Illustration - Wasserstoffmoleküle
Auf Wasserstoff ruhen große Hoffnungen als Energiespeicher. Bildrechte: imago images/Alexander Limbach

Wasserstoff-Bedarf Wegweiser durch das Einheiten-Chaos

26. Juli 2023, 17:24 Uhr

Wie hängen die unterschiedlichen Einheitsangaben beim Thema Wasserstoff zusammen? Und entspricht die Leistung dem Angebot und dem Bedarf? Eine Einladung zum Zahlenspiel.

Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft – umso mehr, wenn er aus überschüssiger erneuerbarer Energie entsteht. Überschüssige Energie gibt es dann, wenn Windkraft- oder Photovoltaikanlagen an wind- und sonnenstarken Tagen mehr Strom erzeugen als im Netz benötigt wird, so dass die sorgsam im gesamten europäischen Verbundnetz gewahrte Frequenz von 50 Hertz in Gefahr gerät.

Die Kollegen von MDR Wissen beschreiben es als "sensibles Gleichgewicht, das schon bei Schwankungen von Millihertz ins Stocken geraten kann: Die Herausforderung bei der elektrischen Energie besteht darin, dass die elektrische Energie in dem Augenblick, wo sie verbraucht wird, auch erzeugt werden muss." 

Gewahrt wird dieses Gleichgewicht, indem Strom zu- oder abgeführt wird. Derzeit werden vor allem Windkraftanlagen heruntergefahren, wenn zu viel Wind weht – an Tagen mit viel Sonne wird dagegen die Leistung anderer Kraftwerke gedrosselt, etwa die von Biogas-, Gas- oder Kohlekraftwerken.

Das wird schwieriger, je mehr Strom aus Erneuerbaren Energien eingespeist wird, zudem ist es kontraproduktiv, Windkraft und Photovoltaik in wind- und sonnenstarken Zeiten zu drosseln – denn die überschüssige Energie nicht zu nutzen, wäre sowohl aus ökonomischer als auch aus ökologischer Sicht schade. Hier kommt der Wasserstoff zum Zuge: "Wasserstoff als Energieträger ist interessant, da er sich besser als Strom speichern lässt", erklärt Horst Schonsky vom Umweltbundesamt. Werde die Energie allerdings direkt benötigt, dann sei es vorzuziehen, Strom direkt zu nutzen, da bei jeder Energieumwandlung nutzbare Energie verloren gehe. Wie viel Energie nach der Umwandlung noch bleibt, wird mit dem sogenannten Wirkungsgrad beschrieben.

Was ist der Wirkungsgrad?

Wenn mit Strom aus Wind- oder Sonnenenergie mittels Elektrolyse Wasser zu Sauerstoff und Wasserstoff gespalten wird, geht dabei Energie verloren. Der Wirkungsgrad beschreibt den Anteil der Energie, der nach der Umwandlung zur Verfügung steht. Das heißt, bei einem Wirkungsgrad von 0,6 bedarf es nach einer Beispielrechnung des Umweltbundesamtes 167 TWh elektrische Energie um 100 TWh Wasserstoff herzustellen.

Wie viel Energie steckt in einem Kilogramm Wasserstoff?

33,33 kWh. Viele runden hier auf 33 kWh ab. Zum Vergleich: Rohöl, Diesel und Benzin enthalten um die 12 kWh. Der Brennwert von einem Kilogramm liegt bei: 39,4 kWh, der von einem Norm-Kubikmeter bei 3,54 kWh. Der Brennwert pro Norm-Kubikmeter fällt sichtlich niedriger aus – das liegt an der geringen Dichte des Gases. (Quelle: linde-gas.at)

Wie viele Stunden sind die Elektrolyseure durchschnittlich ausgelastet?

Elektrolyseure laufen oft unregelmäßig über das Jahr verteilt. Ein Elektrolyseur, der laut Umweltbundesamt das ganze Jahr zur Hälfte ausgelastet ist, würde 4.380 Volllaststunden aufweisen. Der Nationale Wasserstoffrat gehe von 4.000 Volllaststunden aus. Das bedeute, die Anlagen liefen im Jahresdurchschnitt mit 46 Prozent Auslastung. Generell wird demnach die Laufzeit von Anlagen in Volllaststunden pro Jahr angegeben, also 8.760 Stunden. 

Wie viel Wasser wird eigentlich für die Herstellung von Wasserstoff gebraucht?

Klar ist, dass für die Produktion von Wasserstoff Wasser gebraucht wird. Hier gibt es unterschiedliche Angaben. Häufig ist von neun Litern Wasser zu lesen, die einen Liter Wasserstoff ergeben. Mehr, wenn man dem "Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches" (DVGW) folgt, aber nur ein Bruchteil von dem, was andere Nutzergruppen benötigen, schreiben die Autoren der DVGW-Analyse "Genügend Wasser für die Elektrolyse": "Für die Erzeugung von einem Kilogramm grünem Wasserstoff werden 10 Liter Reinstwasser benötigt". Abhängig von Prozessschritten und Wasserquelle, könnten aber auch 12 bis 30 Liter Wasser zur Reinstwasserbereitstellung pro Kilogramm Wasserstoff erforderlich werden. Es gibt allerdings schon Elektrolyseure, die aus Meerwasser Wasserstoff gewinnen können – ohne dass das Wasser vorher aufwendig entsalzt werden muss.

Wirkungsgrad bei der Elektrolyse

Die Umwandlung der Energie in Wasserstoff mittels Elektrolyse dient der Speicherung dieser Energie. Wie viel dann in Form von Wasserstoff gespeichert und später auch wieder abgerufen werden kann, das hängt vom Elektrolyseur ab, von dessen Wirkungsgrad und natürlich auch von den Verlusten, die wiederum bei der Umwandlung von Wasserstoff in Energie entstehen. Den Wirkungsgrad jedenfalls können die Hersteller der Geräte ausweisen, ebenso wie die Leistung. Und beide Zahlen steigen zunehmend. So erzielt beispielsweise der SOEC-Elektrolyseur, den das Dresdner Unternehmen Sunfire beim Stahl- und Technologiekonzern Salzgitter installiert, einen Wirkungsgrad von 84 Prozent – das ist sehr hoch.

Wie entsteht Wasserstoff? 1 min
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Er gilt als Energieträger der Zukunft: grüner Wasserstoff. Doch was macht Wasserstoff grün? Wie wird er hergestellt und was kann man damit machen?

Do 13.07.2023 15:41Uhr 00:41 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wirtschaft/video-wasserstoff-erklaer-video100.html

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Zielmarke der nationalen Wasserstoffstrategie in Deutschland: 10 GW

Die Bundesregierung strebt in der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie eine Elektrolyse-Leistung von 10 Gigawatt (GW) grünen Wasserstoffs in Deutschland an. Damit gemeint ist tatsächlich die installierte Leistung. Das heißt, die Leistung, die theoretisch unter Volllast genutzt werden kann. Die deutsche Elektrolyse-Kapazität liegt im Jahr 2022 übrigens laut Statista bei knapp 0,057 GW oder 57 Megawatt.

Die geplante Volllastleistung von 10 Gigawatt wird nicht immer abgerufen werden können: Zum einen wird nicht immer überschüssige Energie aus erneuerbaren Energiequellen zur Verfügung stehen und selbst wenn erneuerbare Energie ausschließlich für die Wasserstoffproduktion genutzt werden würde, so kann nicht durchgehend Strom aus grünen Energiequellen produziert werden: Es wird kein Sonnenstrom geerntet wenn es dunkel ist, es stürmt, schneit oder diesig ist. Und nicht immer gibt es genug Wind für die Windkraftanlagen. Das Angebot schwankt auch von Jahr zu Jahr. So wurde 2021 laut "Informationsportal Erneuerbare Energien" der Bundesregierung weniger grüner Strom erzeugt. 2022 indes gab es mehr Wind, sehr viel Sonne und ein großer Zubau an Photovoltaikanlagen: es wurde ein neuer Höchststand erreicht.

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Wasserstoff wird auch in Sachsen-Anhalt ein immer wichtigerer Energielieferant. Wie er aus erneuerbaren Energien mit Hilfe der Elektrolyse gewonnen wird, zeigt MDRklärt.

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Unterschied Leistung und Energie

Noch einmal zurück zu den 10 GW: Das ist die installierte Leistung, benötigt oder abgerufen wird aber Energie, dass ist die Leistung mal Zeit. Beim Beispiel 10 GW würde man innerhalb einer Stunde 10 GWh erzeugen. Die Bundesregierung geht für das Jahr 2030 von einem Bedarf zwischen 95 bis 130 TWh Wasserstoff aus, andere Akteure schätzen den Bedarf höher ein. 

Bei Kraftwerken, egal ob Kohlekraftwerk, Windkraftanlage oder Photovoltaikanlage, spricht man von der installierten Erzeugungsleistung. So haben moderne Windkraftanlagen etwa eine Leistung von zwei bis fünf MW, Offshore-Anlagen sogar bis zu 15 MW. Die meisten privaten Photovoltaikanlagen auf Hausdächern verfügen über eine Leistung bis 10 KW.

Wenn es um Strommengen, also Energie geht – egal ob in der Erzeugung oder dem Verbrauch – , gilt die Einheit Wattstunden, bzw. Kilowattstunden, Megawattstunden und so weiter. Läuft ein Windkraftwerk mit einer Leistung von 5 Megawatt (MW) unter Volllast genau eine Stunde, erzeugt es exakt 5 Megawattstunden (MWh). Liefe es theoretisch einen ganzen Tag und eine ganze Nacht unter Volllast, würde es bereits 120 MWh erzeugen.

Aufgrund dieser Unterschiede zwischen Leistung und Energiemenge gibt die Bundesregierung auch unterschiedliche Ziele in der Wasserstoffstrategie aus: Zum einen sollen bis 2030 mindestens 10 Gigawatt Elektrolyse-Leistung in Deutschland installiert werden. Ein eher theoretischer Wert, der je nach Sonnen- oder Windmenge variiert. Mit der installierten Leistung von 10 Gigawatt wird der Bedarf, den die Bundesregierung für 2030 annimmt, die Menge der Energie aus Wasserstoff, laut fortgeschriebener Wasserstoffstrategie 95 bis 130 TWh, nicht erfüllt werden. Daher soll zusätzlich eine Wasserstoff-Importstrategie installiert werden.

Beispielrechnung für 100 TWh

Wie viel Energie braucht man nun, um den Mittelwert von 100 TWh zu erzielen? Wir haben das Umweltbundesamt um eine Beispielrechnung gebeten, die im Zusammenhang mit dem Wirkungsgrad den Energieverlust während der Wasserstoffherstellung verdeutlicht. Um 100 TWh oder 3 Millionen Tonnen Wasserstoff bereitzustellen, bedarf es demnach bei einem angenommenen Wirkungsgrad der Elektrolyseure von 0,6 rund 167 TWh elektrische Energie, ausgehend von dieser Formel: 167 TWh x 0,6 = 100 TWh.

Die notwendige elektrische Leistung der Elektrolyseure ergibt sich demnach in 100-Terawatt-Beispiel aus der einzusetzenden elektrischen Energie (167 TWh) geteilt durch die Vollaststunden der Elektrolyseure (4.000 h) und betragt 42 GW Nennleistung (167 TWh / 4.000 h = 167.000 GWh / 4.000 h = 42 GW) der Elektrolyseure um 100 TWh Energie in Form von Wasserstoff bereitstellen zu können.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 26. Juli 2023 | 19:30 Uhr

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