Zwei Menschen sitzen mit Rücken zur Kamera auf Schwingstühlen am Tisch mit einem blonden jungen Mann
Beim "Speed-Dating" für Seiteneinsteiger in den Lehrerberuf haben sich etwa 50 Menschen beraten lassen und Fragen gestellt. Bildrechte: MDR/Julia Heundorf

Lehrermangel Lehrer als Seiteneinsteiger: Woran Bewerber scheitern

16. Dezember 2022, 10:44 Uhr

In Blankenburg in Sachsen-Anhalt sorgt der Lehrermangel für besonders große Probleme. Eltern haben deshalb im November bereits einen offenen Brief geschrieben: Sie wollen geringere Anforderungen für Seiteneinsteiger. Nun hat das Landesschulamt Menschen getroffen, die ohne Lehramtsstudium ins Lehramt wollen. Die Profile der Bewerberinnen und Bewerber sind sehr unterschiedlich: Vielen fehlt der richtige Abschluss, anderen die Sprachkenntnisse.

Julia Heundorf
Bildrechte: MDR/Kevin Poweska

Im Landkreis Harz fehlen – wie im ganzen Land – Lehrerinnen und Lehrer. Das Land wirbt für Seiteneinsteiger. Interessierte konnten sich in dieser Woche in Blankenburg über den Beruf und Bewerbung ohne Lehramtsstudium informieren, an der "August Bebel-Schule", deren Elternrat wegen des akuten Lehrermangels schon einen offenen Brief geschrieben haben.

Einigen fehlt der Abschluss, andere haben einen Abschluss, aber nicht von einer staatlich anerkannten Uni oder aus Deutschland. Für eine junge Mathematikerin aus Griechenland ist die Sprache die große Hürde.

Beim "Speed-Dating" von Ministerium und Schulamt stellen sich die Bewerberinnen und Bewerber mit ihren Problemen und Fragen vor. Und hoffen auf Unterstützung und Hilfe.

Berufswunsch Sportlehrer

  • Name: Jesús Aparicio
  • Beruf: Sport- und Physiotherapeut
  • will Sportlehrer werden


Jesús Aparicio will Lehrer im Harz werden. Der Spanier ist Sport- und Physiotherapeut in Blankenburg. Für seine Bewerbung als Lehrer hat er eine Absage bekommen. Aparicio erfüllt die Voraussetzungen: Er hat Sport in Granada studiert, sein Zeugnis wurde von der Kultusministerkonferenz für Deutschland anerkannt. Ausreichende Deutschkenntnisse konnte der Spanier nachweisen, der mit seiner Familie im Harz lebt.

Beim "Speed-Dating" für Seiteneinsteiger in Blankenburg will er wissen, was er tun muss, damit seine Bewerbung erfolgreich ist. Er macht die Runde in dem hohen Saal in der Sekundarschule "August Bebel", in der Fachleute vom Landesschulamt und vom Bildungsministerium Fragen zur Qualifikation und zum Bewerbungsprozess beantworten. Außerdem sind die Schulleiterin der Bebel-Schule vor Ort und Thomas Doll, der selbst seit einem Jahr als Seiteneinsteiger Sportlehrer in Blankenburg geworden ist.

Am Ende der Infoveranstaltung ist Aparicio zuversichtlich: In Blankenburg wird ein Sportlehrer gesucht. Er erfüllt die Voraussetzungen. Er schält sich eine Mandarine und wartet, dass die Schulleiterin Zeit für ein Gespräch hat. Er wird sich gleich heute bei ihr vorstellen und über den Job erkundigen.

Welche Voraussetzungen müssen Seiteneinsteiger für den Lehrer-Beruf erfüllen? Wer in Sachsen-Anhalt Lehrerin oder Lehrer an einer Grundschule, Sekundarschule oder einem Gymnasium werden will, aber nicht speziell dafür studiert hat, muss mindestens einen Bachelor- oder Diplom-Abschluss nachweisen. Aus dem Studium muss sich ein Schulfach oder ein Neigungsfach ableiten lassen. Ein einfaches Beispiel: Wer Physik studiert hat, aber nicht auf Lehramt, käme mit diesen Voraussetzungen als Lehrerin oder Lehrer für Physik im Seiteneinstieg infrage.

Wer nicht Deutsch als Muttersprache hat, muss außerdem das Sprachniveau C1 nachweisen.

Promovierte Mathematikerin will lehren

  • Name: Dr. Lamprini Ananiadi
  • Beruf: Mathe-Nachhilfelehrerin und Verkäuferin
  • will Mathelehrerin werden


Bei Lamprini Ananiadi sind die Deutschkenntnisse die Hürde auf dem Weg zum Lehrerinnenjob. Die Griechin ist promovierte Mathematikerin und unterrichtet bereits ich ihrem eigenen Lehr-Institut für Mathematik in Wernigerode, zu dem etwa Schülerinnen und Schüler aller Klassenstufen für Nachhilfe kommen.

Ihre Deutschkenntnisse hat sie mit einem B2-Zertifikat abgeschlossen, das eine Stufe unter dem geforderten C1-Niveau liegt. Das Problem sei auch, dass es im Harz schwierig ist, das Zertifikat zu machen. Die nächste Prüfungsstelle sei in Braunschweig.

Ihren Doktor hat sie an der Uni Magdeburg gemacht. "Dann habe ich gelernt, dass man nicht unbedingt ein Lehramtsstudium haben muss, um Lehrer hier in Deutschland zu werden", erzählt sie.

Sie bewarb sich direkt als Seiteneinsteigerin und kam bis zum Vorstellungsgespräch. Nun versucht sie es erneut und fragt beim "Speed-Dating" in Blankenburg Einzelheiten zur Bewerbung nach. Mit einem Teil-Erfolg: Eine Beraterin verspricht ihr, ihren Fall noch mal weiterzugeben.

Lehrerin ohne Staatsexamen

  • Name: Anne Anderfuhr
  • Lehramtsstudium: Check ✅
  • Abschluss: fehlt ❌


Anne Anderfuhr hat Lehramt studiert, musste aber kurz vor dem Staatsexamen abbrechen, sagt sie. Wie vielen andere im Raum fehlt ihr der Studienabschluss. Anders als die meisten hat sie jedoch Lehramt studiert.

Nun ist sie in Elternzeit und sagt: "Ich würde danach gerne doch wieder zurück zu dem, was ich mir eigentlich nach dem Abitur ausgesucht habe." Also Lehramt studieren. Anderfuhr hofft, dass sie in Blankenburg vom Landesschulamt oder vom Bildungsministerium eine Möglichkeit aufgezeigt bekommt.

Wie die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommt Anderfuhr aus dem Landkreis Harz und will auch in der Region bleiben und arbeiten. 89 Lehrerinnen und Lehrer werden im Kreis derzeit gesucht.

Tobias Kühne, Berater vom Landesschulamt, sagt MDR SACHSEN-ANHALT, er wolle nicht ausschließen, dass an den bisherigen Voraussetzungen noch gerüttelt wird. Bis vor ein paar Jahren seien die Zugangsvoraussetzungen für den Seiteneinstieg ins Schulwesen auch noch ganz andere gewesen. Im Moment komme man um den Bachelor nicht herum, "aber der Lehrermangel ist groß und erdrückend. Und in den letzten Jahren hat sich da viel entwickelt."

Der "falsche" Bachelor-Abschluss

  • Name: Christoph Weber
  • Beruf: IT-Projektleiter
  • will nicht aus finanziellen Gründen Lehrer werden


Christoph Weber ist Projektleiter im IT-Bereich bei einem Schulbuchverlag. Seinen Abschluss in Betriebswirtschaft hat er von einer Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie. Er sagt: "Ich war halt immer irgendwo permanent im Job. Deswegen hab ich mein Studium nebenbei gemacht und bin nicht an die Uni gegangen, sondern hab gedacht: Okay, das kannst du nebenbei neben dem Job machen."

Er hat sich als Lehrer beworben und wurde abgelehnt. "Aber da sich die Zulassungsvoraussetzungen ja permanent ändern, muss man einfach noch mal nachfragen", sagt er.

Lehrer sein, würde ihm Spaß machen und ihn mehr erfüllen, glaubt Weber: "Aus finanziellen Gründen mach ich das auf jeden Fall nicht", lacht er. Was der Job mit sich bringt, weiß Weber von seiner Frau. Auch sie ist Lehrerin in der Region Harz.

Von der Erzieherin zur Grundschullehrerin

  • Name: Sophie Oppermann
  • Ausbildung: Erzieherin und abgebrochenes Lehramtsstudium
  • Traumberuf: Grundschullehrerin


Sophie Oppermann ist Erzieherin und würde gern Lehrerin werden, an einer Grundschule: "So die Kleinen, das ist schon mehr meins." Schon jetzt würde sie im Kindergarten sehr schulisch arbeiten und den Kindern Wissen zu vermitteln. Im Gegensatz zur Arbeit im Kindergarten könnte sie als Lehrerin aber einen Teil der Arbeit zuhause erledigen. "Das wäre eine großer Erleichterung für mich, weil ich alleinerziehend bin", sagt sie.

Auch der 32-Jährigen fehlt der Bachelor-Abschluss, obwohl sie nach der Ausbildung ein Lehramtsstudium begonnen hatte. Falls die Qualifikation fürs Lehramt nicht reicht, fragt Oppermann beim Termin in Blankenburg auch gleich die Beraterinnen und Berater über pädagogische Mitarbeit aus. Wie für einige andere an diesem Abend, wäre auch das eine Option.

Aus der freien Wirtschaft ins Lehramt – der Erfolg

Einer, der den Seiteneinstieg geschafft hat, ist Thomas Doll. Er hat zuerst Sport und Technik studiert, dann Produktentwicklung und zunächst bei Volkswagen gearbeitet, dann in Ilsenburg bei Thyssen Krupp. Eigentlich wollte Doll Sportgeräte entwickeln. Er sagt: "Irgendwann hat mir das Zwischenmenschliche gefehlt und immer nur zwischen Büro und Produktionsanlage herzuspringen hat mich irgendwann nicht mehr erfüllt."

Während der Pandemie hat er sich entschieden, den Beruf zu wechseln. Bei seiner Frau, die Grundschullehrerin ist, habe er gesehen, wie viel sie darum gekämpft hat, die Kinder zu unterrichten, Videos zu drehen, Eltern anzurufen, für die Kinder präsent zu sein. "Und ich war im Homeoffice", sagt Doll, "Zwei Tage die Woche, und den Rest passierte nichts." Der neue Job ist für ihn eine Herausforderung.

Für den Seiteneinstieg hat Doll seine Bewerbung und seine Unterlagen eingeschickt, die Fächer passten, er musste sich für eine Schulform entscheiden und zum psychologischen Gespräch. Er wurde angenommen und ging musste zum vierwöchigen Crashkurs. Dort lernte er, wie man Unterricht plant und gestaltet. Seit einem Jahr unterrichtet er in Blankenburg und sagt: "Dieses Jahr hat mir gezeigt, dass es genau die richtige Entscheidung war."

MDR (Julia Heundorf) | erstmals veröffentlicht am 15.12.2022

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 14. Dezember 2022 | 12:40 Uhr

21 Kommentare

Altlehrer am 16.12.2022

Ist schon etwas komplexer. Eine zentrale Mathematikprüfung besteht ein Schüler nur, wenn er durch viel Übung die entsprechenden Kompetenzen erworben hat. Dabei geht es nicht um Stoffaneignung sondern um Methodenanwendung. Die flexible Anwendung mathematischer Algorithmen ist das Ergebnis intensiven ständig wiederholten gut durchdachten Aufgabenlösens. Das Problem ist oft die fehlende Bereitschaft dazu; sowohl seitens der Schüler als auch der Lehrer.

DER Beobachter am 16.12.2022

Weiss nicht, was OvG jetzt ist. Viel liegt am Dozenten/Lehrstuhlinhaber, insofern halte ich das nicht für verallgemeinerbar. Problematisch ist allerdings generell, dass es zu wenig Leute gibt, die den mittleren Bildungsweg mal unterrichten wollen bzw. zu wenig dafür willige Fachdidaktikdozenten...

Shantuma am 16.12.2022

Da ist keine Ironie.
Es ist ein Unterschied ob man pädagogische Inhalte erlernt, also Bolemie-Lernen (sehr beliebt), oder Kompetenzen erlernt.
Das eine ist schlicht der Inhalt und das Vorbeten von pädagogischen Konzepten etc. Das andere ist das korrekte Anwenden genau dieser und warum diese entsprechend auch funktionieren, oder eben nicht.

Die restliche Bemühungen beziehen sich auf den vermittelten Stoff, welcher mehr auf Bolemie-Lernen setzt als auf richtiges Lernen. Darunter fällt Interesse wecken, man muss junge Leute heute anders ansprechen als vor 15 Jahren.
Und dort harpert es massiv an den Formationen, welche die Lehrpläne zusammenstellen.
Mit neuen Konzepten meine ich nicht den bunten TikTok-Blödsinn, den jeder Grippe-Spreader (Anspielung auf soziale Medien) mit sich trägt.
Sondern man muss das Interesse für das hier und jetzt wieder entfachen.

Für Lehrer ist es somit auch nur noch wichtig, die Leute durch die Prüfung zu bekommen. Wissen spielt faktisch keine Rolle.

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