Dietmar Bartsch
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Unter der Lupe – die politische Kolumne Die Linke und ihre Angst vor dem freien Fall

19. November 2023, 05:00 Uhr

Die Trennung von Sahra Wagenknecht hat die Linkspartei tief in die Krise gestürzt. Die Bundestagsfraktion zerfällt, die Bundespartei steht vor einem Scherbenhaufen. Beim Europaparteitag in Augsburg versucht die Parteispitze, die Delegierten wachzurütteln für einen Neuanfang. Doch die Stimmung unter den Delegierten ist eher düster.

Die Luft ist raus. Über den Delegierten in Augsburg liegt eine bleierne Schwere. Der Phantomschmerz wirkt nach, fast 100 Delegierte fehlen. Manche streitbare Gesichter sind von heute auf morgen verschwunden. Kein Zerfleischen mehr auf offener Bühne, keine leidigen Personaldebatten. Das dürften einige Linke erst einmal als wohltuend und befreiend empfinden. Doch das Wiederaufstehen scheint mühsam. Die Angst, in der politischen Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, ist spürbar.

Die Linke sucht eine inhaltliche Neuaufstellung. Die Wiederbelebungsversuche der Parteispitze wirken dabei noch bemüht. Der meist zitierte Mann auf dem Parteitag in Augsburg ist schon lange tot. Seine Worte aber hallen nach. Den beiden Bundesvorsitzenden, Janine Wissler und Martin Schirdewan, helfen seine Zitate beim Wunden lecken.

Mit Brecht aus dem Trauermodus

Bertolt Brecht ist allgegenwärtig in der Messehalle am Rande der Stadt. Immerhin wurde der berühmte Dramatiker und Schriftsteller auch in Augsburg geboren. Seinerzeit ein Streiter für die Ausgebeuteten und Entrechteten. Ein linker Vordenker. Jetzt sollen seine Worte die Delegierten zum Neuaufbruch bewegen. Etwa die Parabel vom Herrn Keuner, der bei Brecht einst erblasste, weil er sich nicht verändert hatte.

Mehr Mut zur Veränderung ruft Wissler den Delegierten zu. Und Schirdewan zitiert diesen Satz von Brecht: "Wenn ein Freund weggeht, dann muss man die Türe schließen, sonst wird es kalt." Wissler und Schirdewan erklären die Trauerzeit für beendet. Ihre Botschaft. "Die Linke ist wieder da." Nochmal soll Brecht helfen: "Wer kämpft kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren." Doch zum Blick nach vorn gehört auch eine schonungslose Analyse. Das übernimmt Dietmar Bartsch.

Bartsch: Partei ist am Ende - keine Zeit für Ausreden

Der Noch-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag spricht aus, was keiner wirklich hören mag. "Die Bundestagsfraktion ist politisch und organisatorisch am Ende." Der Auflösungsprozess wurde bereits eingeläutet. "Im Frühjahr ist Schluss." Bartsch führt den Delegierten die bittere Wahrheit nochmal klar vor Augen. Dann werde es keine Partei mehr geben, die sich im Bundestag für soziale Gerechtigkeit stark machen kann. Das heißt: Keine Anfragen mehr an die Bundesregierung. Kein Geld mehr. 100 Mitarbeiter müssten entlassen werden. Die Anerkennung als Gruppe liege dann nicht mehr in den Händen der Linkspartei.

Für den Linksfraktionschef liegen die Gründe auf der Hand: "Schluss mit der lähmenden Selbstbeschäftigung", ruft er den Delegierten zu. Die Linke müsse wieder als echte Programmpartei wahrgenommen werden. "Die Zeit der Ausreden ist vorbei…" Bartsch fordert mehr Kompromisse. "Lieber mit 28 einig, als mit 38 zerstritten." Doch das ist leichter gesagt, als getan. Das hat er in stundenlangen Diskussionen mit Sahra Wagenknecht und den ehemaligen Bundesvorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger oft genug selbst erlebt. Die Häutung der Linkspartei könnte noch schmerzhaft werden. Darauf gibt der Parteitag in Augsburg einen Vorgeschmack.

Hoffnungsträger sind Carola Rackete und Bodo Ramelow

Die Flüchtlings-Aktivistin Carola Rackete soll die Linke bei der Europawahl zum Erfolg führen. Als Seenotretterin hat Rackete ein klares Profil, das nicht jedem in der Partei gefällt. Vor allem bei den Pragmatikern im Osten gibt es Fragezeichen, ob Rackete auch die Wähler im Osten abholen kann. Ihre eher links-grünen Positionen dürften in Sachsen oder Thüringen weniger verfangen. Hier heißt die Konkurrenz AfD. Und das Thema ist die Flüchtlingspolitik.

Das treibt auch den linken Ministerpräsidenten aus Thüringen um. Bodo Ramelow ist nach Augsburg gereist, um zu den Delegierten zu sprechen. Bodo hier, Bodo da. "Der Bodo hat unseren ganzen Rückhalt", ruft Bartsch von der Bühne und Schirdewan verspricht in Augsburg: "Diese Partei wird geschlossen dafür kämpfen, den einzigen linken Ministerpräsidenten zu verteidigen."

So offen wurde Ramelow auf Linksparteitagen nicht immer angepriesen. Es gab auch Zeiten, als er aus den eigenen Reihen für seine Flüchtlingspolitik angefeindet wurde, weil er als Ministerpräsident eben auch mal unbequeme Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz umsetzen musste. Jetzt brauchen sie ihn mehr denn je, vor allem seinen Erfolg bei der Landtagswahl im kommenden Jahr. Die Realpolitiker im Osten drängen wohl auch deshalb in Augsburg auf mehr Mitsprache in der Partei. 

Die Ostlinken machen Druck

Das heißt für die "neue" Linke: Wieder ran an die Lebenswirklichkeit der Menschen im Osten. Die Linkspartei werde wieder der Anwalt der Ostdeutschen sein, kündigt Bartsch an und fordert 14 Euro Mindestlohn jetzt. Gleiche Löhne, keine neue Forderung der Partei. Vielmehr die Botschaft: Machen - nicht reden. So haben sie jahrelang den Protest in Ostdeutschland aufgefangen, bis die AfD kam. "Der Osten ist die Herzkammer der Linken", sagt Bartsch. Aus den Westverbänden bekommt er dafür nicht nur Applaus. Das sei nicht gegen den Westen gerichtet, fügt er schnell hinzu. "Wenn wir im Osten erfolgreich sind, können wir auch im Westen wieder punkten."

Die Landesverbände in Ostdeutschland mahnen zur Geschlossenheit und zu einer Politik des Machbaren. "Ich wollte mit Euch heute mal über die Umverteilung von Vermögen reden", beginnt Ramelow seine Rede in Augsburg. Er spricht von Krankenhäusern, die nicht an die Börse gehören und davon, dass Bildung und Betreuung kostenlos sein müsse. Es brauche eine Linke, die kraftvoll an der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steht. Das war zu erwarten. Doch die wichtigste Botschaft kommt fast beiläufig daher. Mit Blick auf das Ausscheiden der Linkspartei bei der Hessen-Wahl Anfang Oktober sagt Ramelow, er wolle keine weiteren Landtagswahlen erleben, wo die Linke aus dem Parlament fliegt. Es brauche keine "Egotreiber", sondern manchmal einfach nur eine "zupackende Opposition".

Von Sahra Wagenknecht spricht Ramelow nicht. Überhaupt fällt der Name in Augsburg selten. Bodo Ramelow heißt der Strohhalm der Linkspartei. Das rettende Ufer ist allerdings noch weit entfernt. Die Voraussetzungen sind nicht die besten. Schwierige Mehrheitsverhältnisse zeichnen sich in Thüringen schon jetzt ab. Die Abspaltung des Wagenknecht-Lagers macht es noch komplizierter. Weitere Querschüsse aus den eigenen Reihen kann sich die Linke deshalb gerade jetzt nicht mehr leisten. 

MDR AKTUELL

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 18. November 2023 | 19:30 Uhr

14 Kommentare

Reuter4774 vor 24 Wochen

Der Absturz ist doch vorprogrammiert. Und mit der Ernennung von C. Rackete ist die Abgrenzung zu den Ostverbänden doch klar besiegelt. Es gibt keinerlei Einsicht in die reale Lebenswelt der Bürger, mit Ausnahme von Hr. Bartsch und Hr. Ramelow. Und die werden die Nächsten fürs Parteiausschlussverfahren werden. Beliebte Personen mögen die restlichen ( unbekannten) Linken nämlich nicht.

Ilse vor 24 Wochen

Nun die sogenannte Linke sollte hoffen, das Merz/Linnemann schnellstens in ein Bundesamt kommen, die dort u.a. Arme verstärkt bekämpfen würden, ähnlich wie seinerzeit Schröder/Scholz/Steinmeier. Solche Leute sind eigentlich die wahren Patriarchen der sogenannten Linken, die Ihnen den Sprung über 5% ermöglicht. Man sollte ihnen auf allen Parteitagen in Ehrfurcht gedenken u. ihnen Bewunderung zollen, wenn man die eigene Vollversorgung im Focus hat

Frank 1 vor 24 Wochen

Wieso Angst vor dem freien Personal? Der hat doch schon lange eingesetzt. Nur mit dem gebrauchten Personal das ihn verursacht hat wird er nicht beendet werden können. Nur wuschteln die eben weiter, ohne Ideen, ohne Visionen die den aktuellen Herausforderungen gerecht werden.

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