Stadt Stendal bittet Anlieger zur Kasse Rentner soll 65.000 Euro für Straßenneubau an Hühner-Gehege zahlen

20. April 2023, 09:21 Uhr

Eigentlich wurden in Sachsen-Anhalt die Straßenausbaubeiträge durch den Landtag abgeschafft. Doch der Haken für Anlieger daran ist, die Regelung gilt nur für den Ausbau einer bestehenden Straße, nicht aber für einen Neubau. Bei der Definition scheiden sich die Geister – zumindest im Stendaler Ortsteil Jarchau.

Ein Mann steht vor einem Bücherregal
Bildrechte: MDR/Hannah Singer

Eigentlich gibt es den Weg Holzstege in Jarchau (Landkreis Stendal) schon immer. Ein Schotterweg, an dem in den 1990er-Jahren auch fünf Wohnhäuser gebaut wurden. Nun soll die Straße ausgebaut werden. Doch vier der sechs Anlieger wollen das gar nicht. Sie haben sich arrangiert mit dem Feldweg. Sie befürchten ohnehin, dass die Straße schnell durch die vielen schweren Landwirtschafts-Fahrzeuge wieder kaputt gefahren wird.

Sie verstehen nicht, warum der Ausbau der Straße nun ein Neubau sein soll. "Wir sind da total empört drüber, dass man das so definiert und uns 90 Prozent der Kosten in Rechnung stellt und vor allem 80 Prozent der Kosten im Vorfeld in Rechnung stellt, wo noch nichts an Straßen-Ausbau passiert ist", sagt Anlieger Ronald Laschinski.

Rentner soll Hälfte der Anlieger-Kosten tragen

Besonders hart betroffen ist der Rentner Arno Schulz. Sein Eckgrundstück zieht sich 160 Meter entlang einer Seite der gesamten geplanten Straße. Der 67-Jährige soll die Hälfte der Anlieger-Kosten tragen. Dabei hält er auf dem Gelände hinter seinem Hof, der zur Dorfstraße ausgerichtet ist, lediglich ein paar Hühner. "Erst hieß es, ich soll 80.000 Euro bezahlen, jetzt ist man runtergegangen durch eine andere Ausbau-Variante. Jetzt sind es 65.000 Euro", sagt Arno Schulz. "Das schüttelt aber ja auch niemand so aus dem Ärmel", sagt er. Er sehe ein, dass er etwas für die Straße bezahlen soll. "Aber das sind doch keine realen Zahlen."

Rechtlich in Ordnung

Die Stadt Stendal ist rechtlich auf der sicheren Seite. Obwohl das Land 2020 die Straßenausbaubeiträge abgeschafft hat, muss sie bei kompletten Straßenneubauten die Anwohner zur Kasse bitten – und zwar mit 90 Prozent der Kosten. "Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass die Straße gebaut werden soll", sagt Ortsbürgermeister Heiko Wichmann, der selbst auch an der Holzstege wohnt und das Projekt befürwortet.

Allerdings sind vier der sechs Anlieger gegen einen Straßenbau, zumal sie infrage stellen, ob es tatsächlich ein Neubau ist. Es gibt eine Straßenbeleuchtung, auch die Versorgungsleitungen zu den Häusern bestehen. Einzig die Regenwasser-Entsorgung und ein fester Straßenbelag fehlen.

Erneute Diskussion im Stadtrat

"Die wesentlichen Bestandteile einer ausgebauten Straße sind nicht vorhanden", hatte Oberbürgermeister Bastian Sieler (parteilos) den Anliegern schriftlich mitgeteilt. Im Ortschaftsrat gab es im Februar eine "drei zu zwei"-Abstimmung für den Bau der Straße. Eigentlich sollte der Stadtentwicklungsausschuss der Stadt im März endgültig grünes Licht für die Straße geben. Doch nun soll im Mai noch einmal im Stadtrat diskutiert und entschieden werden.

Ortsbürgermeister: "Es wird so oder so etwas passieren"

"Es wird so oder so etwas passieren", sagt Ortsbürgermeister Heiko Wichmann. Der Landkreis Stendal und auch der Wasserverband Osterburg-Stendal sind beim Straßenbau involviert, da die Entwässerung eines Teils des Ortes über die Holzstege läuft und nun entsprechende Rohre verlegt werden sollen. Ein entsprechender Durchlass ist geplant, die Straße wird auf jeden Fall aufgerissen.

"Es kann nicht sein, dass nur wir bezahlen sollen und andere davon profitieren", sagt Anlieger Ronald Laschinski. Nach Angaben von Oberbürgermeister Sieler werden die zusätzlichen Kosten für die Regenwasser-Ableitung nicht den Anliegern in Rechnung gestellt. Das gleiche gelte für eine neue Beleuchtung in der Straße.

Landwirte beteiligen?

Die Anwohner wünschen sich, dass auch die Landwirte an der Straße beteiligt werden, die die Holzstege als Zuwegung zu ihren Ländereien regelmäßig nutzen. "Bei den Ausmaßen und dem Gewicht der Fahrzeuge heutzutage wird die Straße schnell wieder kaputt sein", sagt Ronald Laschinski. Außerdem kann die Straße lediglich mit einer Breite von drei Metern gebaut werden. Sie ist heute viel breiter und verläuft sogar auf einem Teil des Grundstücks von Rentner Schulz. "Ich habe den Zaun zurückgesetzt, da er kaputt gefahren wurde."

Anlieger erwägen Klage

Die Stadt Stendal kommt am Ende auf einen "voraussichtlichen umlagefähigen Aufwand" von etwa 127.000 Euro. Die Hälfte davon soll Rentner Arno Schulz zahlen. "Wenn das so kommt, muss ich verkaufen", sagt er. "Einen Kredit kriege ich nicht mehr. Dafür bin ich zu alt. Und von meinem bisschen Rente kann ich das nicht bezahlen."

Man habe ihm gesagt, sein Grundstück würde durch den Straßen-Ausbau erheblich an Wert gewinnen, da es dann angeschlossenes Bauland sei. "Man hat mich sogar schon nach der Zahl der gewünschten Auffahrten gefragt", sagt er. "Ich brauche aber keine Auffahrten, weil ich kein Interesse habe." Er sei mittlerweile psychisch am Ende, sagt der 67-Jährige.

Wenn es dumm läuft, sind seine Hühner bald weg und irgendjemand anderes baut in seinem Garten ein Haus. Drei Anlieger und Arno Schulz wollen den Klageweg einschlagen, wenn der Straßenbau tatsächlich im Mai im Stadtrat beschlossen wird.

MDR (Bernd-Volker Brahms, Moritz Arand) | Erstmals veröffentlicht am 19.04.2023

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 18. April 2023 | 08:30 Uhr

95 Kommentare

charliesdaddy am 20.04.2023

Es ist schon bezeichnend, dass Anwohner dafür bezahlen sollen, Schwerlasttransporten der Eu-subventionierten Bauern die Strassen zu erneuern...da traut sich wohl die Gemeinde nicht an die Verursacher der Schäden heranzuziehen?

ktw am 20.04.2023

...Anita L. ...unverständlich...ich freue mich jedenfalls sehr für Herrn Schulz, dass es in diesem Forum noch so viele Menschen mit Herz gibt, selbst im Stadtrat...warten wir die Entscheidung ab...

Anita L. am 20.04.2023

"...und merken Sie eigentlich, dass Sie mit Ihrer Meinung zwischen all den Kommentaren allein stehen..."

Das liegt vielleicht daran, dass ich Themen nicht beim "armen Rentner" aufhöre zu durchdenken. Es ist in der Straßenbausatzung nicht hinterlegt, wie viel Geld der Anwohner zur Verfügung stehen hat, sondern ob er Eigentümer eines an der zu planenden Straße befindlichen Grundstücks ist. Natürlich ist der Fall für Herrn Schulz ein verfahrener und natürlich kann und darf er alle Möglichkeiten nutzen, die Rechtmäßigkeit dieses Straßenbaus prüfen zu lassen. Sollte sich jedoch herausstellen, dass die Straße rechtmäßig gebaut wird, hilft kein populistisches "mögliche Korruption" oder "kleine Rente", auch kein "Gewinnler", dann bleibt die Tatsache bestehen, dass Herr Schulz Eigentümer eines Grundstücks ist und sich seit der Abschaffung der Straßenumbaukosten nunmehr zu 90 Prozent an den Kosten des Straßenneubaus beteiligen muss.

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