Roter Turm
Im Roten Turm auf dem halleschen Marktplatz befindet sich Europas größtes Carillon. Bildrechte: Andreas Manke

Ausgefallene Berufe Glockenspieler in Halle: Der seltene Weg zum Stadt-Carillonneur

von Andreas Manke, MDR SACHSEN-ANHALT

09. Dezember 2023, 12:15 Uhr

In Halle auf dem Markt, im Roten Turm, ist regelmäßig Europas größtes Glockenspiel zu hören. Jeden Sonntag wird das Carillon in den Sommermonaten bis in den Advent hinein live gespielt. Gastmusiker aus der ganzen Welt und fünf Stadt-Carillonneure bringen die Glocken regelmäßig zum Klingen. Damit Live-Konzerte auch in Zukunft möglich sind, werden zur Zeit zwei Musikerinnen und ein Musiker zu Carillonneuren ausgebildet. Einen zukünftigen Stadt-Carillonneur haben wir begleitet.

Vor ziemlich genau einem Jahr lief Phillipp Steinau aus Halle über den Weihnachtsmarkt, als gerade ein Live-Konzert am Glockenspiel im Roten Turm begann. Der Klang des Carillons, des Glockenspielers, faszinierte den 31-jährigen Kinderarzt – so sehr, dass in ihm der Wunsch wuchs: "Irgendwann möchte ich auch mal da oben sitzen und die Stadt mit Klängen erfüllen."

Ein junger Mann, Arzt, sitzt an einem Schreibtisch und schaut lachend in die Kamera.
Phillipp Steinau arbeitet in einer Kinderarztpraxis als Arzt. Bildrechte: Andreas Manke

Dieser Wunsch war so groß, dass er Kontakt zu den halleschen Carillonneuren aufnahm. Tatsächlich wurde gerade Nachwuchs gesucht und Steinau zu einer Übungsstunde eingeladen. Mit Erfolg: Mit diesem Tag begann seine Ausbildung als Carillonneur.

Geprobt wird an einem Übungsinstrument

Am großen Carillon im Roten Turm kann nicht geübt werden, weil die Glocken weit über den Markt hinaus zu hören sind. Deshalb gibt es im Verwaltungstrakt der Ulrichskirche einen Proberaum mit einem kleineren Übungsinstrument. Drei Mal im Monat kommt Steinau für ein bis zwei Stunden zum Proben hierher.

Drei Personen schauen lächelnd in die Kamera. Sie sitzen vor einer hölzernen Maschine.
Die kommende Generation der halleschen Carillonneure Henrike Ritz, Phillipp Steinau und Caroline Krauße (v.links n. rechts) am Spieltisch im Roten Turm. Bildrechte: Andreas Manke

Als Achtjähriger hat er mit dem Klavierspielen begonnen, so dass das Notenverständnis vorhanden ist. Dass die Klaviatur des Carillons einem Klavier ähnelt, erleichtert es ihm. Üben muss Phillipp Steinau trotzdem regelmäßig, denn das Carillon hat keine Klaviertasten, sondern runde Holzstäbe. Diese sogenannten Stocken werden nicht mit den Fingern gespielt, sondern mit leicht geballten Fäusten. "Es ist ein Schwingen aus dem Handgelenk", erzählt er. "Es ist trotzdem kein Hämmern, sondern etwas Zierliches, etwas Feines, auch wenn es teilweise bis zu acht Tonnen schwere Glocken sind, die man anhaut." Nach einem Jahr klappe das Spielen auf dem Übungsgerät schon gut, ist Steinau zufrieden.

Ein Jahr üben, erst dann geht es auf den Turm

Steinau ist einer von drei Nachwuchs-Carillonneuren, die zurzeit zu Halleschen Stadt-Carillonneuren ausgebildet werden. Nach einem Jahr im Proberaum geht es für die drei hoch auf den Roten Turm. "Jetzt gleich die Glocken anhauen und alle Leute hören das da unten, da habe ich schon etwas Muffensausen. Es ist aber auch ein cooles Gefühl, denn seit einem Jahr arbeiten wir darauf hin und jetzt ist es Zeit, das auszuprobieren", so Steinau.

Für die erste Stunde am großen Carillon ist der Erfurter Stadt-Carillonneur Ulrich Seidel angereist. Er unterrichtet die drei Nachwuchs-Carillonneuren und gibt zuvor die technische Einführung. Denn bevor es losgeht, muss der Klang der Glocken sauber eingestellt werden. Dazu werden die Längen der Drahtseile, die alle Klöppel mit der Tastatur verbinden, über Stellschrauben variiert, bis alle Glocken frei klingen können. 

Dann kommt für Phillipp Steinau der große Moment. Er sitzt am Spieltisch und beginnt auf dem großen Carillon die Melodie des Soundtracks zum Film "Der Pate" zu spielen. Nach dem Stück fühlt er sich großartig: "Es ist überwältigend. Es macht richtig Spaß zu spielen." Auch Seidel ist zufrieden: "Für das erste Mal am richtigen Instrument hat er sich kolossal gut angestellt. Mit etwas Übung könnte er tatsächlich nächste Woche schon zwei Stücke hier spielen."

Nachwuchs wird dringend gebraucht

Erst seit 2017 werden in Halle Carillonneure ausgebildet. Zuvor ist das Carillon ausschließlich durch die Automatik oder von Gastmusikern gespielt worden. Ein Grund dafür dürfte auch die Größe des Instrumentes sein. Mit 76 Glocken und sechs Oktaven ist es das größte Carillon in Europa. Laut Stadtmuseum wird das zu den Händel-Festspielen 1993 eingeweihte Carillon nur von zwei Glockenspielen mit jeweils 77 Glocken übertroffen: in Michigan (USA) und Daejon (Südkorea). Um die Arbeit der halleschen Carillonneure zu ehren, hat Halles Bürgermeister Egbert Geier Mitte Oktober dieses Jahres die fünf Musiker zu "Stadt Carillonneuren" ernannt.

MDR (Andreas Manke)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 08. Dezember 2023 | 19:00 Uhr

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