Collage: Bernd-Volker Brahms und CDU-Fahnen
Im Kreisverband der Stendaler CDU rumort es. Bildrechte: MDR/Hannah Singer, picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Interne Querelen Stendaler CDU-Spitze gespalten – zwei Frauen verlieren Vorstandsposten

von Bernd-Volker Brahms, MDR SACHSEN-ANHALT

03. Januar 2024, 17:28 Uhr

Im Kreisverband der CDU in Stendal rumort es – und das quasi seit Jahren. Schon länger steht der Kreisverband in der Kritik, interne Diskussionen selten auszutragen, Kritiker an den Rand zu drängen. In der Vergangenheit gab es mehrere Austritte. Nun sind es zwei Frontfrauen, die ihren Posten im Stendaler Kreisvorstand verloren haben. Eine Analyse.

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Annegret Schwarz lässt sich die Niederlage nicht weiter anmerken. "Das ist eine demokratische Wahl gewesen", sagt die 58-Jährige. Bei der Mitgliederversammlung der Kreis-CDU wurde sie aus dem 18-köpfigen Kreisvorstand der Partei herausgewählt. Das gleiche Schicksal ereilte die CDU-Landtagsabgeordnete Xenia Kühn aus Stendal. Sie ist seit zwei Jahren Vorsitzende des einstmals starken CDU-Ortsverbandes Stendal und auch Vorsitzende der Frauen-Union im Landkreis Stendal.

Die beiden Frauen gehören zu den wenigen Amtsträgern ihrer Partei im Landkreis Stendal. Annegret Schwarz ist sogar die einzige verbliebene hauptamtliche Bürgermeisterin mit einem CDU-Parteibuch. Unlängst wurde sie für weitere sieben Jahre als Verwaltungschefin wiedergewählt. "Ich kann mich über die Unterstützung meiner Partei nicht beklagen", sagt sie diplomatisch.

CDU-Kreischef Schulenburg lässt Anfrage unbeantwortet

Bei der Mitgliederversammlung in Tangermünde Anfang Dezember war es mit der Unterstützung allerdings vorbei. Über die Gründe möchten viele in der Partei und auch Annegret Schwarz nicht offen sprechen. Anfragen des MDR an den Kreisvorsitzenden und Landtagsabgeordneten Chris Schulenburg blieben unbeantwortet.

Porträt Chris Schulenburg, CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt
Der CDU-Landtagsabgeordnete und Stendaler Kreisvorsitzende Chris Schulenburg Bildrechte: MDR/Engin Haupt

Schulenburg war auf der Sitzung mit einem Ergebnis von etwas mehr als 60 Prozent für weitere zwei Jahre als Kreisvorsitzender wiedergewählt worden – und das ohne einen Gegenkandidaten. Die mäßige Zustimmung drückt auch interne Kritik am Führungsstil Schulenburgs aus. Auch aus dem Kreise seiner Unterstützer gibt es offenbar kritische Stimmen, die ihm mangelnde Kommunikation vorwerfen.

Kühn zog statt Urgestein Güssau in den Landtag ein

Dass die Partei nun auch zwei Frauen aus dem Kreisvorstand nicht wiedergewählt und durch ziemlich unbekannte Parteimitglieder ersetzt hat, wirft dennoch ein entsprechendes Licht auf einen Kreisverband, der sich nach dem Wahlskandal von vor acht Jahren immer noch nicht wieder richtig konsolidiert zu haben scheint.

Die 42-jährige Xenia Kühn – ehemals Schüßler – vermutet, dass ihre Abwahl auch damit zu tun haben könnte, dass sie vor zwei Jahren bei der Aufstellungsversammlung zur Landtagswahl dem Stendaler Urgestein Hardy Peter Güssau gewissermaßen "in den Rücken gefallen" sei und statt seiner den Platz für die Direktwahl ergatterte und letztlich auch ins Landesparlament einzog.

Beide Frauen hatten im Vorstand Kritik geäußert

Bei der Mitgliederversammlung der Kreis-CDU, wo es jetzt um den neuen Kreisvorstand ging, waren auch Güssau und der ehemalige CDU-Kreisvorsitzende Wolfgang Kühnel mit dabei. Güssau musste 2016 im Zuge des Wahlskandals um gefälschte Wahlunterlagen eines CDU-Mitglieds den Posten als Landtagspräsident räumen. Kühnel war im vergangenen Jahr zu einer Schadensersatzzahlung wegen der Wahlfälschung verurteilt worden. Sowohl Güssau als auch Kühnel treten für die Partei in der Öffentlichkeit nicht mehr in Erscheinung.

Streit um viel EU-Geld

Fakt ist, dass die beiden CDU-Frauen interne Diskussionen angestoßen hatten, wie sie selbst sagen. Im Fokus stand eine Auseinandersetzung um zwei konkurrierende LEADER-Fördervereine. Dabei geht es um viel Geld von der EU. Die beiden CDU-Lokalpolitiker Karsten Rottstädt und Lutz Rosenkranz aus Arneburg hatten im Sommer 2022 überraschend das Ruder bei einer LEADER-Vereinsgründung übernommen und sich damit vor allem gegen die Bürgermeister Nico Schulz aus Osterburg, Rüdiger Kloth aus Seehausen, René Schernikau in Arneburg-Goldbeck sowie Annegret Schwarz aus Bismark gestellt.

Schulz und Kloth sind ehemalige CDU-Mitglieder, die im Zuge des Wahlskandals aus der Partei gedrängt wurden, weil sie einen offenen Umgang mit den Ereignissen gefordert hatten. Die Bürgermeister hatten 2022 die für die Fördergeldakquise notwendige LEADER-Vereinsgründung vorbereitet. Annegret Schwarz hatte von einer "Übernahme" gesprochen, andere nutzten das Wort "Kaperung".

Was ist LEADER?

Auf einer Sachsen-Anhalt-Karte sind unterschiedliche Regionen in unterschiedlichen Farben eingezeichnet.
In Sachsen-Anhalt gibt es 24 Lokale Aktionsgruppen, sogenannte LAGs. Bildrechte: Finanzministerium Sachsen-Anhalt

LEADER steht kurz für "Liaison entre actions de développement de l'économie rurale“, zu Deutsch: Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft. LEADER ist ein Gemeinschaftsinitiative der Europäischen Union, die Vorhaben und Projekte lokaler Akteurinnen und Akteure im ländlichen Raum fördert. Sogenannte Lokale Aktionsgruppen (LAGs) erarbeiten vor Ort Lokale Entwicklungsstrategien (LES) und entscheiden nach einem "bottom up"-Prinzip (zu Deutsch: von unten) möglichst eigenständig, welche Vorhaben mit den vorhandenen Fördermitteln unterstützt und umgesetzt werden sollen. Seit der jetzigen Förderperiode von 2021-2027 müssen diese LAGs als Verein eingetragen sein.

LEADER umfasst drei Fonds:

  • ELER: Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes
  • EFRE: Europäischer Fonds für regionale Entwicklung
  • ESF+: Europäischer Sozialfonds


Insgesamt stehen dem Land Sachsen-Anhalt 315,8 Millionen Euro für LEADER/CLLD zur Verfügung. Davon sind 165,8 Millionen Euro im ELER-Topf, knapp 19 Millionen im EFS+ und im EFRE-Topf sind 140 Millionen Euro, davon 25 Millionen Euro für die LEADER-Managements der 24 LAGs.

In Sachsen-Anhalt gibt es 24 LAG-Regionen, die flächendeckend das ganze Land abdecken. Neu dazu kamen die kreisfreien Städte Magdeburg, Halle und Dessau:

Bürgermeister gründeten neuen Verein

Die Bürgermeisterriege gründete daraufhin einen neuen Verein und bekam durch das Finanzministerium Magdeburg 2023 auch den Zuschlag für die Verteilung der künftigen Fördergelder. Rottstädt und Rosenkranz gingen juristisch gegen die Entscheidung vor, unterlagen aber im November vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg.

Aus Kreisen der CDU heißt es, dass die LEADER-Geschichte der Partei im Landkreis Stendal nicht gutgetan habe. Der Vorsitzende Chris Schulenburg hatte sich nicht eingeschaltet. Auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT hatte er seinerzeit geäußert, dass die Angelegenheit ihn und die Kreis-CDU nicht tangiere. Zu dem Zeitpunkt gehörten sowohl Karsten Rottstädt als auch Annegret Schwarz dem Kreisvorstand der CDU an – und begegneten sich in der Sache unlängst vor Gericht.

Schwarz will erneut für Vorstand kandidieren

Bürgermeisterin Schwarz will nicht nachtreten. "In zwei Jahren sind wieder Vorstandwahlen. Dann trete ich wieder an", sagt sie. Die CDU sei weiterhin ihre politische Heimat. "Wenn ich mich jetzt zu dolle ärgere, dann freuen sich nur diejenigen, die mich aus dem Kreisvorstand rausgewählt haben."

Xenia Kühn gerät in der CDU-Landtagsfraktion in die Defensive. Das Tischtuch mit dem Kreisvorsitzenden Chris Schulenburg und auch dem Tangermünder CDU-Landtagskollegen Thomas Staudt ist offensichtlich zerrissen.

Staudt, der stellvertrender Vorsitzender im CDU-Kreisverband ist, hatte Kühn schon vor einem Jahr aus dem Verwaltungsrat der Sparkasse entfernen wollen. Ohne Absprache mit ihr hatte Staudt als Fraktionsvorsitzender im Kreistag einen Postenverzicht von Kühn angekündigt und einen Tangermünder Parteikollegen wählen lassen. Die Wahl im Kreistag musste annulliert werden, da sie nicht rechtskonform war.

MDR (Bernd-Volker Brahms, Felix Fahnert)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 29. Dezember 2023 | 12:00 Uhr

1 Kommentar

hilflos vor 17 Wochen

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