Das Bild zeigt eine Karte von Mitteldeutschland. Die Landkreise sind in verschiedene Blautöne eingefärbt. Je dunkler die Farbe ist, desto weniger Azubis gibt es auf Ausbildungsstellen
Was schlecht für die Betriebe ist, ist gut für die Bewerberinnen und Bewerber: In vielen Kreisen können sich Azubis ihre Stelle beinahe aussuchen. Bildrechte: MDR Aktuell

Ausbildungsjahr In diesen Landkreisen haben Azubis die besten Chancen

19. Juni 2023, 12:53 Uhr

Der Fachkräftemangel ist in Deutschland gerade allgegenwärtig. Und er dürfte sich weiter verschärfen. Das lassen die Ausbildungsmarkt-Zahlen der Bundesagentur für Arbeit vermuten: Es fehlen gebietsweise immer mehr junge Menschen in der Ausbildung, viele Stellen können nicht besetzt werden. In unserer interaktiven Grafik sehen Sie, wie die Situation in Ihrem Kreis ist.

Lukas Hillmann
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Deutschland leidet unter dem Fachkräftemangel. Dieser wirkt sich bereits jetzt in vielen Bereichen auf den Alltag aus. Überall, wo Menschen arbeiten, kommt es zu Verzögerungen, Ausfällen, Wartezeiten – einfach, weil zu wenige Fachkräfte die Auftragslage stemmen müssen.

Und das Problem könnte sogar noch größer werden. Das legen jedenfalls die Arbeitsmarktzahlen nahe: Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente, zu wenige junge Menschen kommen neu auf den Arbeitsmarkt. Laut Bundesagentur für Arbeit waren im Mai noch 275.000 Stellen für das im Herbst startende Ausbildungsjahr unbesetzt.

Nicht alle Azubis werden erfasst

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) erfasst in ihren Daten zum einen die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber, die nicht selbstständig eine Ausbildungsstelle gefunden haben und nun die Ausbildungsvermittlung der Arbeitsagentur in Anspruch nehmen. Zum anderen erfasst die BA die Zahl der freien Ausbildungsstellen, die von den Betrieben gemeldet werden. Es geht in der Statistik um Ausbildungsstellen, die im Herbst, zumeist im September, angetreten werden müssten und um Bewerberinnen und Bewerber, die zum gleichen Zeitpunkt anfangen wollen.

Nicht berücksichtigt werden dabei die Bewerberinnen und Bewerber, die selbst bereits eine Stelle gefunden haben, beziehungsweise die Stellen, die die Betriebe schon selbst besetzen konnten oder voraussichtlich besetzen können werden. Die Statistik gibt also nur einen Ausschnitt der Lage auf dem Ausbildungsmarkt wieder.

Die Situation in Deutschland

Den im Mai noch unbesetzten 275.000 Ausbildungsstellen standen 166.000 Bewerberinnen und Bewerbern gegenüber, die bisher noch keine Ausbildungsstelle gefunden haben – von insgesamt 350.000. Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der BA, sagte im Interview mit MDR Aktuell, dass bis zum Ausbildungsstart noch viele Stellen besetzt würden. Im Laufe des Sommers sinken die Zahlen demnach erfahrungsgemäß, bis im September schließlich ein Gesamtbild erkennbar ist.

Im Mai 2022 waren ebenfalls noch rund 275.000 Ausbildungsstellen unbesetzt. Bis September 2022 sank diese Zahl immerhin noch auf rund 69.000.

Der Mangel vergrößert sich

2022 war nicht das erste Jahr, in dem die Anzahl der Ausbildungsstellen größer war als die der Bewerberinnen und Bewerber. Gab es bis 2015 noch mehr Azubis als Stellen, ist seitdem eine Umkehr zu erkennen. Erst waren die Zahlen ungefähr gleich, seit 2018 hat es Jahr für Jahr eindeutig zu wenige Bewerberinnen und Bewerber für zu viele freie Stellen gegeben. Fitzenberger erkennt den Beginn des Wandels bereits ab 2011. Der Ausbildungsmarkt habe sich von einem Anbietermarkt zu einem Bewerbermarkt gewandelt, sagt der Arbeitsmarktforscher. In der Praxis bedeutet das, dass sich nun die Bewerberinnen und Bewerber ihren zukünftigen Arbeitgeber aussuchen können – und nicht umgekehrt.

Zudem habe die Corona-Pandemie den Effekt verstärkt, erklärt Fitzenberger. Das lässt sich auch in den Zahlen erkennen: 2020 standen weniger Ausbildungsstellen zur Verfügung und es suchten auch weniger Bewerberinnen und Bewerber einen Platz. Während sich die Zahl der Ausbildungsstellen jedoch wieder erholte, knickt die Kurve bei den Bewerberinnen und Bewerbern aktuell weiter ein. "Mit der Krise kam noch hinzu, dass Jugendliche deutlich unsicherer sind und sich schwerer tun, einen konkreten Berufswunsch zu formulieren", sagt Fitzenberger. Die Corona-Pandemie wirkt sich hier also nachhaltig negativ aus.

Es ist absehbar, dass auch dieses Jahr wieder viele Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben werden. Die Situation ist dabei in den einzelnen Ländern unterschiedlich, jedoch sieht es für die Bewerberinnen und Bewerber besser aus als für die Betriebe. In fast allen Bundesländern gibt es mehr Ausbildungsstellen als Bewerberinnen und Bewerber. Einzig in Berlin ist die Situation umgekehrt. Hier kommen auf 100 Ausbildungsstellen aktuell 117 Bewerberinnen und Bewerber.

Große Unterschiede in Mitteldeutschland

Schaut man sich die Situation in Mitteldeutschland an, zeigt sich ein ambivalentes Bild. In der interaktiven Grafik können Sie sehen, wie die Zahlen in ihrem Kreis aussehen. Dargestellt wird, wie viele Bewerberinnen und Bewerber in den Kreisen und Städten auf 100 Berufsausbildungsstellen kommen – Stand Mai 2023.

In Sachsen sieht es für die Betriebe gar nicht so schlecht aus: Im Kreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge kommen auf 100 Stellen sogar 132 potenzielle Azubis.

In Thüringen ist die Lage dagegen eine ganz andere. Im Eichsfeld kommen auf 100 Stellen nur 34 Bewerberinnen und Bewerber. Nordthüringen hat daher im letzten Jahr den "Tag in der Praxis" eingeführt. Jugendliche gehen für ein Viertel Jahr einen Tag pro Woche in einen Betrieb und wechseln diesen dann. Sie erhalten Einblicke in die Arbeit von vier Betrieben, was ihnen bei der Berufsorientierung helfen soll. Laut der Agentur für Arbeit Thüringen Nord beteiligten sich immer mehr Unternehmen an dem Projekt. Andere Kreise hätten Interesse angemeldet.

Grund für den Rückgang der Bewerbungen sei vor allem die Demografie, sagt Fitzenberger. "Die Zahl der jungen Menschen, die aus den Schulen kommen und im Arbeitsmarkt eine Ausbildungsstelle suchen, ist sehr gering. Das liegt am Geburtenrückgang, der nach der Wiedervereinigung eingetreten ist. Die Alterung der Erwerbstätigen verstärkt den Effekt."

Wie aussagekräftig sind die Zahlen?

Die Bundesagentur für Arbeit kann nur Zahlen sammeln, die ihr gemeldet werden. Wenn Azubis keine Hilfe in Anspruch nehmen, tauchen sie nicht auf. Gleiches gilt für Unternehmen, die ihre Ausbildungsstellen selbst besetzen. Die Dunkelziffer könnte daher höher liegen.

Eine weitere Schwierigkeit ist die Verzerrung: Die Statistik neigt sich immer in eine Richtung. Gibt es besonders viele potenzielle Azubis und nur wenige freie Ausbildungsstellen, werden mehr junge Menschen die Ausbildungsvermittlung in Anspruch nehmen und in der Statistik auftauchen. Unternehmen melden ihre freien Ausbildungsstellen dagegen weniger, weil sie mit höherer Wahrscheinlichkeit auch ohne Hilfe der BA besetzt werden.

Aktuell ist es genau anders herum. Die Zahl der potenziellen Azubis ist also wahrscheinlich höher als in der Statistik angegeben.

Kreative Unternehmen

Trotz statistischer Unschärfen sind die Zahlen eindeutig: Dem Arbeitsmarkt fehlen junge Menschen. Das haben die Betriebe natürlich längst gemerkt. Sie versuchen nun, neue Wege zu erschließen, um den wenigen Nachwuchs für sich zu gewinnen. Sie holen die Jugendlichen auf TikTok ab, sind im Internet präsent und locken mit attraktiven Angeboten – mit weit mehr als nur höheren Löhnen.

Und gleichzeitig versuchen sie, Menschen zu gewinnen, die bisher noch keine Ausbildung machen konnten. Das Uniklinikum Leipzig bietet zum Beispiel die Pflegeausbildung zukünftig in Teilzeit an. Das kann eine echte Chance sein – nicht nur für Menschen, die wenig Zeit haben, weil sie eigene Kinder haben oder Angehörige pflegen. Sondern auch für die Unternehmen, die wieder mehr junge Menschen für sich gewinnen könnten.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 19. Juni 2023 | 06:00 Uhr

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