Regionaler Dialekt Letzte Plattdeutsch-AG in der Altmark vor dem Aus

01. März 2023, 15:51 Uhr

Es wird immer schwieriger, in Sachsen-Anhalt die plattdeutsche Mundart auch für kommende Generationen zu bewahren und zu pflegen. Der Nachwuchs fehlt. Jetzt werden auch die engagierten Lehrkräfte knapp, die den Kindern die alte Heimatsprache beibringen könnten. Die erfolgreichste Arbeitsgemeinschaft für das Altmärker Platt zum Beispiel könnte mit dem Schuljahresende abrupt aufgelöst werden.

Heike Kurze ist nicht wohl bei dem Gedanken, mit Abschluss des Schuljahres in Rente zu gehen. Sie war gern Lehrerin und hat sich landesweit als Leiterin der Plattdeutsch-AG an der Grundschule Flessau einen Namen gemacht. Die Gruppe interessierter Kinder brachte etliche unterhaltsame Programme auf die Bühnen der Altmark – mit plattdeutschen Liedern, Sketchen, Gedichten. Einige der Mädchen und Jungen waren lange ganz vorn bei den landesweiten plattdeutschen Vorlesewettbewerben.

Die Grundschüler haben das Plattdeutsche wie eine Fremdsprache gelernt. Ihre Eltern sprechen kein Platt mehr, nur wenige verstehen es noch. Es war an Heike Kurze, die Kinder zu überzeugen, dass das Plattschnacken Spaß macht und dass es immer noch einen Teil des altmärkischen Heimatgefühls ausmacht.

Warum ist Plattdeutsch heutzutage beinahe eine Fremdsprache? Noch bis Anfang der 1950er-Jahre wurde im ländlichen Raum in der Altmark, im Harz und in der Börde Platt geschnackt.

Dann aber entschied die Staatsführung: Das Plattdeutsche ist eine niedere Sprache, ihr Gebrauch wurde an Schulen und in öffentlichen Einrichtungen verboten. Binnen weniger Jahre verschwand das Plattdeutsche damit auch aus den Familien.

Einer der herausragenden jungen Plattschnacker an der Grundschule Flessau war Ludwig Uhrhan. Er gewann mehrmals den landesweiten Vorlesewettbewerb. Nun aber geht Ludwig aufs Gymnasium in Osterburg. Dort gibt es keine Plattdeutsch-Gruppe. Seine ehemalige Flessauer Lehrerin aber hofft, dass der Junge den Weg zurück zur Mundart findet.

Ausverkauftes plattdeutsches Dorftheater

Immerhin gibt es in seinem Nachbardorf, in Gladigau, das Dorftheater. Seit 21 Jahren spielt das überregional bekannte Laientheater plattdeutsche Komödien. Nachwuchsschauspieler – vor allem die mit einem Faible für die Mundart – werden immer gesucht. Mehr als 1.600 Menschen besuchen in dieser Spielzeit wieder die Aufführungen des Dorftheaters. Premiere des aktuellen Stücks ist am 4. März; alle Vorstellungen sind ausverkauft.

Plattdeutsch heute: Auch Prominente wie Ina Müller und das Ohnsorg-Theater halten Sprache am Leben

TV-Talkerin und Sängerin Ina Müller hat bis zu ihrer Einschulung nur Plattdeutsch gesprochen.

Plattdeutsche Lesungen gebe sie inzwischen aber nicht mehr. "Ich hätte auch gerne mit meinen Plattdeutsch-Lesungen und Geschichten weitergemacht, aber ich habe gemerkt, dass ich dadurch zu doll auf dieses Heimatthema festgenagelt wurde", sagte Müller, die heute in Hamburg lebt.

Am dortigen Ohnsorg-Theater werden fast ausschließlich Stücke auf Platt aufgeführt.

Das Theater gibt es seit mehr als 100 Jahren, es ist in der deutschen Theaterlandschaft eine Institution.

Zu den Stars des Theaters gehörten Heidi Kabel und Henry Vahl. Seit 2020 bietet das Theater bei ausgewählten Vorstellungen hochdeutsche Untertitel an.

Damit werde nicht nur der Zugang zur plattdeutschen Sprache erleichtert. Gleichzeitig können nun auch hörbehinderte Menschen die Theaterstücke mitverfolgen.

Für Norbert Lazay, Regisseur des Dorftheaters, ist das das Zeichen: Die Leute wollen aufs Platt nicht verzichten. Das Publikum habe im Lauf der 21 Jahre auch gewechselt, jetzt säßen 40- bis 45-Jährige im Saal. Die seien nicht mit dem Altmärker Platt aufgewachsen, verstünden die Mundart aber und amüsierten sich im Dorftheater köstlich.

Dass Erhalt und Pflege des Plattdeutschen immer schwieriger werden, spüren auch die Fachleute der Arbeitsstelle Niederdeutsch der Magdeburger Otto-von-Guericke-Universität. Direktorin Saskia Luther sagte MDR SACHSEN-ANHALT, es gebe nur noch wenige plattdeutsche Arbeitsgemeinschaften an Schulen in Sachsen-Anhalt. Hauptgrund sei, dass die Lehrerinnen und Lehrer, die die Gruppen leiteten, in Rente gegangen sind und Nachfolger nicht gefunden werden konnten.

Plattdütsch-Büdel: Ohne Vorkenntnisse wenig erfolgreich

Während der Corona-Lockdown-Zeit durften sich die Arbeitsgemeinschaften in den Schulen nicht treffen; spätestens da lösten sich die restlichen auf. Es gebe, sagte Saskia Luther, vor allem im Harz und in der Börde noch Plattdeutsch-Gruppen in Schulen. In der Altmark sieht es jedoch – vor allem mit den Flessauer Perspektiven – ziemlich düster aus für den Erhalt des Platt.

Die Arbeitsstelle Niederdeutsch hat, um die Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstätten und die Lehrer und Lehrerinnen in den Grundschulen zu unterstützen, den sogenannten Plattdütsch-Büdel erfunden. In der Stofftasche sind Lehr- und Lernmaterialien zur plattdeutschen Sprache: Bilder, Rätsel, Bücher, DVDs und CDs. Die hundert Büdel, die aufgelegt worden waren, seien von Einrichtungen in Sachsen-Anhalt angefordert und verschickt worden, freut sich die Direktorin der Arbeitsstelle. Dennoch hat es im vergangenen Jahr – so lange ist der Plattdütsch-Büdel in den Einrichtungen – keine neuen Plattdeutsch-Gruppen oder -Kinderveranstaltungen gegeben.

Endgültiges Aus für Plattdeutsch-AG?

Auch die Kindertagesstätte im altmärkischen Kossebau hat einen Plattdütsch-Büdel bekommen. Leiterin Kornelia Krüger aber ist in dieser Hinsicht noch nicht weitergekommen. Sie selbst könne das Altmärker Platt noch verstehen, sagt sie. Sprechen könne sie es nicht, müsste es lernen wie eine neue Fremdsprache.

Dafür fehlten ihr, so Kornelia Krüger, Zeit und Muße. Sie soll ihre Kita auch noch in anderen Richtungen profilieren, unter anderem in Sachen Digitalisierung. Um das Plattdeutsche nach vorn zu bringen, es jungen Generationen schmackhaft zu machen, brauche es die richtigen Köpfe, sagte die Kita-Leiterin. Lehrmaterialien allein brächten da kaum jemanden weiter.

Für die Flessauer Plattdeutsch-Vorreiter gibt es indes eine winzige Hoffnung. Heike Kurze, die bisherige Leiterin der Plattdeutsch-AG an der Grundschule, denkt darüber nach, die Gruppe weiterzuführen, einmal pro Woche aus dem Ruhestand zurück an die Schule zu kommen, damit die plattdeutsche Tradition nicht abbricht. Das sagte sie MDR SACHSEN-ANHALT. Dennoch sehe auch sie: Auf Dauer braucht es eine Nachfolgerin, einen nachfolgenden Kollegen. Bislang hat sich niemand aus dem Kollegium freiwillig gemeldet.

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MDR (Katharina Häckl, Hannes Leonard)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 01. März 2023 | 08:30 Uhr

3 Kommentare

Ein Dorfjunge am 02.03.2023

Dann mal kleinere Anmerkungen von mir.

Plattdeutsch ist keine Mundart, sondern eine Sprache, nämlich niederdeutsch. Plattdeutsch wird in den regional unterschiedlichsten Dialekten gesprochen und wird selbst in Brasilien oder in den USA gesprochen.

Irgendwie auch passend zum Thema findet heute im Bundestag eine Debatte auf Plattdeutsch, sorbisch, friesisch und dänisch statt. Thema: Erhalt der Minderheiten- und Regionalsprachen.
Angestoßen vor allen von Abgeordneten aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen, interessanterweise setzen sich dort vor allen die SPD und die Grünen für den Erhalt der Sprachen ein.
Aus S-A hatte sich bisher kein Abgeordneter besonders hervorgetan Plattdeutsch zu schützen und zu bewahren.

Aber nicht nur die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht, auch der MDR sollte sich in Zukunft öfters dem Plattdeutschen widmen, ganz so wie es seit langen der NDR tut. Mehr Texte und Beiträge auf Platt z.B.

Erichs Rache am 01.03.2023

@Frau Häckl,

könnten Sie sich mit Ihrem Kollegen Wittstoch besprechen, was Sie hier auf der Internetpräsens des MDR zum Besten geben????

Vor ein paar Tagen hat Ihr Kollege Wittstock noch von Vereinen im einewelt haus Magdeburg berichtet, deren Zielsetzung es ist "die eigene Sprache und Kultur zu bewahren und zugleich das Zusammenleben mit Menschen aus anderen Regionen zu verbessern."

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/magdeburg/magdeburg/einewelt-haus-uno-kleinformat-urkaine-100.html

So sehr ich dieses kleinstaatliche Engagement auch begrüße, komme ich nicht umhin festzustellen, dass "die Politik" die Mehrheitsgesellschaft seit Jahren diskriminiert und man als Bürger daher nicht erst seit heute auf den Gedanken kommt, auch einen Verein zu gründen, "um die eigene Sprache und Kultur zu bewahren"!

Können Sie sich eigentlich vorstellen, das es eine Form der KULTURELLEN ANEIGNUNG ist, wenn man im eigenen Land die eigene Sprache und Kultur nicht mehr pflegen kann????

astrodon am 01.03.2023

Wenn es keiner mehr sprechen möchte ist das Aussterben nur konsequent. Was nicht gebraucht wird atrophiert.

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