Klinikum Dessau Krebs: Familienvater erhält nach erfolgloser Chemo neuartigen Antikörper

17. Dezember 2022, 14:49 Uhr

Das Städtische Klinikum Dessau geht neue Wege in der Krebstherapie. Spezielle Antikörper sollen den Lymphdrüsenkrebs eines 46-Jährigen zurückdrängen. Das erst kürzlich zugelassene Medikament zeigte sich in Studien als wirksam – und könnte sich als schonender für den Körper erweisen. Chemotherapien schlugen bei dem Familienvater dagegen fehl.

Frank Scherbaum sieht nicht im Geringsten krank aus. Er liegt nicht im Bett, trägt keine Krankenhauskleidung und verfügt noch dazu über eine bestechend positive Ausstrahlung. Doch der 46-jährige Familienvater aus Bergwitz im Landkreis Wittenberg leidet unter Lymphdrüsenkrebs – genauer gesagt unter einem sogenannten "follikulärem Lymphom". Schon seit 2016 lebt er damit. Vor eineinhalb Jahren wurde die Krankheit dann akut. Seither schreitet sie schnell voran, sämtliche Therapieversuche schlugen bislang fehl.

Das ist momentan meine Lebensversicherung.

Frank Scherbaum Krebspatient

Nun setzt Scherbaum alle Hoffnungen in eine völlig neuartige Antikörper-Therapie, die er im Städtischen Klinikum Dessau erhält. Die ersten Erfahrungen damit seien positiv, er fühle sich besser. "Das ist momentan meine Lebensversicherung", sagt er.

Was ist ein Lymphom?

Verbreiteter ist der Begriff Lymphdrüsenkrebs oder "malignes Lymphom". Es handelt sich um bösartige Tumoren des sogenannten lymphatischen Systems. Dieses besteht unter anderem aus Lymphbahnen, die Gewebswasser transportieren. Aber auch das Knochenmark, Lymphknoten, die Milz oder die Mandeln im Rachen gehören beispielsweise dazu. Das lymphatische System zeichnet sich durch spezielle Zellen aus, sogenannte Lymphozyten – das ist eine Untergruppe der weißen Blutzellen. Bei einem Lymphom entarten diese Zellen und beginnen unkontrolliert zu wachsen und sich zu vermehren.

Es gibt verschiedene Arten von Lymphomen, follikuläre Lymphome sind eine relativ häufige Form von Lymphdrüsenkrebs. Sie entwickeln sich langsam. Eine Behandlung ist oft erst notwendig, wenn Beschwerden auftreten. Oft wird die Krankheit daher zunächst nur beobachtet. Wenn sie Beschwerden macht oder in seltenen Fällen aggressiv verläuft, lässt sich der Krebs etwa durch eine Bestrahlung oder eine Immun-Chemotherapie meist gut zurückdrängen. Die Betroffenen müssen lebenslang betreut und gegebenenfalls wiederholt behandelt werden.

Bei 500.000 neuen Krebsdiagnosen pro Jahr in Deutschland handelt es sich bei rund 3.000 um ein follikuläres Lymphom.

Quelle: Krebsinformationsdienst

Unter welchen Symptomen leiden Betroffene?

Typische Warnzeichen sind schmerzlose Lymphknotenschwellungen. Hinzu kommen können Blutarmut, Fieber ohne erkennbare Ursache, starker Nachtschweiß und ungewollter Gewichtsverlust.

Quelle: Krebsinformationsdienst

Zustand verschlechtert: "Das war beängstigend"

Eigentlich sind follikuläre Lymphome sehr gut behandelbar. Oft entwickeln sie sich langsam und über Jahre bis Jahrzehnte. Erst wenn Beschwerden auftreten, braucht es laut Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums überhaupt eine Behandlung. Wenn es soweit ist, drängen Chemotherapien den Krebs in der Regel recht verlässlich zurück.

Nicht so bei Frank Scherbaum. Professor Gerhard Behre, Leiter des Zentrums für Hämatologische Neoplasien in Dessau, ist der behandelnde Arzt des Bergwitzers. "Herr Scherbaum gehört leider zu den 20 Prozent aller Patienten mit follikulärem Lymphom, die nicht auf Chemotherapie ansprechen." Die Blutwerte hätten sich selbst nach einer stärkeren Chemotherapie nicht verbessert, die Lymphknoten seien sogar noch größer geworden.

Zuletzt hätten sich dann auch noch die Lungen des Patienten mit Wasser gefüllt. "Das war beängstigend", gibt der Mediziner zu. Das ärztliche Team um Behre entscheidet, auf einen ganz neuen Therapieansatz umzuschwenken – einen sogenannten "bispezifischen Antikörper". Für Lymphome ist ein solcher erst seit wenigen Monaten überhaupt zugelassen in Deutschland.

Antikörper aktiviert Immunsystem gegen Krebs

Das Wirkprinzip lässt sich ziemlich einfach erklären: Der spezielle Antikörper kann sowohl an die Krebszellen andocken als auch an Immunzellen (T-Lymphozyten), die der Körper gegen Krebs bildet. Die Antikörper führen die Immunzellen dann gezielt zu den Krebszellen. Auf diese Weise erkennt das Immunsystem den Tumor und kann ihn zerstören. "Der Antikörper hilft also dem körpereigenen Abwehrsystem, den Krebs zu bekämpfen", beschreibt Behre. Das sei nötig, weil der Krebs sehr effektiv darin sei, Immunreaktionen zu umgehen.

Das Klinikum in Dessau ist nach eigenen Angaben eines der ersten Krankenhäuser Deutschlands, die das neue Medikament anwenden. Und Professor Behre rechnet mit guten Ergebnissen. "In der zugehörigen Studie haben sich bei 60 Prozent der Testpersonen die Tumoren komplett zurückgebildet." Bei weiteren 20 Prozent hätten sich zumindest Besserungen eingestellt.

In der zugehörigen Studie haben sich bei 60 Prozent der Testpersonen die Tumoren komplett zurückgebildet.

Prof. Gerhard Behre Leiter des Zentrums für Hämatologische Neoplasien in Dessau

Wie das neue Medikament mit dem schweren Namen "Mosunetuzumab" bei Frank Scherbaum anschlägt, lässt sich laut Behre aktuell noch nicht sagen. Der Familienvater hat erst zwei Dosen erhalten. Notwendig können bis zu 17 sein. Nach Gefühl des Patienten schlägt das Mittel an. "Ich merke jeden Tag, dass es besser wird", so Scherbaum. Und im Gegensatz zur Chemotherapie, die mit Schwindel und Übelkeit einhergeht, habe er die Antikörper gut vertragen. "Ich hatte nur leichtes Fieber, vergleichbar mit einer Impfreaktion."

Antikörper sollen in Dessau gegen zwei weitere Krebsarten eingesetzt werden

Per Infusion wird der Antikörper verabreicht. Das geht ambulant, also ohne längeren Krankenhausaufenthalt. Vier Stunden dauert das Prozedere, dann kann der Patient zurück nach Hause. Jetzt im Advent nutzt Scherbaum die Zeit gern, um Geschenke zu bestellen. Vom Klinik-Team wird er währenddessen streng überwacht. Denn das Medikament kann schwere Überreaktionen des Immunsystems auslösen. "Fieber, Schüttelfrost bis hin zum Blutdruckabfall sind möglich", erklärt Behre. Diese Nebenwirkungen ließen sich jedoch beherrschen. Schwere Langzeitfolgen wie etwa bei der Chemotherapie seien dagegen bislang nicht bekannt.

Für bessere Erkenntnisse, bei welchen Patienten eine Therapie mit bispezifischen Antikörpern aussichtsreich ist, wird die Anwendung in Dessau wissenschaftlich begleitet. Behre will seinen Bereich nach eigener Aussage zu einem Zentrum für diese Behandlungsmethode ausbauen und irgendwann bestenfalls Chemotherapien dadurch ersetzen. Derzeit sei geplant, bispezifische Antikörper bei zwei weiteren Krebsarten einzusetzen – bei hoch-malignen Lymphomen und Myelomen. Geeignet für den Therapieansatz seien grundsätzlich vor allem solche Krebserkrankungen, die das blutbildende System beträfen.

Antikörper als Chemo-Alternative noch Zukunftsmusik

Dass solche bispezifischen Antikörper den Kampf gegen den Krebs grundlegend entscheiden könnten, glaubt Susanne Weg-Remers vom Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums nicht. "Es ist eher ein weiterer Pfeil im Köcher der Onkologen." Die Technologie eigne sich bisher nur für bestimmte Tumorarten und komme auch dort erst zum Einsatz, wenn andere Therapie-Optionen ausgeschöpft seien. "Wenn sich die Methode hier aber bewährt, könnte sie künftig die bisherigen Standardtherapien durchaus ergänzen." Es sei aber noch nicht klar, ob bispezifische Antikörper bei bestimmten Krebserkrankungen die Chemotherapie irgendwann ablösen könnten. "Das ist Zukunftsmusik, dafür braucht es erst entsprechende Studien", sagte Weg-Remers MDR SACHSEN-ANHALT.

Wenn sich die Methode hier aber bewährt, könnte sie künftig die bisherigen Standardtherapien durchaus ergänzen.

Susanne Weg-Remers Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums

Auf Antikörpern basierende Immuntherapien werden im Kampf gegen Krebs schon länger eingesetzt. Bispezifische Antikörper, die sowohl an Immunzellen als auch an Krebszellen andocken können, sind allerdings noch relativ neu. Seit 2015 ist ein solcher Antikörper bereits für seltene Formen der akuten lymphatischen Leukämie zugelassen, berichtet Weg-Remers.

Bei chronischem Lymphdrüsenkrebs sei es ein neuer Ansatz. Auch Weg-Remers hält die bisherigen Studienergebnisse dazu für vielversprechend. "Allerdings muss sich jetzt noch zeigen, ob der Tumor bei den erfolgreich behandelten Probanden irgendwann zurückkehrt oder sie dauerhaft geheilt sind."

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 21. Oktober 2021 | 22:40 Uhr

4 Kommentare

harzer am 18.12.2022

Alles Gute wünsche ich Herr Scherbaum ! MDR, hilft das auch bei Leukämie ?

SGDHarzer66 am 17.12.2022

Ich wünsche Herrn Scherbaum alles Gute - und eine Rückkehr in ein sorgenfreies Leben.

ria am 17.12.2022

Ich wünsche Herrn Scherbaum und seiner Familie alles Gute und das die neue Therapie anschlägt.

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