am Zapfhahn steht und ein Bierglas füllt, sagt Alexander Stephani: "Wir wollten eigentlich, dass das eine normale Gaststätte wird, wo jeder hingehen kann, der Bock hat." Der 49-Jährige kennt die Kneipe seit seiner Kindheit.

40 Dorfbewohner schlossen sich seiner Idee an. Gemeinsam gründeten sie vor drei Jahren den Verein "Dorfleben Holzsußra w.V.". Um die Gaststube zu sanieren, zahlte jedes Mitglied 200 Euro in die Vereinskasse. Seitdem öffnen sie ihre Kneipe jeden Freitag. Alle Mitglieder packen mit an – jeder leistet mindestens zehn ehrenamtliche Stunden im Jahr.

Wenn die ganze Familie anpackt

An diesem Abend hat Alexander Stephani den Dienst hinter der Theke: "Es ist schon relativ schwierig, die Schichten einzuteilen. Heute hat es zum Beispiel nicht geklappt, dass ich hier mal stehen muss." Fast alle Gäste gehören zum Verein. "Das ist hier eine Gemeinschaft, wo ich sage: Hier fühle ich mich wohl", sagt eine Frau, die im Gastraum sitzt.

Alexander Stephani steckt als Vorsitzender fast seine gesamte Freizeit in die Vereinsarbeit. Nicht immer fällt ihm das leicht: "Irgendwer muss es machen. Und wenn es keiner macht, gibt es das nicht mehr." Doch viele Menschen zusammen erhielten das Projekt am Leben. Später setzt er sich mit an den Tisch zu den Gästen: "Na dann. Prost."

Eine Frau und ein Mann an einem Tresen.
Tamara und Marcel Lippold freuen sich über den Erfolg. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

In Bodelwitz hatte Familie Lippold die Preise erhöht – wie so viele Gastwirte. "Wir kennen die Gaststätte seit Jahren und wir kommen gerne her und da gucken wir auch nicht auf Euro mehr oder weniger", sagt einer der Gäste am Ostersonntag. Ein anderer: "Früher sind wir so für 40 oder 50 Euro essen gegangen. Jetzt zahlst du 60 bis 70. Das ist schon angezogen."

Der Ostersonntag war ein Erfolg für Familie Lippold. "Wir haben auf die Kasse geguckt. Das haut hin. Der Umsatz hat gepasst", sagt Marcel Lippold und lacht. Sie sind optimistisch, dass sie bestehen können – vorausgesetzt, sie finden endlich Personal.

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