Schild zeigt drei gezeichnete spielende Kinder mit der Aufschrift "Kindertagesstätte Anne Frank"
International in den Schlagzeilen: die Kita "Anne Frank" in Tangerhütte Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Peter Gercke

Tangerhütte Kita "Anne Frank": Internationale Kritik an geplanter Umbenennung

09. November 2023, 10:52 Uhr

Mittlerweile gibt es international Kritik an der geplanten Namensänderung der Kita "Anne Frank" in Tangerhütte. Die Fraktionen im Stadtrat wollen der Umbenennung nicht zustimmen. Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel hat der Stadt und Ministerpräsident Haseloff einen offenen Brief geschrieben.

In Tangerhütte im Landkreis Stendal wird über die Umbenennung einer Kita diskutiert. Wie die Magdeburger Volksstimme berichtet, soll die städtische Einrichtung "Anne Frank" in Zukunft "Weltentdecker" heißen. An den Plänen gibt es Kritik.

Stadtratsfraktionen positionieren sich gegen Umbenennung

Auch die Fraktionen des Stadtrates in Tangerhütte lehnen eine Umbenennung der Kita ab. Das bestätigte der Vorsitzende des Stadtrats, Werner Jacob (CDU), MDR SACHSEN-ANHALT. Die Zeitung Welt berichtete zuerst darüber. Ein entsprechendes Positionspapier sei von den Fraktionen CDU/FDP, UWGSA, SPD, Die Linke, WG Zukunft, WG Altmark und WG Lüderitz unterzeichnet. Darin werde der Bürgermeister Andreas Brohm aufgefordert, "dieser Umbenennung eine klare Absage zu erteilen". Da die Kindertagesstätte eine städtische Einrichtung ist, muss der Stadtrat einer Namensänderung zustimmen.

In der gemeinsamen Stellungnahme der Fraktionen des Stadtrates von Tangerhütte heißt es weiter: Die Behauptung, der Name Anne Frank sei für Kinder nur schwer vermittelbar, zeuge von "Geschichtsvergessenheit" und sei zudem unwahr. Die Geschichte lehre, dass es keine Selbstverständlichkeit sei, in Frieden und Freiheit zu leben und diese Werte müssten verteidigt werden. "Geschichten wie die der Anne Frank zeigen, wie wichtig das ist und die aktuellen Ereignisse machen dies noch eindringlicher."

Aus diesem Grund wird der Stadtrat der Umbenenung nicht zustimmen, so Jacob. Damit ist eine Namensänderung wohl vom Tisch. Die Fraktionen im Stadtrat wollen am Mittwoch eine gemeinsame Erklärung abgeben. Die Eltern der Kita-Kinder sind weiterhin für eine Umbennenung.

Kritik: "Umbenennung ist falsches Signal"

Der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Magdeburg, Tobias Krull, sprach von einem falschen Signal. Zwar seien Träger von Kindertageseinrichtungen grundsätzlich frei in ihren Entscheidungen zur Namenswahl, dennoch sei bei einem solchen Vorhaben Sensibilität gefragt.

Kritik kam unter anderem auch vom Verein "Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt". Auf der Plattform X (ehemals Twitter) hieß es, die Änderung des Namens der Kita "Anne Frank" sei in einer Zeit des erstarkenden Antisemitismus ein falsches Signal. "Gerade jetzt braucht es eine hohe Sensibilität für die Wirkung zeichenhafter Umbenennungen."

Brief aus Yad Vashem an Stadt und Land

Von einem "alarmierenden Signal" schreibt der Vorsitzende der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel, Dani Dajan, in einem Brief an Bürgermeister Brohm und Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Weiter schrieb er: "Was für eine pädagogische Botschaft wollen Sie den Bewohnern der Stadt senden, indem Sie den Namen der Einrichtung ändern? Wollen Sie damit andeuten, dass Anne Franks Vermächtnis nicht mehr relevant ist, insbesondere in einer Zeit, in der der Antisemitismus in Deutschland und in vielen anderen Ländern zunimmt?"

Offener Brief des Internationalen Auschwitz Komitees

Christoph Heubner, Internationales Auschwitz Komitee
Kritik an der Namensänderung kommt auch vom Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner. Bildrechte: picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Auch das Internationale Auschwitz Komitee zeigt sich über den Vorschlag zur Umbenennung bestürzt. "Wenn man die eigene Geschichte gerade in diesen Zeiten von neuem Antisemitismus und Rechtsextremismus so leichtfertig abzuräumen bereit ist und der Name von Anne Frank im öffentlichen Raum als ungeeignet wahrgenommen wird, kann einem im Blick auf die Erinnerungskultur in unserem Lande nur Angst und Bange werden", so Vizepräsident Christoph Heubner. In einem offenen Brief an die Stadt Tangerhütte, der MDR SACHSEN-ANHALT vorliegt, ruft das Komitee dazu auf, die Umbenennung zu überdenken.

Wer war Anne Frank?

Anne Frank wurde 1929 als Kind jüdischer Eltern in Frankfurt am Main geboren. Ihre Familie flüchtete 1933 vor den Nationalsozialisten in die Niederlande. In Amsterdam versteckte sie sich von 1942 bis 1944 in einem Hinterhaus. In dieser Zeit schrieb Anne Frank ein Tagebuch, das zu den meistgelesenen Werken der Weltliteratur gehört. 1945 starb Anne Frank im Alter von 15 Jahren im Konzentrationslager Bergen-Belsen.

Innenhof der Kita "Anne Frank" in Tangerhütte
Am Wochenende wurde bekannt, dass in Tangerhütte im Landkreis Stendal die Kita "Anne Frank" umbenannt werden soll. Bildrechte: MDR

Kindergarten-Umbenennung wegen konzeptioneller Veränderungen

Wie die Stadt am Montag in einer Pressemitteilung erklärt, hat die Kita in den vergangenen 14 Monaten einen Erneuerungsprozess durchlaufen. Kernstück sei die Umstellung auf offene Jugendarbeit. Im Zuge des Prozesses ist demnach bereits Anfang des Jahres 2023 die Diskussion aufgekommen, diese grundlegende Konzeptänderung nach außen hin durch einen neuen Namen zu verdeutlichen. Zuletzt habe es diese Diskussionen im Sommer bei der Begehung durch den Ortschaftsrat gegeben.

Die Leiterin der Kita hatte der Volksstimme gesagt, die Geschichte des jüdischen Mädchens sei für kleine Kinder schwer zu fassen. Bürgermeister Andreas Brohm (parteilos) sagte der Zeitung, wenn Eltern und Beschäftigte einen Namen möchten, der das Konzept besser abbilde, habe das gegenüber der weltpolitischen Lage mehr Gewicht. Dem Blatt zufolge trägt die Kita den Namen "Anne Frank" seit Anfang der 1970er-Jahre.

Wie kindgerecht ist die Geschichte von Anne Frank?

Katrin Reimer-Gordinskaya, Professorin für Kindliche Bildung und Sozialisation an der Hochschule Magdeburg Stendal, sagte im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT, dass man kindgerecht über gesellschaftliche Themen sprechen und Kinder politisch bilden kann. So könne man etwa die Teile der Geschichte von Anne Frank ansprechen, die in der Lebenswelt von Kindern vorkommen oder antizipiert werden können. Ein Thema könne beispielsweise sein, dass jüdische Kinder in der NS-Zeit von bestimmten Freizeitaktivitäten ausgeschlossen waren, etwa nicht in den Zoo gehen durften. Die Ermordung von Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten sei hingegen kein Thema für den Kindergarten.

Haseloff: Jüdische Geschichte lebendig halten

Ministerpräsident Haseloff hat kein Verständnis für die Diskussion zur Umbenennung der Kita und wertet die Absicht als falsches Signal. Das teilte die Staatskanzlei am Montag via X mit. "Es ist wichtig, jüdische Geschichte in Sachsen-Anhalt lebendig zu halten", wird Haseloff zitiert. Anne Frank und nach ihr benannte Einrichtungen gehörten zur Erinnerungskultur.

Die Stendaler Kreisvorstände von den Grünen, der CDU, den Linken, der FDP und den Freien Wählern appellierten am Montag in einer gemeinsamen Stellungnahme an alle, die die Umbenennung der Kita befürworten, das nicht zu tun. Eine Namensänderung sei zu jeder Zeit, aber gerade jetzt vor dem Hintergrund des Angriffs der Hamas auf Israel "unsensibel und mehr als unpassend". Nach Einschätzung der Kreisvorstände kann Geschichte von Anne Frank auch kindgerecht erzählt und in das neue Kita-Konzept integriert werden.

Bürgermeister Andreas Brohm bedankt sich für konstruktive Vorschläge

Bürgermeister Andreas Brohm in der Kita "Anne Frank"
Laut Bürgermeister Andreas Brohm steht aktuell keine Entscheidung zur Namensänderung der Kita "Anne Frank" an. Bildrechte: MDR

Bürgermeister Brohm bedankte sich am Montag für die "vielen konstruktiven Anregungen und Vorschläge". Sie würden "dem Abwägungsprozess eine neue Dynamik verleihen". Die Diskussionen um eine Namensänderung laufen laut Pressemitteilung immer noch, "ohne dass aktuell eine Entscheidung darüber anstünde". In der Erklärung machte Brohm zudem deutlich: "Tangerhütte mit seinen Bildungseinrichtungen und all seinem bürgerschaftlichen Engagement steht für ein weltoffenes Deutschland, das sich gleichzeitig seiner historischen Verantwortung genauso bewusst ist wie seinem Bildungsauftrag."

Schlagzeilen auch von Anne-Frank-Kita in Thüringen

In Sondershausen (Thüringen) hat der Staatsschutz in dieser Woche Ermittlungen aufgenommen, nachdem vor der Kita "Anne Frank" ein Pentagramm auf die Straße gesprüht wurde. Die Ermittler wollen nicht ausschließen, dass der unbekannte Täter einen Judenstern sprühen wollte.

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MDR (Sarah-Maria Köpf, Mario Köhne, Sebastian Gall), dpa | Erstmals veröffentlicht am 05.11.2023

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 06. November 2023 | 19:00 Uhr

286 Kommentare

Germinator aus dem schoenen Erzgebirge vor 24 Wochen

"In einer Begleitbroschüre erklärt das Bildungsministerium, dass gerade jüngere Kinder traumatisiert werden können, wenn sie an den Gedenktagen mit dem Holocaust konfrontiert werden - ohne zuvor davon erfahren zu haben. "

Quelle spiegel.

Ganz und gar richtig, was das Bildungsministerium da schreibt.
Aber in Deutschland sieht das anders aus. Lach

🍀☝️

Germinator aus dem schoenen Erzgebirge vor 24 Wochen

"Wer "Verantwortung" ablehnt,macht sich "schuldig"."

Pffff, weil sie das sagen? Lach

Verantwortung kann man für einen verursachten Verkehrsunfall übernehmen, aber ich bin nicht verantwortlich, was vor Generationen passiert ist.

☝️🍀

Wessi vor 24 Wochen

"Normalität" @ "Demokrat", ist in diesem Land die Existenz der Shoah.Die ist nicht "fremd" sondern prägt unser Land bis in alle Ewigkeiten.Fremd ist eher der Versuch die Erinnerungskultur zu verändern.Ihnen geht es ganz sicherlich nicht darum, eine "Banalisierung der Judenverfolgung" abzuwenden, sondern Sie wollen möglichst viel davon vergessen machen, vergessend, daß sogar noch Opfer +viele Opferkinder leben.Und...in Berlin gibt es eine Hiroshimastrasse...

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