Interview Wer mit den Handwerkern in Dessau demonstriert hat

02. September 2022, 10:28 Uhr

Am Sonntag haben rund 2.000 Menschen in Dessau an einer Kundgebung der Kreishandwerkerschaft teilgenommen. Der Protest richtete sich gegen die Russland-Sanktionen der Bundesregierung. Dem Aufruf folgten Personen aus unterschiedlichen politischen Spektren. Auch Anknüpfungspunkte für rechte Akteure und die "Querdenker"-Szene sind da, erklärt der Rechtsextremismusexperte David Begrich im Interview.

In Dessau sind am Sonntag gut 2.000 Menschen dem Aufruf zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz gefolgt. Die Kreishandwerkerschaft Dessau-Roßlau hatte zu Protest gegen die Sanktionen der Bundesregierung gegen Russland aufgerufen. Unter den Teilnehmenden waren Handwerker und Familien – aber auch Anhänger der "Querdenken"-Bewegung, nach Einschätzung des Rechtsextremismusexperten David Begrich vom Verein "Miteinander".

Begrich erklärt im Interview, wer hinter dem Protest steckt und wie rechte Akteure versuchen, Themen wie die der Handwerker zu besetzen.

MDR SACHSEN-ANHALT: Wer hat bei "Handwerker für den Frieden" demonstriert?

David Begrich: Das war ein sehr gemischtes politisches und weltanschauliches Spektrum. Eine so große Demonstration besuchen zunächst natürlich ganz unterschiedliche Bürgerinnen und Bürger, sei es als Teilnehmer oder teilnehmende Beobachter.

Was wurde auf der Kundgebung gefordert?

Begrich: Es ging sehr deutlich darum, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben und die Gasleitung Nordstream 2 zu öffnen. Für diese Forderung gibt es eine Mehrheit in der ostdeutschen Bevölkerung.

Anm. d.Red.: Eine nicht-repräsentative MDRfragt-Auswertung unterstützt die Aussage Begrichs.

Wofür in Dessau demonstriert wurde

Rund 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer versammelten sich am 28. August unter dem Motto "Handwerker für den Frieden" auf dem Dessauer Marktplatz. Aufgerufen hatte die Dessauer Kreishandwerkerschaft. Der Kreishandwerksmeister Karl Krökel kritisierte auf der Kundgebung die Russland-Sanktionen der Bundesregierung. Diese würden der Bevölkerung und der Wirtschaft schaden.

Bereits im Juli hatte die Kreishandwerkerschaft in einem offenen Brief gefordert, die Waffenlieferungen an die Ukraine sowie das Öl-Embargo gegen Russland zu stoppen. Künftig will sie die Proteste nach eigenen Angaben fortsetzen, unter anderem bei einer Protestaktion in Berlin am 1. Oktober.

Wer steht hinter dem Protest der Handwerker?

Begrich: Das ist eine sehr heterogene Initiativgruppe, die sich einerseits aus Handwerkern und Innungsmeistern zusammensetzt, die sich Sorgen um ihre ökonomische Existenz machen. Aber es sind ganz offenkundig auch Personen dabei, die aus dem "Querdenker"-Kontext kommen. Da ist eine personelle Kontinuität zu beobachten.

Rechte Akteure versuchen, an Themen wie soziale Nöte oder Frieden anzuknüpfen. Warum?

Begrich: Sie suchen ein Thema, mit dem sie mobilisieren und zugleich ihre Agenda präsentieren können. Es geht um Deutungshoheit über eine von ihnen erwartete Protestbewegung. Wir sehen, dass vor allem der Kern der "Querdenker" und Akteure der Corona-Proteste thematisch umschwenkt.

Mehr über "Querdenken" und Corona-Proteste

"Querdenken"- und Corona-Proteste richteten sich in den vergangenen Jahren vor allem gegen Impfungen und weitere Corona-Maßnahmen. Auch in Sachsen-Anhalt gab es zahlreiche Demonstrationen. Zum Teil gab es dabei Ausschreitungen und Gewalttaten, auch vor Schulen und Kindertagesstätten oder als beispielsweise in Halberstadt Protestierende mit Fackeln vor das Haus des Bürgermeisters zogen.

Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer hatte im Juli davor gewarnt, dass es im kommenden Herbst und Winter zu bedrohlichen Protesten aus dieser Szene kommen könnte. Sachsen-Anhalts Innenministerium hatte zuletzt erklärt, es gebe im Land derzeit keine konkreten Anzeichen dafür. Man beobachte die Lage aber wachsam. Auch der Landesverfassungsschutz hat die "Querdenker"-Szene nach eigenen Angaben im Blick.

Haben Rechte damit bereits Erfolg?

Begrich: Das kann seriös noch nicht beurteilt werden. Die gegenwärtige Situation ist sehr dynamisch. Die Protestbewegung entsteht gerade und jetzt vorauszusagen, was passieren wird, ist nicht möglich.

In Dessau haben unter anderem Reiner Braun, Mitorganisator des "Friedenswinters", und Michael Müller, Bundesvorsitzender der Naturfreunde, gesprochen. Wie schätzen Sie diese Redner ein?

Begrich: Wir sehen schon länger, dass sich ein Teil der traditionellen Friedensbewegung dem Querdenker-Milieu annähert. Der "Friedenswinter" hat schon 2014 den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland thematisiert. Insofern ist das keine Überraschung.

Müller war früher Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Die Naturfreunde sind eher dem links-ökologischen Spektrum zuzuordnen. Da kommt eine politische Diffusität zum Ausdruck. Die Organisatoren haben sich zu einem Thema zusammengefunden, zu dem sie eine Auffassung teilen. Das heißt aber nicht, dass sie darüber hinaus eine gemeinsame politische Agenda haben.

Mehr über den "Friedenswinter"

Der "Friedenswinter", zu dem auch der Friedensaktivist und Geschäftsführer der Organisation "International Peace Bureau", Reiner Braun, aufgerufen hatte, sollte die Friedensbewegung der 1980er-Jahre mit den "Montagsmahnwachen für den Frieden" verknüpfen. Die Mahnwachen fanden nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine ab März 2014 in zahlreichen deutschen Städten statt. Bei mehreren Veranstaltungen wurden Berichten zufolge Verschwörungserzählungen und Antisemitismus verbreitet. Auch Ken Jebsen, der als einer der einflussreichsten Verschwörungsideologen gilt, trat mehrfach als Redner auf.

Sind bei "Handwerker für den Frieden" Verschwörungserzählungen aufgegriffen worden?

Begrich: Verschwörungserzählungen im klassische Sinne wurden nicht direkt angesprochen. Aber die Erzählung, die Energiekrise sei bewusst herbeigeführt worden, ist in diese Richtung ausdeutbar.

Wie können Bürgerinnen und Bürger ihren Protest wirkungsvoll auf die Straße tragen, ohne mit Rechtsextremen zu protestieren?

Begrich: Ich halte es für legitim, dass Leute auf die Straße gehen und sich artikulieren. Allerdings muss man schauen: Wer geht mit wem, unter welchen Inhalten und welcher Flagge auf die Straße? Man kann die eigenen Positionen deutlich und akzentuiert vortragen, sich von rechtsextremen Inhalten abgrenzen und Forderungen darauf prüfen, ob sie nach Rechtsaußen anschlussfähig sind oder nicht. Da geht es zum Beispiel um die Frage, wem Solidarität gilt und wem nicht. Wie wirkungsvoll das sein wird, muss die Praxis zeigen. Das wird sich von Region zu Region, von Ort zu Ort zeigen.

MDR (Maren Wilczek) | Erstmals veröffentlicht am 01.09.2022

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 28. August 2022 | 19:00 Uhr

97 Kommentare

ElBuffo am 03.09.2022

Dass China oder Indien mit hohen Rabatten und ohne langfristige Verträge russisches Gas und Öl kaufen, ist eher weniger eine Allianz mit Russland. Vielmehr schaut es danach aus als würde Russlands Schwäche ausgenutzt.

Denkschnecke am 02.09.2022

Allerdings bringen die Mitmachenden zwar nur ein Fünftel der Weltbevölkerung, dafür aber knapp die Hälfte der Weltwirtschaftsleistung zusammen. Und zu Ihrem ersten Argument gibt es unter Wirtschaftswissenschaftlern sehr disparate Befunde. Das würde ich nicht so als Fakt nehmen. (Zum Thema Klimawandel wurden Sie doch auch nicht müde, auf alternative Meinungen aus der Wissenschaft hinzuweisen.)

Denkschnecke am 02.09.2022

Das ist aber auch gemein. Und das, wo die "Freien Sachsen" doch gerade werbewirksam Plakate gedruckt hatten, wo sie stolz gemeinsam mit Pellmann und Gysi zu Protesten aufrufen wollten ohne die zu fragen.
So etwas Unkollegiales :-))

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