Sprache, Kleidung, Nationalität und Glaube - nirgendwo sonst in Deutschland gehören sie enger zusammen wie im sorbisch-katholischen Dreieck der Oberlausitz
Regina Scholze (links) bei einem Treffen mit anderen Sorbinnen, die noch im Alltag Tracht tragen. Von ihnen gibt es noch rund 20. Bildrechte: MDR/Simank

Traditionen "Ich habe noch nie etwas anderes getragen als die sorbische Tracht"

23. August 2023, 06:00 Uhr

Frauen wie Regina Scholze gibt es nur noch wenige. Sie hat ihr ganzes Leben ausschließlich sorbische Tracht getragen, bis heute. Die Kleider dürften bald ganz aus dem Alltag der Oberlausitz verschwinden. Zwei Brüder aus Hoyerswerda gehen in einem Film der Frage nach, wie es dann mit dieser sorbischen Tradition weitergeht. Welche Bedeutung hat sie noch für die junge Generation?

Regina Scholze lebt mit ihrem Mann Jan auf einem alten Hof in Cunnewitz, den die beiden Senioren immer noch selbst bewirtschaften wie in alten Zeiten. Gänse schlachten sie noch selbst und auch sonst scheint die Zeit hier vor einigen Jahrzehnten stehen geblieben zu sein.

Scholze trägt bis heute jeden Tag die sorbische Tracht, sie kennt es gar nicht anders: "Ich habe in meinem Leben noch nie etwas anderes getragen als die sorbische Tracht – ohne Kompromisse, von Kindesbeinen an bis heute. Auch im Urlaub in London, Paris oder an der Ostsee", sagt sie. "Damit habe ich auch sehr viel Geld gespart, denn eine Tracht hält ein Leben lang und hat den Vorteil, dass man nie zum Friseur muss. Dafür haben wir unsere Hauben."

Letzte Region in Deutschland mit Trachten im Alltag

Die sorbisch-katholische Oberlausitz ist die letzte von ursprünglich hunderten Trachtenregionen in ganz Deutschland, die bis heute im Alltag überlebt hat. Doch Scholze ist eine von nur noch etwa 20 Frauen, die hier noch täglich die traditionelle sorbische Kleidung tragen. Die jüngste von ihnen ist 81. Bald wird die Tracht also auch hier für immer aus dem Alltag verschwinden.

Das haben die Filmemacher Peter und Stefan Simank zum Anlass genommen, einen Film über das Thema zu machen: "Die sorbische Tracht: Mehr als ein Kleid" heißt das Werk. "Als ich in die Schule gegangen bin, sah man täglich Frauen in Tracht, auf dem Fahrrad, selbst auf dem Moped. Das war noch so ein Alltagsbild, selbst in so einer relativ großen Stadt damals wie Hoyerswerda", erzählt Peter Simank, der in Bautzen lebt und aus Hoyerswerda stammt.

"Wir waren sehr froh, dass wir dieses Projekt für den MDR umsetzen konnten. Denn es bleibt nicht mehr viel Zeit, dass man so einen Film überhaupt noch machen kann: Dass man zeigen kann, dass es noch Frauen gibt, die täglich die Tracht tragen", sagt der Autor und Regisseur.

Wie sehen die jungen Leute die Zukunft der Tracht?

Der Film zeigt aber auch, dass die Tradition immer noch lebendig ist und das Interesse an der traditionellen Kleidung sogar wieder zunimmt - wenngleich sie im Alltag kaum noch getragen wird. "Uns hat sehr interessiert, wie die jungen Leute damit umgehen und wie sie die Zukunft der Tracht sehen", sagt Simank.

Noch heute gehört die sorbische Tracht in der Oberlausitz zum Dorfleben dazu
Zu besondern Anlässen trägt auch die junge Generation in den sorbischen Dörfern der Oberlausitz immer noch Tracht. Bildrechte: MDR/Simank

Viele junge Frauen in der sorbisch-katholischen Oberlausitz wollen zumindest zu bestimmten Anlässen die Tracht tragen, so auch die 25-jährige Lucija Buck: "Ich war eigentlich immer der Überzeugung, dass ich in weiß heiraten werde. Aber irgendwann kam dann der Punkt bei mir, so über Nacht, wo ich sagte, ich möchte doch sorbisch heiraten", erzählt sie.

Stolz auf die Herkunft

Das Interesse der jungen Generation an der Tracht erklärt sie so: "Ich denke, es ist jetzt auch wieder so, dass man ja schon stolz ist auf seine Herkunft und deswegen wieder die Tracht anzieht".

Doch für die Trachten von Regina Scholze wird es nach ihrem Tod keine Trägerin mehr geben. Zwar werden ihre Töchter einzelne Kleidungsstücke daraus übernehmen, aber ihre Trachten als Ganzes weitertragen wollen sie nicht. Was passiert dann mit ihnen? "Sie kommen in einen Sack und werden verbrannt", erklärt Scholze. "In meiner Tracht geht kein Fremder. Das ist mein Nationalstolz".

Den Film "Die sorbische Tracht: Mehr als ein Kleid" können Sie sich online ansehen.

MDR (jwi)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der Osten - Entdecke wo du lebst | 22. August 2023 | 21:00 Uhr

1 Kommentar

Gabi Nuck am 23.08.2023

Mein Ehemann ist Obersorbe und wir pflegen intensive Kontakte in die Ober- und Niederlausitz. Traditionen und Bräuche in diesen Regionen sind so umfangreich und tief verwurzelt, dass es mich jedesmal tief bewegt. Familiäre Bindung bedeutet in der Lausitz sehr viel und Sitten und Bräuche stärken diesen Zusammenhalt. Die traditionellen Trachten sind ohnegleichen. Ich finde sehr gut, dass diese historische Kleidung weiter zu allen möglichen Anlässen getragen wird. Für den Alltag ist sie in der heutigen Zeit in vielen Bereichen kaum tragfähig. Umso schöner ist, dass es an die Zeit angepasste modische Varianten gibt. Ich selbst finde diese Mode sehr fraulich und würde sie auch als Nichtsorbin tragen. Ein Appell in die Öffentlichkeit: Soeben sind ein sehr wichtiges Glied unserer Gesellschaft. Leider ist in sehr vielen Teilen Deutschlands nicht bekannt, welcher Schatz sich in der Lausitz befindet. Tragt es hinaus in die Welt!

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