Kommentar zur Suspendierung Stadtrat holt "Supermann" Wiegand vom Himmel

07. April 2021, 21:49 Uhr

In Halle hat der Stadtrat am Mittwoch entschieden, dass Oberbürgermeister Bernd Wiegand vom Dienst suspendiert wird. Das Verfahren könnte zwar Monate dauern, führungslos wird Halle deshalb aber nicht sein. Ein Kommentar.

Der Stadtrat von Halle hat auf einer Sondersitzung die Suspendierung von Oberbürgermeister Bernd Wiegand beschlossen. Der erste Beigeordnete und Bürgermeister Egbert Geier soll die Amtsgeschäfte übernehmen. Wiegand wird vorgeworfen, Bestimmungen zur Impfreihenfolge bewusst missachtet zu haben.

Seit über zwei Monaten gibt es ständig neue Vorwürfe gegen Wiegand wegen Unregelmäßigkeiten beim Impfen in Halle. Genauso lange wehrt sich der Oberbürgermeister dagegen. Er präsentiert Protokollvermerke von Sitzungen des Katastrophenschutzstabes, von denen er später selber einräumt, dass sie erst Wochen später angefertigt wurden. Er spricht von Anfang an von einem transparenten Verfahren, nach dem sogenannte Restdosen in Halle verimpft würden. Einmal ist es ein Zufallsgenerator, mit dem Personen auf einer Liste ausgewählt werden. Später sagt er, dass nach einem "Sechs-Augen-Prinzip" ausgewählt worden sei. Wahrscheinlich stimmt nichts von alledem.

Suspendierung für Aufklärung

Die Widersprüche in den Erklärungen Wiegands sind augenfällig. Seit dem Beginn der Pandemie schmückt sich Wiegand mit einer täglichen Pressekonferenz im Internet. Doch als Journalisten immer drängender nachfragen, was genau beim Impfen in Halle vor sich geht, blockt das Stadtoberhaupt. Er lässt seinen Pressesprecher den zugeschalteten Jounalisten vor Beginn der Konferenz mitteilen, dass Fragen zum Thema Impfen nicht beantwortet würden. Die Fragen kommen trotzdem. Kurzerhand wird das Format eingestellt, nicht ohne einen letzten Angriff auf die Pressevertreter. Es gäbe kein Interesse mehr an Informationen zur Pandemie. So wird das Ende der Veranstaltung begründet.

Auch im Stadtrat wird immer wieder kritisiert, dass der Oberbürgermeister die Aufklärung der Vorgänge mehr behindert als befördert. Anfragen an den OB und dessen selbstherrliche, widersprüchliche Rechtfertigungen in Ratssitzungen bringen das Fass zum Überlaufen. Als das Landesverwaltungsamt das Disziplinarverfahren einleitet, bleibt Wiegand im Amt. Inzwischen ermittelt auch die Staatsanwaltschaft. Das Oberbürgermeisterbüro wird durchsucht. Akten werden sichergestellt.

Einige Fraktionen im Stadtrat fordern jetzt offen, Wiegand zu verbieten, die Amtsgeschäfte zu führen. Auf einer Sondersitzung soll darüber debattiert werden. Ein erster Anlauf scheitert, weil die Einladungen zu spät verschickt wurden. Jetzt hat die Sitzung stattgefunden. Wiegand hat auf die Möglichkeit verzichtet, sich zu erklären. Er kam nicht. Über zwei Drittel der Räte stimmten für den Antrag von Linken, FDP, SPD und Grünen. Der Oberbürgermeister wird suspendiert.

Folgen des Ratsbeschlusses

Der Beschluss ist das Eine. Doch damit er wirksam wird, muss die Vorsitzende des Stadtrates eine Verfügung ausarbeiten und die muss dem Oberbürgermeister persönlich übergeben werden. Beeilen braucht sich die Vorsitzende bei der Ausarbeitung nicht. Der Oberbürgermeister ist im Urlaub. Ob Bernd Wiegand abgetaucht ist oder wirklich mal ausspannen will, weiß niemand. Aber das bedeutet, dass der erste Beigeordnete und Bürgermeister Egbert Geier sofort die Amtsgeschäfte übernehmen muss. So weit, so gut.

Doch Bernd Wiegand wäre nicht Bernd Wiegand, wenn er nichts gegen den Ratsbeschluss unternehmen würde. Wiegand kalt stellen, so etwas kommt in seinem Universum nicht vor, genauso wenig wie eigene Fehler. Einen Anwalt hat er schon. Man kennt sich schon länger. Die Kanzlei Nagel und Schloesser hat den OB schon in seinen beiden Untreue-Prozessen vertreten. Ihm war vorgeworfen worden, bei seiner ersten Amtsübernahme Mitarbeiter in seinem persönlichen Umfeld eingestellt und ihnen zu viel gezahlt zu haben. Doch in beiden Prozessen sahen die Richter keine Verstöße und damit auch keinen Schaden für die Stadt und Wiegand wurde frei gesprochen.

Nachrichten

Bernd Wiegand, 2020 10 min
Bildrechte: picture alliance/dpa | Ronny Hartmann

Auch jetzt ist er überzeugt, keine Fehler gemacht zu haben. Sein Anwalt hat schon mal der Kommunalaufsicht geschrieben und die Einstellung des Disziplinarverfahrens gefordert. Allerdings ist es dieses Mal so, dass eine Klage Wiegands den Suspendierungsbeschluss erst einmal nicht stoppt. Er müsste also zu Hause bleiben und in Ruhe abwarten, was die Kommunalaufsicht zu seinem Verhalten ermittelt und auf was die Staatsanwaltschaft stößt.

Ermittlungsbericht belastet Wiegand schwer

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen veruntreuender Unterschlagung von Impfstoffen. Pünktlich zur Sondersitzung des Stadtrates war ein vertraulicher Zwischenbericht der Ermittler durchgestochen worden. Darin wird Wiegand schwer belastet. So soll der OB anfangs von Mitarbeitern verlangt haben, über seine Impfung zu schweigen. Akten sollen manipuliert worden sein. Die vorläufigen Ergebnisse sollen sich vor allem auf Aussagen von Mitarbeitern der Verwaltung stützen. Ein schneller Abschluss der Ermittlungen ist aber nicht in Sicht und auch mögliche juristische Auseinandersetzungen über den Suspendierungsbeschluss könnten Monate dauern.

Jeder ist ersetzbar. Das war nach der Sondersitzung des Stadtrates oft zu hören. Der Satz ist auch eine Reaktion auf die Frage, ob es wirklich klug war, den Steuermann mitten in der dritten Welle der Pandemie abzuberufen. Der Zweifel kommt nicht von ungefähr. Er weist auf ein konstituierendes Merkmal der Wiegandschen Persönlichkeit hin.

Es geht auch ohne den Kapitän

Wiegand sieht sich gern als Macher, der Zweifler und Nörgler hinter sich lässt. Doch dabei steht er sich häufig als größtes Hindernis selbst im Weg. Selbstzweifel scheint der Mann nicht zu kennen. Er ist einfach nicht in der Lage, eigene Entscheidungen und eigenes Handeln kritisch zu betrachten. Auch in der Pandemie steht er für durchsetzungsstarkes Handeln. Dass Halle gerade jetzt eine der höchsten Impfquoten in Deutschland vorzuweisen hat, scheint angesichts der Vorwürfe gegen den Oberbürgermeister geradezu absurd. Aber es ist so und illustriert den Widerspruch.

Doch das heißt nicht, dass der Hauptverwaltungsbeamte als eine Art Supermann alle Widerstände aus dem Weg fegt – zum Wohle der Hallenserinnen und Hallenser. Er könnte das nicht ohne die Fleißarbeit, die täglich in der Verwaltung von Frauen und Männern geleistet wird. Und deshalb fürchten die Stadträte auch kein führerloses Schiff. Was allerdings erstmal fehlen wird, ist die Person, die sich gern als Garant dieser kollektiven Leistung sieht. Und insofern ist vielleicht doch nicht jeder zu ersetzen.

Mehr zum Thema

MDR/Mathias Kessel

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 07. April 2021 | 21:00 Uhr

Mehr aus dem Raum Halle und Leipzig

Mehr aus Sachsen-Anhalt