Raguhn-Jeßnitz Höhere Kita-Gebühren und Gewerbesteuern: Die Halbjahresbilanz von AfD-Bürgermeister Hannes Loth

08. März 2024, 09:22 Uhr

Seit einem halben Jahr ist Hannes Loth Bürgermeister der Stadt Raguhn-Jeßnitz im Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Er ist der erste hauptamtliche Bürgermeister der AfD in Deutschland. In Sachsen-Anhalt ist die Partei als 'gesichert rechtsextremistisch' eingestuft worden. Im Sommer vergangenen Jahres gewann er die Stichwahl in der 9.000-Einwohner-Gemeinde und muss seitdem Verantwortung übernehmen. Eine Bilanz.

Ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt als Bürgermeister von Raguhn-Jeßnitz ist Hannes Loth in der Realität angekommen. Teile seiner Wahlversprechen hat der erste hauptamtliche AfD-Bürgermeister Deutschlands nicht gehalten. So wurde die Gewerbesteuer bereits erhöht. Loth begründet seine Entscheidungen damit, dass er Prioritäten setzen müsse. "Und die liegen bei Ordnung und Sicherheit", sagt er.

Die Kitabeiträge wurden ebenfalls umgehend angehoben. Schuld sei die Kassenlage der Kommune, so Loth. Mit Elternvertretern sei ein Kompromiss gefunden worden, dass jeder Kitaplatz 20 Euro teurer wird. Das sei sozial vertretbar, sagte Loth im Oktober des vergangenen Jahres.

Hetze gegen Ausländer "unerträglich"

Stadträtin Gudrun Dietsch von der Freien Wählergemeinschaft sagt über Loth, dass er seine Sache gut mache. Gleichzeitig sei es aber abschreckend, dass der neue Rathauschef der AfD angehöre. Die Partei, die in Sachsen-Anhalt vom Verfassungsschutz als 'gesichert rechtsextremistisch' eingestuft wird, wolle nur spalten, sagt die 71-Jährige.

Es sei furchtbar, "den Leuten einzureden, dass es uns schlecht geht", sagt sie. Und die "Hetze gegen Ausländer" sei unerträglich. "Die wenigen Ausländer, die es in Raguhn-Jeßnitz gibt, betreiben eine Gaststätte, einen Friseursalon oder ein Modegeschäft." Bürgermeister Loth kommentiert die Vorwürfe kurz und knapp: Er habe kein Problem mit solchen Ausländern. "Jeder, der sich einbringen will, ist willkommen."

Loth leugnet "Abschiebe-Phantasien" aus Potsdam

Der 42-jährige versucht stets, wenig Angriffsfläche zu bieten und trotzdem auf Parteilinie zu bleiben. Die Abschiebe-Phantasien von Rechtsextremen und AfD-Mitgliedern in Potsdam habe es so nie gegeben, sagt Loth. Dabei hat das Landgericht Hamburg bestätigt, dass die Kernaussage der "Correctiv"-Recherche bestehen bleiben kann.

Bürger: "Er gibt sich Mühe"

Dass er kurz nach seinem Amtsantritt einige große Straßen-Löcher provisorisch schließen ließ, kam bei der Bevölkerung scheinbar gut an. "Die anderen Bürgermeister davor kann man vergessen", sagt ein Bürger. "Ich hoffe, dass noch ein bisschen mehr passiert. Aber er gibt sich Mühe."

Viele Einwohner wollen auch erst einmal abwarten, was der neue Rathauschef macht. Gut finden viele, dass er seine AfD-Mitgliedschaft nicht an die große Glocke hängt. Das sei kein Zufall, meint Christoph Maier, Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt. "Das ist genau das, was rechte Parteien in diesem Land seit Jahren machen. Auf lokaler Ebene geben sie sich als große Kümmerer und kümmern sich auch, aber auf der anderen Seite treten sie eigentlich für ein anderes Land ein", sagt Maier. Da fehle die Ehrlichkeit. "Man muss dann sagen, ich mache das hier, aber eigentlich will ich ein ganz anderes Land und stehe für eine andere politische Überzeugung."

Hannes Loth der "Flexible"

Dass Hannes Loth flexibel ist, hat er während der Coronapandemie bewiesen. Damals organisierte der damalige AfD-Landtagsabgeordnete Demonstrationen gegen die Schutzmaßnahmen und machte gleichzeitig mit einem Corona-Testzentrum Kasse. "Ich hatte Einnahmen zwischen 80.000 und 100.000 Euro. Da geht dann Personal weg, Miete weg, Material weg. Von den 80.000 blieben dann vielleicht 30.000 Euro für das ganze Jahr übrig", sagt Loth.

Moralisch habe er damit kein Problem, sagt Loth heute, der gleichzeitig erbittert um seinen Ruf kämpft. Wegen eines missliebigen Berichts verklagt der neue Bürgermeister von Raguhn-Jeßnitz gerade die Süddeutsche Zeitung.

Loth sieht gute Zusammenarbeit

Insgesamt zieht Hannes Loth ein positives Fazit seiner ersten sechs Monate. Er komme mit allen Ratsmitgliedern gut klar. Loth als studierter Landwirt, kennt da keine Berührungsängste. "Im Stadtrat selber spielt die Partei eigentlich weniger eine Rolle", sagt er im Gespräch. Die Stadt stehe im Fokus von allen. Auch von den "viel beschworenen Brandmauern" von rechts oder links könne er nichts spüren. "Wir arbeiten alle eigentlich immer gut zusammen", betont Loth. Ein Eindruck, den viele Ratsmitglieder – etwa Stadträtin Gudrun Dietsch – durchaus teilen.

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MDR (André Damm, Moritz Arand), zuerst veröffentlicht am 07.03.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 08. März 2024 | 07:40 Uhr

154 Kommentare

Der Matthias vor 30 Wochen

@ Bella - 1999

Das Dumme ist nur, wenn man im Wahlkampf den Wählern gegenüber genau den gegenteiligen Eindruck erweckt hatte! Und da liegt der eigentliche (dicke) Hund begraben!

Und Kritik an gebrochenen Wahlversprechen zu äußern, hat rein gar nichts mit "Hetze" zu tun, sondern ist (gerade in einer Demokratie!) völlig legitim! Daran ändert auch der fadenscheinige Versuch nichts, solche Kritik als vorgeblich "widerlich" und scheinbar illegitim zu diffamieren!
Die AfD und ihre eilfertige Anhängerschaft ertragen eben nur keinen Widerspruch bzw. diese glauben, einen Anspruch auf absolute, sakrosankte Kritikerhabenheit zu haben! Das ist das eigentliche Problem!

DeutscherPatriot vor 30 Wochen

Sie haben Recht: wenn kein Geld da ist, muss gespart werden. Aber was halten Sie von einem Politiker, der im Wahlkampf wider besseren Wissens das Gegenteil von Sparen verspricht. Ein solches Verhalten wird doch sonst von der AfD so gerne gegeiselt.

Warum war Herr Loth im Wahlkampf nicht ehrlich? Das ist keine Hetze gegen ihn, sondern nur die Feststellung, dass er auch keine anderen Lösungsideen hat.

Fazit: der Nimbus der AfD, die auf alle Probleme Lösungen hat, die den Wähler nicht belasten, ist widerlegt. Er ist gerade dabei, zu verblassen.

Peter vor 30 Wochen

Wenn man zuvor als Stadtrat wußte, dass die Kasse leer ist, macht man im Wahlkampf keine Versprechungen, bei denen damals schon klar war, man kann sie nicht halten.
Bella - 1999: Ist so was Wahlbetrug?

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