Verfassungsschutz Gericht vertagt Urteil über AfD-Beobachtung
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13. März 2024, 19:58 Uhr
Das Oberverwaltungsgericht Münster berät weiter über Einstufung und Beobachtung der AfD als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus durch den Bundesverfassungschutz. Am Mittwoch fiel noch keine Entscheidung.
- Worum es in den drei Berufungsverfahren geht.
- Welche Folgen das Urteil für die AfD haben könnte.
- Wie es danach möglicherweise weitergeht.
Seit Dienstag berät das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster über die Einstufung und Beobachtung der AfD als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus – unter anderem vom Bundesverfassungschutz. Der 5. OVG-Senat hatte zwei Tage dafür angesetzt. Am Mittwoch fiel jedoch kein Urteil mehr. Die AfD-Anwälte stellten immer neue Anträge. Der Anwalt des Verfassungschutzes sprach von "Prozessverschleppung". Ob und wann die Verhandlung fortgesetzt wird, ließ das Gericht zunächst offen.
Die AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla waren mit Verweis auf die Sitzungswoche des Bundestags nicht in Münster erschienen. Zunächst waren die Termine dort für Ende Februar angesetzt. Mit ihrer Verlegung kam das OVG aber einem AfD-Antrag nach, da sie Unterlagen von Landesämtern für Verfassungsschutz erst im Januar bekam. Darum hatte sich das Gericht um zwei Wochen vertagt, weitere Verschiebungen aber abgelehnt.
Gleichwohl forderte dies der Anwalt der AfD am Dienstag erneut. Es sei unmöglich gewesen, seit Januar auf rund 4.200 Seiten und 116 Stunden Video einzugehen. Zudem wollte er unter anderem Einsicht in zwei Gutachten zur AfD aus Sachsen und Sachsen-Anhalt. Das und zwei erneute Anträge wegen Befangenheit gegen zwei der fünf Richter war aber schon zuvor erfolglos.
Worum es in dem Verfahren geht
Insgesamt geht es um drei Berufungsverfahren, die von der AfD gegen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts in Köln vom 8. März 2022 angestrengt wurden. Das Verwaltungsgericht hatte eine Klage der Partei gegen ihre 2019 erfolgte Einstufung erst als Prüf- und 2021 dann auch als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus abgewiesen, da es genug Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen gebe.
Das Stufenmodell des BfV Das Stufenmodell des Bundesamts für Verfassungsschutz sieht zuerst eine Einstufung als Prüf- und dann als Verdachtsfall vor, schließlich die Feststellung, dass eine Gruppierung als "gesichert extremistische Bestrebung" zu beobachten sei. In der ersten Stufe ist nur die Auswertung öffentlich zugänglicher Quellen erlaubt. Bei der AfD-Jugendorganisation, der Jungen Alternative (JA), ist das Bundesamt bereits auf der dritten Stufe angekommen. In dieser sind dem BfV alle geheimdienstlichen Mittel bei der weiteren Beobachtung erlaubt.
Daneben hatte das Kölner Gericht noch über drei weitere AfD-Klagen geurteilt, die in zwei Fällen zumindest teilweise Erfolg hatten. Dabei ging es um die Einstufung des sogenannten AfD-Flügels als Verdachtsfall und bald darauf als "gesichert extremistische Bestrebung" sowie um gleich lautende Einstufungen der AfD-Jugendorganisation, die Junge Alternative (JA).
Bestätigt hatte das Gericht die Einstufung des "Flügels" um Thüringens AfD-Chef Björn Höcke als Verdachtsfall, nicht aber die als "gesichert extremistisch" später, da sie nach der formalen Auflösung des "Flügels" unzulässig gewesen sei. Eine vierte AfD-Klage hatte Erfolg. Da war es aber nur um die öffentliche BfV-Mitteilung gegangen, dass der "Flügel" etwa 7.000 Mitglieder habe.
Die Klage gegen die JA-Einstufungen blieben jedoch erfolglos, weshalb nun das OVG entscheiden soll. Das VG Köln hatte geurteilt, dass die JA mit einem "völkisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff" ausländerfeindlich agitiere. So wurde sie 2019 als Verdachtsfall und 2023 als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft. Einen AfD-Eilantrag dagegen wies das OVG im Februar ab.
Grundlage all dessen ist das Bundesverfassungsschutzgesetz. Wie es auf Parteien und deren Organisationen anzuwenden ist, wird nach Angaben von OVG-Sprecherin Gudrun Dahme wichtiger Gegenstand der Verhandlung sein. Wegen ihrer Größenordnung und des großen Medienandrangs findet sie in einer Empfangshalle des Gerichts statt. Zuständig ist die Justiz in Nordrhein-Westfalen, weil der Bundesverfassungsschutz seinen Sitz in Köln hat.
Welche Folgen das Urteil haben könnte
Folgen dürfte das Urteil für das weitere Vorgehen des Verfassungsschutzes haben und so natürlich auch für die AfD, denn im Verdachtsfall dürfen gegen die Partei auch geheimdienstliche Mittel eingesetzt werden, Observationen etwa oder der Einsatz von verdeckten, sogenannten V-Leuten.
Dass sich die AfD dagegen juristisch wehrt, hat auch keine aufschiebende Wirkung. Das heißt, der Verfassungsschutz kann solche Mittel bereits jetzt nutzen, um herauszufinden, ob sich der Extremismus-Verdacht erhärtet.
Ob das Bundesamt seit März 2022 von seinen Möglichkeiten tatsächlich Gebrauch gemacht hat, ließ die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine AfD-Anfrage im Bundestag offen: "Die erbetenen Informationen berühren derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass auch das geringe Risiko eines Bekanntwerdens nicht hingenommen werden kann."
Keinen Einfluss hat die erwartete Entscheidung auf die Einstufung der AfD-Landesverbände als "gesichert rechtsextremistisch" durch die Landesämter für Verfassungsschutz in Sachsen, in Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Im Fokus steht die erwartete Entscheidung allerdings auch wegen ihrer möglichen Signalwirkung auf die Debatte um ein Verbotsverfahren gegen die AfD und ihrer Nachwuchsorganisation.
Zudem könnte eine Bestätigung der vorherigen Entscheidungen alte Grabenkämpfe zwischen dem Teil der Partei, der auf Mäßigung drängt, und dem vor allem im Osten stärkeren radikaleren Teil wieder aufbrechen.
Auch einige andere rechte Parteien in Europa, mit denen die AfD im Europäischen Parlament kooperieren möchte, dürfte der Ausgang des Verfahrens in Deutschland interessieren.
Wie es danach weitergehen könnte
In dem schon seit 2019 andauernden Konflikt zwischen der AfD und dem Bundesverfassungschutz ist das OVG in Münster nun die letzte sogenannte Tatsacheninstanz. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig könnte nur noch reine Rechtskontrollen vornehmen, aber keine inhaltlichen. Lediglich das Bundesverfassungsgericht könnte danach noch angerufen werden.
Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" arbeitet derweil der Bundesverfassungschutz an einem Gutachten zur möglichen Einstufung der gesamten AfD als "gesichert extremistische Bestrebung". Allerdings wollte das Bundesamt die Entscheidung aus Münster abwarten. BfV-Präsident Thomas Haldenwang hatte indes auch öffentlich schon erklärt, dass er die Partei auf einem kontinuierlichen Weg "nach rechtsaußen" sehe.
Sollte die AfD insgesamt als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft werden, könnte das auch Auswirkungen auf Amtsträger haben, die AfD-Mitglieder sind, etwa für Richter oder auch Angestellte im öffentliche Dienst, die zu besonderer Verfassungstreue verpflichtet werden können.
Am Verwaltungsgericht Köln hatte Richter Michael Huschens zur Begründung seiner angefochteten Entscheidungen den Verfassungsschutz als eine Art von "Frühwarnsystem" bezeichnet und gesagt: Eine wehrhafte Demokratie dürfe nicht abwarten, bis "das Kind in den Brunnen gefallen" sei.
MDR AKTUELL (ksc), mit dpa, AFP
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 14. März 2024 | 09:10 Uhr