Blick auf das Thermostat einer Heizung in einer Wohnung. 5 min
Viele Mieter und Unternehmen, die mit Fernwärme heizen, sehen sich mit enormen Nachzahlungen konfrontiert. Wie Verbraucher reagieren können? Hier gibt es Tipps von der Verbraucherzentrale. Bildrechte: picture alliance / dpa-Zentralbild | Stephan Schulz

120 Anbieter im Vergleich Fernwärme: Preisunterschiede von bis zu 1.000 Prozent

24. März 2024, 16:00 Uhr

120 Fernwärmeversorger im Preisvergleich, das bietet nun eine Datensammlung von Werner Siepe. Darin belegt der Volkswirt auch Preisunterschiede in den vergangenen Jahren von bis zu 1.000 Prozent. Der Grund liegt in verschiedenen Faktoren in komplizierten Preisformeln, die die Anbieter zur Berechnung heranziehen.

Die  Fernwärme soll bei der geplanten Wärmewende der Bundesregierung eine wesentliche Rolle spielen. Doch immer öfter beschweren sich Kunden von Fernwärmeanbietern über exorbitante Preissteigerungen und extrem hohe Nachzahlungsforderungen, so dass das Vertrauen in die Fernwärme sinkt. Das Problem:  Kaum einer versteht das komplexe System, nach dem der Preis berechnet wird. Etwas, was den Kunden bisher ebenso fehlte, ist ein Vergleichsportal, wie es dieses beispielsweise auf dem Strom- oder Gasmarkt gibt.

Finanzmathematiker erstellt Vergleichsportal für Fernwärme

Einer der sich durch die komplizierten Preisformeln verschiedener Fernwärme-Anbieter gekämpft hat, ist der Volkswirt und Finanzmathematiker Werner Siepe. Der Pensionär aus Erkrath-Hochdahl bei Düsseldorf beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit Themen rund um Renten und Immobilien und hat dazu Bücher veröffentlicht. Nun hat er sich wider Willen auf dem Gebiet der Fernwärme zum Fachmann entwickelt. Der Hintergrund: Der Finanzmathematiker heizt selbst mit Fernwärme.

Werner Siepe
Volkswirt Werner Siepe handelte aus eigener Betroffenheit: Er wollte wissen, wie die vierstellige Nachzahlung berechnet wurde, die er begleichen sollte. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Als sein Versorger vierstellige Nachzahlungen forderte, arbeitete er sich ins Thema ein. "Die Anbieter arbeiten mit kaum verständlichen Preisformeln, so dass eigentlich niemand wirklich nachvollziehen kann, wie eine Rechnung zustande kommt", so Siepes Einschätzung. Es werde zum Beispiel auf völlig unübliche Preisindizes zurückgegriffen, sie würden zudem willkürlich ausgewählt und auch unterschiedlich gewichtet. Dies sei ein wesentlicher Grund für die großen Preisunterschiede zwischen den Anbietern.

Siepe hat insgesamt 120 Fernwärmeanbieter miteinander verglichen. Der Markt sei damit zwar nicht vollständig abgebildet, so der Finanzmathematiker, er habe aber versucht, eine möglichst repräsentative Auswahl zu treffen. So sind, seinen Angaben zufolge, die größten Unternehmen wie Vattenfall Berlin, EnBW Stuttgart, Mainova Frankfurt, Rheinenergie Köln oder die Stadtwerke München dabei. Hinzu kommen 90 mittlere und kleine Versorgungsgebiete bis hin zu Nahwärmenetzen.

1.038 Prozent Preisunterschied im Jahr 2022

Im Jahr 2022 ergab sich, nach der Analyse von Siepe, der größte Preisunterschied zwischen den Fernwärmeanbietern. So lagen im Oktober 2022 die günstigsten Anbieter für Privatkunden noch bei 3,7 Cent pro Kilowattstunde, während die teuersten zwischen 39 und 42 Cent verlangten. Der Preisunterschied zwischen dem günstigsten, die Stadtwerke Eisenhüttenstadt, und dem teuersten Anbieter, Avacon Natur in der Stadt Gommern bei Magdeburg, lag somit bei 1.038 Prozent.

Auch 2023 gab es große Preisunterschiede. Zwischen dem günstigsten und teuersten lag dieser bei 418 Prozent. Allerdings hatte die Bundesregierung in diesem Jahr für Fernwärmekunden eine Preisbremse von 9,5 Cent eingeführt. Alles, was darüber lag, zahlte dann der Steuerzahler.

2024: Heizkosten bis zu 500 Euro im Monat

Auch im ersten Quartal 2024 sei der Preisunterschied bei Fernwärme-Versorgern, so Siepe, nach wie vor hoch. Zwischen dem günstigsten Anbieter, wieder die Stadtwerke Eisenhüttenstadt mit etwa 4,3 Cent und dem teuersten, Hansewerk Natur in Bad Malente mit mehr als 30,5 Cent, liegt dieser konkret bei 608 Prozent.

Der Finanzmathematiker hat diese hohen Arbeitspreise mal für ein typisches Einfamilienhaus mit 120 Quadratmetern Wohnfläche durchgerechnet: "Nehmen Sie das Beispiel Hanau. Die dortigen Stadtwerke verlangen bis Ende März einen Arbeitspreis von knapp 29 Cent pro Kilowattstunde einschließlich Mehrwertsteuer. Damit liegen sie in meiner Übersicht auf Platz 2 der teuersten Anbieter. Für ein Einfamilienhaus liegen die Heizkosten – ohne Warmwasser – dann schon bei 498 Euro. Im Monat! Ab April senken die Stadtwerke Hanau den Arbeitspreis deutlich. Trotz der wieder auf 19 Prozent steigenden Mehrwertsteuer wird der Arbeitspreis dann nur bei rund 19 Cent pro Kilowattstunde liegen. Die monatlichen Heizkosten sinken dadurch auf 342 Euro."

Politischer Druck auf Versorger muss steigen

Auch wenn ein Wechsel zur Konkurrenz derzeit technisch unmöglich ist, seien solche Preisvergleiche wichtig, so Siepe. Damit könne der politische Druck auf die Versorger, die ja auch oft in kommunaler Hand seien, steigen. Der große Spielraum bei der Preisgestaltung müsse für die Anbieter begrenzt werden, um solche Preisausreißer nach oben einzudämmen. 

Siepe ist mit seiner Preisanalyse dem Vorhaben der Fernwärmelobby zuvorgekommen. Denn auch die Arbeitsgemeinschaft Fernwärme (AGFW) hatte für das Frühjahr eine Plattform angekündigt, auf der die Versorger ihre Preise veröffentlichen werden. In der AGFW ist ein großer Teil der Versorger Deutschlands zusammengeschlossen. Die geplante Plattform soll einen Überblick über 150 Netze bieten. "So eine Preisübersicht hätte schon vor Langem für die Öffentlichkeit bereit stehen müssen und nicht erst jetzt, wo auch der politische Druck immer mehr wächst", kritisiert Siepe. Und ob auch die besonders teuren Anbieter in der Übersicht der Fernwärmelobby enthalten sein werden, darauf ist er gespannt.

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MDR (cbr)

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