Am Freitag finden mehrere Demonstrationen zum globalen Klimastreik unter dem Motto Klimagerechtigkeit von Fridays for Future und weiteren Gruppierungen statt.
Am 23.09. haben sich Aktivistinnen und Aktivisten auf der ganzen Welt beim Klimastreik zusammengefunden. Auch ökofeministische Standpunkte sind Teil der Demo. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Future Image

Studierende schreiben für den MDR Ökofeminismus: "Es ist schwer für Leute, die arbeiten und Kinder haben"

18. November 2022, 15:40 Uhr

Am 23. September ruft die Klimaschutz-Bewegung Fridays For Future jedes Jahr zum globalen Klimastreik auf. Weltweit setzen sich Aktivistinnen und Aktivisten an diesem Tag für klimagerechtere Politik und Wirtschaft ein. Dazu verbinden sich verschiedene aktivistische Gruppen. Eine Strömung davon nennt sich "Ökofeminismus". Ein Gastbeitrag einer Studentin aus Halle.

Studentin Sophia Sailer – eine junge Frau mit schwarzem Hut steht vor einem Baum und schaut in die Kamera.
Bildrechte: Simon Gerlinger

Dieser Text ist im Rahmen des Projekts "Studierende schreiben" in Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entstanden.

Ökofeminismus gebe es noch gar nicht so lange, erzählt Anne Pinnow. Pinnow ist Teil einer feministischen Gruppe in Halle, die unter anderem die Demos am feministischen Kampftag, dem 8. März, mitorganisiert. Außerdem arbeitet sie im Konzeptwerk Neue Ökonomie, wo sie sich mit sozialeren Alternativen zum aktuellen Wirtschaftssystem beschäftigt.

Was ist Ökofeminismus?

Unter Ökofeminismus versteht man den Versuch, eine feministische Bewegung mit Umweltaktivismus zusammenzuführen. So gehen Ökofeminist*innen nicht nur davon aus, dass gewisse Ähnlichkeiten und Zusammenhänge zwischen der Hierarchisierung zwischen Mann und Frau und der Ausbeutung der Umwelt bestehen. Sie argumentieren auch, dass Frauen in Krisen wie der Umweltkatastrophe ganz besonders betroffen sind. Grund dafür ist die geschlechterstereotype Arbeitsaufteilung, bei der vor allem Frauen kostenlose Care Arbeit übernehmen – also Haushalt, Kindererziehung und Pflege.

Zuerst wurde die philosophische Disziplin Ökofeminismus explizit in Frankreich benannt. Dennoch sind schon ältere, durch Frauen angeführte Umweltbewegungen im globalen Süden bekannt, an die westliche Ökofeministinnen in den 1970ern angeknüpft und einen Namen gegeben haben: Frauenrechtlerin Françoise d’Eaubonne nennt die Bewegung "écofeminism". Laut der Ökofeministin und Philosophie-Professorin Émilie Hache ließ das Interesse daran aber lange zu wünschen übrig, erzählt sie der Wochenzeitung Die Zeit in einem Interview. Inzwischen habe sich das aber mit Aufkommen von Fridays For Future und der #metoo-Debatte geändert.

Frauen aus feministischen Ökologie- und Friedensbewegungen hätten Ökofeminismus in den 1980er Jahren begründet, so Pinnow. Die Begründerinnen hätten gesagt: "Wir Frauen haben in Krisen eine besondere Betroffenheit durch die Traditionalisierung von Rollenbildern: Wer übernimmt die Kinderbetreuung zu Hause, wer arbeitet weiter, wer geht überhaupt in Elternzeit?"

Weniger Zeit für Aktivismus durch Sorgearbeit

Auch Pinnow selbst bekommt nach eigenen Angaben die Belastung durch Beruf und Familie zu spüren, worunter ihr Aktivismus leide. "Es ist schwer für Leute, die arbeiten und Kinder haben. Deshalb sind viele in meinem Alter nicht im politischen Aktivismus sichtbar. Auch durch Corona habe ich viel weniger gemacht."

Damit umreißt sie eines der Kernargumente von Ökofeminist*innen, die neben der ungleichen Verteilung von Sorgearbeit und der Mehrbelastung von Frauen auch die Ausbeutung der Umwelt problematisieren, wie Christine Bauhardt, Professorin für Gender und Globalisierung an der Humboldt Universität zu Berlin in einem Paper schreibt.

Bloß ein westdeutscher Diskurs?

Die ungleiche Arbeitsteilung in Abhängigkeit von Geschlecht steht nicht nur im Zentrum ökofeministischer Kritik, sie wird auch von der feministischen Gruppe in Halle kritisiert, in der sich Anne Pinnow engagiert. Unbezahlte Care Arbeit – also die Arbeit im Haushalt, in Kindererziehung und Pflege – werde noch immer vor allem von Frauen übernommen.

Doch auch wenn das Problem mit der Care Arbeit ein ökofeministisches Thema ist: sagt Pinnow, dass sie keine Person kenne, die sich bewusst als Ökofeministin bezeichne. Sie als ostdeutsche Frau glaube, dass es daran liegen könne, dass Ökofeminismus ein westdeutscher Diskurs sei. "Es geht dort um bürgerliche Frauen, die sich für Gesundheit und die Anerkennung von Hausarbeit einsetzen. Das hätte meine Elterngeneration oder meine Mutter nie gemacht. Sie haben eben gearbeitet, für sie waren sie gleichberechtigt. Nicht im Bezug auf Care-Arbeit, aber Frauen waren hier im Osten immer unabhängig von ihren Männern."

Als Anne Pinnow sich fragt, auf wen das Label "Ökofeministin" passen könne, seien ihr trotzdem ein paar Frauen eingefallen. "Sie sind verbunden mit ihrem Körper und zelebrieren beispielsweise ihre Menstruation. Sie gehen total auf im Muttersein und füllen die Rolle auch gern aus." Einerseits freue sie sich über diese Anerkennung, andererseits findet sie auch, dass Aktivismus über diese private Sphäre hinweggehen müsse. Sie fragt sich: "Wie wollen wir uns für Gerechtigkeit einsetzen? Die findet für mich nicht nur im Privaten statt. Damit ich mich wirksam fühle, muss ich auch ins Außen."

Ökofeminismus fragt: "Was brauchen wir im Leben?"

Es bleibt nicht bei diesem einen Reibungspunkt, den Anne Pinnow zu ökofeministischen Positionen sieht. "Dieses Bild der Frau als Behüterin der Erde mit ganz besonderer Naturverbundenheit allein durch ihr Wesen und das Gebären – dazu würden wir sagen: auf keinen Fall." Stattdessen würden Frauen erst durch die Gesellschaft zu Frauen gemacht. "Es ist ein Konstrukt", so Pinnow. Daher spreche sie auch lieber von FLINTA*, also Frauen, Lesben, Inter, Nicht-binären und Trans-Menschen als nur von Frauen. Das sei der größte Unterschied im Gegensatz zu traditionellen Ökofeministinnen, wo es viel ums biologische Geschlecht gehe.

Trotz der Kritik am Ökofeminismus ist es Anne Pinnow wichtig zu betonen, dass sie auch positive Aspekte in der Bewegung erkenne: Beim Ökofeminismus "geht es nicht um Fortschritt, sondern um die grundsätzliche Frage: Was brauchen wir im Leben? Und das ist ein Aspekt, den man mitnehmen sollte".

Derzeit gibt es also keine dezidiert ökofeministischen Gruppen in Halle. Doch bestimmte ökofeministische Positionen seien seit Jahrzehnten Bestandteil zentraler feministischer Forderungen – zum Beispiel am internationalen Frauentag, dem 8. März. Ökofeministische Positionen schwingen auch am 23. September mit, wenn beim globalen Klimastreik von Fridays for Future darauf aufmerksam gemacht wird, dass es vor allem der globale Süden ist, der Konsequenzen der aktuellen Klimapolitik zu spüren bekommt.

Studentin Sophia Sailer – eine junge Frau mit schwarzem Hut steht vor einem Baum und schaut in die Kamera.
Bildrechte: Simon Gerlinger

Über die Autorin Sophia Sailer studiert seit 2021 den Master Multimedia und Autorschaft, arbeitet aktuell für verschiedene Social Media Formate des WDR und hat bereits Texte bei Neues Deutschland, Edition F oder dem Missy Magazin veröffentlicht. Zudem war sie im Bachelor als Musikchefin beim Campusradio eldoradio* tätig, während sie ihren Abschluss in Angewandten Literatur- und Kulturwisschenschaften gemacht hat. Dementsprechend spricht oder schreibt sie am liebsten über Themen rund um Kultur und Gesellschaft.

MDR (Sarah-Maria Köpf)

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