Grundsteuer - Finanzamt
Eine Mitarbeiterin des Finanzamt Erfurt telefoniert an der Grundsteuer-Hotline. Bildrechte: picture alliance/dpa | Martin Schutt

Steuergewerkschaft Einsprüche gegen Grundsteuer verzögern Steuerbescheide

06. August 2023, 05:00 Uhr

Finanzämter brauchen aktuell teils doppelt so lange für die Bearbeitung von Steuererklärungen im Vergleich zu den Vorjahren. Die Steuergewerkschaft sieht als einen Grund dafür die zahlreichen Einsprüche gegen die Grundsteuer. Gewerkschaftsvorsitzender Florian Köbler kritisierte, hochqualifiziertes Personal werde bereits für die Grundsteuererklärung abgezogen. Dabei würden sie dringend im Kampf gegen Steuerhinterziehung gebraucht.

MDR AKTUELL: Was genau dauert denn da im Moment so lange und für welche Steuerbescheide gilt das? Wen betrifft das?

Florian Köbler: Es ist richtig, die Steuererklärungen brauchen in den Finanzämtern ein bisschen länger. Es geht konkret um die Einkommenssteuerbescheide, die umgangssprachlich auch gerne mal als Lohnsteuerjahresausgleich bezeichnet werden. Das trifft die Bürger, die entweder Geld vom Finanzamt zurück haben wollen oder verpflichtet sind, ihre Einkommenssteuererklärung abzugeben.

Das heißt, das betrifft Selbstständige genauso wie Arbeitnehmer?

Es betrifft im Moment tatsächlich jeden. Jeder Bürger muss dieses Jahr wahrscheinlich ein klein wenig länger auf seine Einkommenssteuererklärung warten. Es sei denn, es ist ein sogenannter Autofall – das heißt, der Fall wird vollkommen automatisch vom Computer bearbeitet. Aber das ist im Moment noch sehr, sehr stark die Ausnahme.

Von welchem Zeitraum reden wir denn hier?

Ich gehe davon aus, dass die durchschnittliche Wartezeit in Deutschland etwa zwei bis drei Monate dauert. Man kann eigentlich fast von einer Verdoppelung im Gegensatz zu den Vorjahren sprechen.

Ist das ein bundesweites Problem? Oder gibt es da auch Unterschiede von Bundesland zu Bundesland?

Es gibt Unterschiede bei den einzelnen Bundesländern, das liegt historisch an den unterschiedlichen Personalständen. Aber das Problem zieht sich insgesamt wirklich durch jedes Bundesland durch.

Jetzt gab es ja für die Bürger beim Start der Grundsteuer schon erhebliche Probleme. Die setzen sich jetzt offenbar fort, weil kein Personal da ist. Oder was ist der Grund?

Es gibt im Grunde genommen drei Ursachen, warum die Einkommenssteuererklärungen jetzt länger dauern. Erstens ist es so, dass die Steuerverwaltung leider historisch einen sehr schlechten Personalstand hat. Genau dieser Personalstand spitzt sich jetzt zu. Warum? Weil wir mit einem eklatanten Fachkräftemangel zu kämpfen haben. Wir haben einige Bundesländer, in denen es nicht mehr gelingt, die Leute, die in Pension gehen, zu ersetzen.

Zweite Ursache ist: Es gab wegen der Corona-Pandemie Fristverlängerungen und diese Fristverlängerungen kumulieren jetzt zu einem gewaltigen Arbeitsaufwand. Die dritte Ursache – Sie haben es genannt – ist auch in der Grundsteuer-Reform zu suchen. Hier sind es zum einen die Erklärungen, die abzuarbeiten sind. Aber es sind vor allen Dingen diese unglaublichen Mengen an Einsprüchen. Ich habe da schon öfter von einem Einspruchs-Tsunami gesprochen, der regelrecht auf die Ämter eintrifft.

Es ist leider so, dass jeder Vierte, Fünfte mittlerweile einen Einspruch einlegt und das Ganze vollkommen sinnlos. Man muss eigentlich sagen: Es bringt gar nichts, einen Einspruch einzulegen. Denn Fakt ist eins: Es wird kein Verfassungsgericht die Grundsteuer für von Anfang an nichtig erklären. Ansonsten wären die Städte und Kommunen pleite.

Das heißt jetzt eine Verdopplung der Wartezeit von anderthalb auf drei Monate. Manch einer redet davon, dass die deutsche Finanzverwaltung da kurz vor dem Kollaps steht. Wie weit sind wir denn davon noch entfernt?

Ich sage mal so: Wir werden es schon irgendwie schaffen. Aber die Szenarien kurz vor dem Kollaps, das bezeichnet natürlich vor allen Dingen eine Sache: Wir geben mehr oder weniger die Steuergerechtigkeit auf. Das heißt, die Prüfungsintensität sinkt vor allen Dingen bei den Betriebsprüfungen und Außendiensten.

Es ist mittlerweile so, dass in fast jedem Bundesland Betriebsprüfer, Fahnder abgezogen werden und mit dieser Grundsteuererklärung zum Teil betraut sind, mit einem Erfassen von Einsprüchen und so weiter. Man muss hier wirklich sagen: Das ist Perlen vor die Säue werfen, das sind bestens ausgebildete Kolleginnen und Kollegen, und die müssen jetzt diese Grundsteuererklärung irgendwie wuppen.

Das Problem ist, dass das Geld eigentlich anderswo auf der Straße liegt. Wir sprechen hier von Steuerhinterziehung fast im dreistelligen Milliardenbereich, alleine zum Beispiel in den bargeldintensiven Bereichen 15 Milliarden jedes Jahr Steuerhinterziehung. Und wir haben eine unglaubliche Umsatzsteuerlücke in Deutschland.

Das heißt, das Personal könnte an anderer Stelle betriebswirtschaftlich viel, viel effektiver und besser eingesetzt werden als mit der Bearbeitung der Grundsteuererklärung und von daher meine Bitte wirklich an die Bürger: Hört auf, diese Einsprüche einzulegen. Sie sind vollkommen sinnlos. Sie bringen nichts, und sie halten im Grunde genommen die Steuerverwaltung von dem ab, wofür sie da ist, für Steuer, Gerechtigkeit und für einen guten und ehrlichen Steuervollzug zu sorgen.

Die Fragen stellte Stefan Rank.

MDR (rnm)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 04. August 2023 | 18:47 Uhr

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