Ein alter Mann im Sessel.
Der 94-jährige Helmut Müller hat die Bombenangriffe auf Dresden noch gut in Erinnerung. Bildrechte: MDR/Adina Rieckmann

13. Februar 1945 | Zeitzeugen erzählen "Ich habe damals immer gesagt, Dresden ist tot"

12. Februar 2024, 14:30 Uhr

Der 13. Februar 1945 ist in Dresden bis heute überall im Stadtbild sichtbar. Die Erinnerung an die Bombenangriffe an diesem und dem darauffolgenden Tag hat sich auch in das Gedächtnis der Überlebenden fest eingegraben. Von ihnen gibt es immer weniger. Die 98-jährige Ingeburg Hauschild und der 94-jährige Helmut Müller haben den ersten Angriff damals von Wachau aus in der Nähe von Dresden miterlebt. Das lässt sie bis heute nicht los.

Da sitzen sie nun an dem großen Tisch. Vier Frauen und ein Mann. Drei Generationen. Sitzen da, diskutieren, gestikulieren lebhaft mit den Händen und reden dann alle durcheinander. "Weißt du noch? Damals? Es war bitterkalt an diesem 13. Februar." "Nein, es war für die Jahreszeit viel zu warm. Egal, das ist nicht wichtig. Und erinnerst du dich noch an dieses Geräusch?" "Ja, das werde ich nie in meinem Leben mehr vergessen." Die da miteinander reden, das sind die Familien Hauschild und Müller aus Wachau, genau genommen vor allem Ingeburg Hauschild und Helmut Müller. Seit 84 Jahren sind sie miteinander befreundet. Über den 13. Februar 1945 aber sprechen sie ansonsten nicht sehr viel. Wenn man sie jetzt aber reden hört, scheint alles noch sehr nah, wie gestern.

Bombardierung Dresdens aus Wachau miterelebt

Schon damals wohnten beide Familien in Wachau. Die kleine Gemeinde ist 14 Kilometer von Dresden entfernt und liegt heute im Kreis Bautzen. "Ich hatte gelesen in meinem Zimmer und abends um neun kam mein Vater und sagte, "Du, mach dein Licht aus! Über Dresden stehen Christbäume," erinnert sich Ingeburg Hauschild. Die 98-Jährige blickt zum Fenster und zeigt mit der rechten Hand dorthin: "Dresden ist da drüben. Dann standen da tatsächlich die Christbäume. Und es dauerte gar nicht lange, dann ging es los. So gegen zehn. Dann hörte man nur noch Wumm, Wumm." Auch Helmut Müller kann sich mit seinen 94 Jahren noch gut daran erinnern: "Die flogen die ganze Zeit über uns hinweg. Und wenig später konnten wir es nicht nur hören, sondern auch sehen. Dresden war auf einmal ein einziges Rot."

Menschen sitzen zusammen in einem Wohnzimmer.
Die Familien Hauschild und Müller aus Wachau bei Dresden erinnern sich an die Bombenangriffe am 13. und 14. Februar 1945 in Dresden. Bildrechte: MDR/Adina Rieckmann

Ich hatte gelesen in meinem Zimmer und abends um neun kam mein Vater und sagte: 'Du, mach dein Licht aus! Über Dresden stehen Christbäume.'

Ingeburg Hauschild Die damals 19-Jährige erinnert sich an die Luftangriffe

Ein Tag nach dem 13. Februar in Dresden

Unabhängig voneinander sind die zwei damaligen Jugendlichen am nächsten Morgen nach Dresden gefahren. Helmut Müller, um mit seinem Chef im Geschäft auf der Prager Straße nach dem Rechten zu sehen. Ingeburg Hauschild, um nach ihrer Cousine zu suchen. Sie erinnert sich lebhaft daran, die Wangen werden rot und röter. "Und wie wir so die Grundstraße runterlaufen, da kommt uns schon so ein Qualm entgegen. Da sage ich zu meiner Mama: Mama, ich kann nicht mehr gucken. Meine Augen brennen. Woher auf einmal die Soldaten hergekommen sind, das weiß ich nicht mehr. Ich sehe nur noch ihre erschrockenen Blicke. 'Was wollen sie hier, hauen sie ab!'"

Ein alter Mann und und eine alte Frau sitzen sich im Sessel gegenüber.
Helmut Müller und Ingeburg Hauschild waren damals 15 und 19 Jahre alt, als sie die Bombardierung Dresdens erlebten. Bildrechte: MDR/Adina Rieckmann

Helmut Müller erinnert sich noch sehr an das Donnern und Brennen in der Stadt. "Es qualmte überall, kein Haus aus dem nicht noch Flammen züngelten," sagt er. Dieses eine Bild aber, das wird er nie mehr vergessen: "Die Straßenbahnen! Viele waren noch besetzt. Da saßen Leute drin, aber alle tot: Die Minen hatten die Lungen zerrissen." Lange Zeit, so erzählt Helmut Müller weiter, konnte er in keine Straßenbahn mehr einsteigen.

Die Straßenbahnen! Viele waren noch besetzt. Da saßen Leute drin, aber alle tot: Die Minen hatten die Lungen zerrissen.

Helmut Müller erlebte den 14. Februar 1945 in Dresden

Zeitzeugen erleben zweiten Angriff in Dresden

Ingeburg Hauschild und Helmut Müller haben an diesem 14. Februar 1945 in Dresden sehr viel Glück gehabt. Beide erlebten auch den darauf folgenden Angriff auf die Elbestadt. Dieses Mal sogar direkt in der Stadt: Die alte Dame erinnert sich nicht nur an das Wummern der Bomben, sie erzählt davon, wie eng sie sich auf dem kalten Straßenboden an ihre Mutter schmiegte, zitternd vor Angst. Und sie erinnert sich auch noch daran: "Das war so unwirklich. Diese Bomben fallen auf Dresden, schlagen gleich neben dir ein. Und sie kommen nicht gerade runter, sie tänzeln, sie tanzen richtig."

Das war so unwirklich. Diese Bomben fallen auf Dresden, schlagen gleich neben dir ein. Und sie kommen nicht gerade runter, sie tänzeln, sie tanzen richtig.

Ingeburg Hauschild 98 Jahre alte Zeitzeugin aus Wachau

Eine alte Frau im Sessel.
Ingeburg Hauschild Bildrechte: MDR/Adina Rieckmann

Helmut Müller ist an diesem Tag Kilometer über Kilometer gelaufen. Die Königsbrücker Straße runter zum Albertplatz, weiter zum Italienischen Dörfchen, zur Prager Straße und dann hoch zum Großen Garten. Egal, wo er war, überall sah der Lehrling die Toten liegen. Das war schon schwer auszuhalten. 79 Jahre später aber, so sagt er, hört er immer noch die Rufe: "Kameraden helft, Kameraden helft! Die Rufe kamen aus den Häusern, aus den Kellern. Überall schrie es. Und ich stand da und konnte nichts machen. Die waren eingeklemmt. Wie hätte ich sie retten sollen, mit bloßen Händen?"

Enkelin: "Ich dachte, dass sollten die beiden nicht nur mir erzählen."

Es ist die Enkelin von Ingeburg Hauschild, die MDR SACHSEN eingeladen hat. Seit zehn Jahren lebt Carolin Keil mit im Haus ihrer Großmutter, sie hat den beiden Alten oft zugehört. Sie sagt: "Ich dachte, dass sollten die beiden nicht nur mir erzählen. Ich wollte gern, dass es einmal festgehalten wird. Man weiß ja nicht, wie lange die Zeitzeugen noch da sind. Und irgendwann ist das Erzählte weg."

Ingeburg Hauschild und Helmut Müller - beide haben in Wachau Familien gegründet, ein gutes Leben gehabt. Bis heute aber ist für sie der 13. Februar eine Mahnung. Der 94-Jährige schüttelt den Kopf, als er sagt: "Ich hätte nie gedacht, dass Dresden einmal wieder aufersteht. Ich habe damals immer gesagt, Dresden ist tot." Ingeburg Hauschild hört ihn und schüttelt energisch den Kopf. "Gottseidank ist die Stadt wieder da. Die Frauenkirche, das Dresdner Schloss, der Zwinger, alles wieder aufgebaut. Eines aber weiß ich, Krieg ist so sinnlos, so furchtbar. So etwas darf nie wieder geschehen."

Ich hätte nie gedacht, dass Dresden einmal wieder aufersteht.

Helmut Müller Zeitzeuge aus Wachau bei Dresden

Da sitzen sie nun alle am großen Tisch im Wohnzimmer. Schweigen sich an und hängen ihren Gedanken nach. "Das Erinnern tut manchmal weh," das sagt Helmut Müller an diesem Vormittag auch noch.

MDR (kbe)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 13. Februar 2024 | 19:00 Uhr

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