3 Frauen posieren vor der Kamera.
Starke Frauen, die ihr Ding machen: Kerstin, Kathleen und Maria halten den Frauentag für wichtiger denn je und ermutigen junge Frauen ihren Weg zu gehen. Bildrechte: MDR Sachsen/ Fotos Katrin Tominski / Grafik Marion Waldhauer

Internationaler Frauentag Ost-Frauen im Transit des Lebens: Drei Erzählungen

08. März 2024, 07:35 Uhr

Kathleen, Kerstin und Maria kommen aus dem Osten, leben jetzt in Sachsen und haben völlig verschiedene Leben und Biographien. Was sie eint, sind Erfahrungen, Niederlagen, Brüche. Aber auch Aufbrüche und das Gefühl, dass Aufgeben keine Option sein kann. Ein Blick in das Leben dreier starker Frauen aus Sachsen und Ostdeutschland. Mehr dazu gibt es im Erzählcafé ostdeutscher Frauen im Sociataetstheater Dresden in der Reihe "frau.macht.theater" zu hören.

Warum ist der Internationale Frauentag auch 2024 wichtig?

Kerstin Angierski ist in Chemnitz geboren, hat in Dresden studiert und begrüßt, dass der Frauentag in Berlin mittlerweile ein Feiertag ist. "Natürlich bin ich ostdeutsch geprägt", sagt sie im Gespräch mit MDR SACHSEN. "Ich finde es wichtig und nicht albern, dass Frauen am Frauentag so gewürdigt werden."

Manche machten sich über den Tag lustig, fänden ihn überbewertet. "Ich finde den Frauentag wichtiger als den Muttertag, weil der die Frau im Ganzen würdigt", erklärt die Verfahrenstechnikerin. "Eine Reduzierung allein auf die Mutterrolle ist nicht modern."

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Kerstin Angierski hat als Schülerin in ihrer Ganztagsschule mit Musikschwerpunkt (Pionierensemble) Frauentagsfeiern moderiert. Bildrechte: MDR/Katrin Tominski

Frauen erhalten noch immer nicht den gleichen Lohn

Kathleen Gaube sieht auch im Jahr 2024 die Relevanz des Frauentages. "Er ist gesellschaftspolitisch immens wichtig", meint die künstlerische Programmleiterin und Kuratorin des Projekts "frau.macht.theater" am Societaetstheater Dresden. Frauen seien längst nicht gleichberechtigt, noch immer erhielten sie nicht den gleichen Lohn, noch immer gebe es Gewalt gegen sie, noch immer müssten sie gegen Ungleichberechtigung antreten.

"Man muss mehr Augenmerk auf die Frauen legen. Eigentlich müsste es viel öfter einen Frauentag geben." Kathleen sinniert: "Früher gab es einen Haushaltstag pro Monat, wie wäre es mit einem Frauentag pro Monat?"

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Mehr Augenmerk auf die Frauen legen: Kathleen Gaube ist Schauspielerin und künstlerische Programmleiterin im Societaetstheater in Dresden. Sie hat das Projekt "frauen.macht.theater" ins Leben gerufen. Bildrechte: MDR/Katrin Tominski

Frauen erledigten einen großen Teil der Care-Arbeit

Maria Funke sieht einen Trend zur Retraditionalisierung. "Frauenrechte waren einmal viel selbstverständlicher. Ich habe das Gefühl, dass traditionelle Frauenrollen zurückkommen", sagt die Soziologin vom Dresdner Frauenzentrum "Guter Rat".

Oft seien es Frauen, die mit den Kindern lange zu Hause blieben und den Großeil der Care-Arbeit erledigten. Dies habe auch die Corona-Pandemie gezeigt. "Wer hat auf seine Jobs verzichtet? Zum größten Teil Frauen", so Funke. Es gebe sehr viel tolle Frauen, die sich engagieren und für andere einsetzen. Dies müsse gesehen und gewürdigt werden.

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Frauenrechte waren einmal viel selbstverständlicher: Maria Funke sieht sich als Vertreterin der dritten Generation Ostdeutschland und ist Initiatorin des Erzählcafés ostdeutscher Frauen im Societaetstheater. Bildrechte: MDR/Katrin Tominski

Fühlen Sie sich ostdeutsch? Was hat Sie geprägt?

Kerstin Angierski erinnert sich genau an die Wendezeit und die chaotischen 1990er-Jahre. Am Tag des Mauerfalls erhielt sie die Genehmigung, zum Onkel nach Stuttgart zu reisen. In den übervollen Zügen bangte die im fünften Monat Schwangere darum, dass ihr niemand versehentlich in den Bauch boxt. Sie kam aus Dresden und hatte keine Ahnung, dass die Mauer gefallen war.

"Viele wollten in den Westen, fragten, ob ich mitkommen wolle nach München zum Kaffee trinken." Und: "Ich dachte, die werden sich noch umsehen, gleich ziehen die Grenzer sie raus, Fehlanzeige." Später habe sie selig mit Onkel und Cousin Pläne geschmiedet, "was wir alles Tolles machen wollten".

Nach Euphorie arbeitslos mit Baby zu Hause

Die Euphorie hielt nicht lange. "Die Schlagzeilen überschlugen sich, was in der DDR alles schlecht gewesen sei", erinnert sich die Ingenieurin. "Das hat mich umgetrieben und ich hatte immer Angst, dass dies auch mein Kind im Bauch umtreibt. Es war so ein zwiespältiges Gefühl: Auf der einen Seite die Freude über die Schwangerschaft, andererseits die große Ungewissheit".

"Wir waren erst in den 2000er-Jahren über den Berg"

Nach der Elternzeit kehrte Kerstin zurück an ihren Arbeitsplatz und bekam die Kündigung in die Hand gedrückt. "Ich dachte, das können die doch nicht machen? Ich bin doch Mutter zweier Kinder. Aber es war so, es war kein Spaß", erinnert sich die heute 60-Jährige. "Ich dachte, jetzt passiert alles, was du Schlechtes über den Kapitalismus gehört hast."

Danach habe es viele auch quälende Fragen gegeben: Wer bin ich? Was kann ich? Wie kann man als Familie weiterleben? "Wenn ich zurückblicke, glaube ich, dass ich in einer tiefen Depression steckte", erzählt Kerstin. "Ehe ich kapiert habe, wie das System funktioniert, es hat ewig gedauert. Wir waren als Familie erst in den 2000er -Jahren über dem Berg." Sie bekam noch ein drittes Kind und lebt mit ihrem Mann in Dresden.

Geborgen im Theater Halle

Für Kathleen Gaube gestaltet sich der politische Umbruch vorerst sanfter. Nach dem Studium in Rostock landete die in Berlin Geborene am Theater in Halle. "Ich bin künstlerisch sozialisiert und aufgewachsen bei Peter Sodann. Er hat sich als künstlerischer Sozialist gesehen." Er habe eine Bibliothek aufgebaut und spannende Produktionen umgesetzt, ohne Vergangenes zu leugnen.

"Ich habe dort genauso viel verdient, wie die Männer", erinnert sich die heute 56 Jahre alte Schauspielerin. "Wir wurden nach Produktionen bezahlt, unabhängig vom Geschlecht." Die Zeit am Theater mit seinem Ensemble habe sie über die wilde Wendezeit gebracht. "Es war wie ein Schutzraum. Der Bruch kam für mich viel später."

Neuorientierung in Dresden

Später in Dresden verfiel Kathleen in eine Schaffenskrise. "Ich bin ausgestiegen, weil ich nicht mehr wusste, warum ich Schauspielerin war", erzählt sie. Sie habe den Beruf ergriffen, um politisch Relevantes zu sagen. Das sei zwischen den Zeilen gelungen. "Plötzlich konnten wir alles sagen, doch es wurde nicht mehr wahrgenommen."

Kathleen arbeitete drei Jahre als Buchhändlerin und kehrte als Selbstständige zurück in ihren Beruf. "Ich wollte selbstbestimmt die Projekte umsetzen, die ich wirklich wollte. Das ist mir auch gelungen. Darüber bin ich sehr glücklich."

Zerreißprobe als Mutter

Das Nebeneinander von Beruf und Familie war für die dreifache Mutter immer eine Zerreißprobe. "Ich habe mich als schauspielende Mutter gesehen", erinnert sie sich.

"Als ich jedoch in die Selbstständigkeit ging, bin ich in eine konservative Frauenrolle gefallen. Auf einmal war ich sehr abhängig von meinem Mann. Ich betrieb Care-Arbeit bis zur Erschöpfung und rannte der Vorstellung hinterher, was denn eine gute Mutter sei. Das hat mir so ein Druck gemacht. Alle anderen waren so lässig, haben alles selbst gefilzt und genäht und ich war in so einer Spirale."

Aufgewachsen in den wilden 1990er-Jahren

Maria Funke kam 1990 in die Schule. Heute weiß sie, dass vieles nicht so normal war, wie sie immer meinte. "Wir fanden es total normal, dass unsere Eltern nie Zeit hatten, dass unsere Lehrer abwesend waren. Wir fanden es normal, dass sich unsere Eltern und mit ihnen die halbe Nachbarschaft arbeitslos durchkämpfte und zwischendurch Migranten diskriminiert und gehetzt wurden", erzählt sie. Der Soziologe Steffen Mau habe für diesen Zustand einmal den Begriff "metaphysische Obdachlosigkeit geprägt". Diese Brüche hätten sie als Menschen geprägt.

"Meine Eltern hatten lange Phasen der Arbeitslosigkeit, in denen sie depressiv waren. Wir hatten nie viel Geld, meine Mutter hat für fünf Euro gearbeitet, obwohl sie eine ausgebildete Köchin war", erinnert sich Funke. "Diese prekäre Prägung habe ich mitgenommen. Ich habe bestimmt in 40 verschiedenen Jobs gearbeitet", sagt die Soziologin und Germanistin. "Die Geschichte ostdeutscher Frauen ist nicht nur die Geschichte der über 40-Jährigen."

Was raten Sie jungen Frauen?

"Ich wünsche mir, dass junge Frauen weiter Lust auf Kinder haben", sagt Kerstin Angierski. "Ich habe den Eindruck, dass sich das viele gerade nicht mehr trauen. Ich wünsche mir, dass wir uns die Zuversicht auf ein Leben mit Kindern nicht nehmen lassen."

Kathleen Gaube: "Ich finde es ganz wichtig, weiterhin aus der Geschichte heraus die Zukunft zu gestalten." Als Kind habe in ihrem Zeugnis stets gestanden, 'Kathleen ruft immer dazwischen'. Das habe sie später im vereinten Deutschland verlernt. "Das Dazwischenrufen sollten wir uns unbedingt behalten."

Maria Funke sieht eine junge, politisch engagierte Generation. "Auch ich möchte Frauen ermutigen Kinder zu kriegen und wünsche ihnen die Kraft, die Herausforderungen anzugehen und eine lebenswerte Gesellschaft zu gestalten.

Offenes Erzählcafé ostdeutscher Frauen

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 08. März 2024 | 19:00 Uhr

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